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Leipzig
Trans Kamerunerin droht Abschiebung als "schwuler Mann"
In Kamerun werden trans Menschen aufgrund antihomosexueller Gesetze verfolgt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge urteilt jedoch nicht anders als der Verfolgerstaat – und verharmlost die Gefahr.
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13. Mai 2021, 05:44h 4 Min.
Einer aus Kamerun geflüchteten trans Frau droht die Abschiebung aus Deutschland, obwohl sie in ihrem Herkunftsland im Gefängnis saß und erneute Verfolgung fürchten muss. Darauf machte das Queer Refugees Network (QRN) aus Leipzig aufmerksam.
Der abgelehnte Asylbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sorgt dabei in zweifacher Hinsicht für Unverständnis: Zum einen wurde die Transidentität der Schutzsuchenden Chris [queer.de verzichtet aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte auf die Nennung des vollen Namens] im Verfahren bei der BAMF-Außenstelle Leipzig nicht gewürdigt. Obwohl die Anhörung bei einer Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifisch Verfolgte stattfand, ist im Asylbescheid von November 2020 durchweg von einer vermeintlichen männlichen Homosexualität die Rede.
Zum anderen ist Kamerun ein bekannter Verfolgerstaat: Gleichgeschlechtlicher Sex wird in dem afrikanischen Land mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet. Betroffen von den antihomosexuellen Gesetze sind immer wieder auch trans Menschen. Erst vor wenigen Tagen wurden zwei trans Frauen im Kamerun zu fünf Jahren Haft und Geldstrafen verurteilt (queer.de berichtete).
BAMF misgendert Chris und kritisiert "mangelnde Details"
Die Asylsuchende erzählte dem BAMF, wie aus dem queer.de vorliegenden Bescheid hervorgeht, von Gewalt und Folter, nachdem eine Beziehung zu einem Mann aufgeflogen sei. Sie habe darum in die Großstadt Douala fliehen müssen. Im Anschluss an eine Inhaftierung wegen der Beziehungen zu Männern sei sie schließlich aus dem Land geflohen. Die Angaben, die sie in einer Anhörung machte, seien jedoch "durch Vagheit, mangelnde Details und fehlende Lebensechtheit gekennzeichnet" gewesen, urteilte das BAMF. Es sei "festzustellen, dass der Antragsteller, eigenen Ausführungen zufolge, jahrelang seine Sexualität unbehelligt in Douala ausleben konnte, ohne relevanten Repressionen ausgesetzt gewesen zu sein".
Im abgelehnten Asylbescheid ist davon die Rede, Chris habe davon berichtet, als Kind begonnen zu haben, "Frauenspiele zu spielen" und deshalb mit Mutter und Schwester aneinander geraten zu sein. Sie habe darüber hinaus mit elf Jahren begonnen, den Lippenstift ihrer älteren Schwester zu tragen und sich zu schminken, wenn sie das Haus verlassen habe. Dafür sei sie, so der Bescheid, "als 'Frau' und 'Schwuler' beschimpft worden". All diese Darstellungen werden in dem Dokument als männliche Homosexualität gewertet – und als "in sich unglaubhaft". Es sei vielmehr "davon auszugehen, dass die erneute Asylantragsstellung ausschließlich dem Verbleib im Asylverfahren" diene, "nicht auf ein Schutzbedürfnis begründet" sei, so das BAMF.
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Chris hatte sich im ersten Verfahren nicht als trans geoutet
In einem ersten Asylantrag hatte Chris über ihre geschlechtliche Identität keine Angaben gemacht, wie dies bei LGBTI-Geflüchteten häufig beobachtet wird. Erst nach einer ersten Ablehnung, dem Beginn einer Psychotherapie und einem schlussendlich gestellten Folgeantrag auf Asyl machte sie in der Anhörung entsprechende Angaben.
Im zweiten Ablehnungsbescheid wiederum bemängelte das BAMF, dass Chris nicht von dem Moment an, an dem sie ihre "Homosexualität" in einer psychologischen Betreuung offenbart habe, diese wiederum dem BAMF mitgeteilt habe: "Spätestens seitdem sich der Antragsteller in psychologischer Behandlung zu seiner Homosexualität geäußert hat, hätte, wenn schon nicht selbst, so doch sein Rechtsbeistand, dies dem Bundesamt gegenüber bekannt machen müssen."
Das Queer Refugees Network in Leipzig legte zusammen mit Chris im Dezember 2020 Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, um zu bewirken, dass die Transgeschlechtlichkeit von Chris im Asylverfahren Beachtung findet. Diese Beschwerde wurde jedoch abgelehnt.
QRN: "faktische Nicht-Prüfung von relevanten Fluchtgründen"
"Die Entscheidung des BAMF sehen wir aus mehreren Gründen als überaus problematisch an", erklärte das Queer Refugees Network, das zum RosaLinde Leipzig e.V. gehört, in einer Pressemitteilung. Es liege "eine faktische Nicht-Prüfung von relevanten Fluchtgründen seitens des BAMFs" vor. Zusätzlich zeuge "die Bewertung, dass eine Person ihre Sexualität frei ausleben könne, selbst wenn sie wegen eben dieser polizeilich gesucht wird, von einem groben Unverständnis der Lebensrealitäten queerer Asylsuchender in ihren Herkunftsländern".
Chris leidet laut einem Arztbericht an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an Angst und einer depressiven Störung. Dennoch könnte sie jeden Moment abgeschoben werden, denn: "Die erlassene Abschiebungsandrohung ist weiter gültig und vollziehbar", wie es im Asylbescheid heißt.
In der Vergangenheit hatte das QRN mehrfach auf fragwürdige Entscheidungen zulasten queerer Geflüchteter der örtlichen BAMF-Außenstelle aufmerksam gemacht. So wurde etwa 2018 eine behinderte lesbische Romni nach Albanien abgeschoben (queer.de berichtete) Durch die Bemühungen des Queer Refugees Network habe das BAMF in Leipzig jedoch auch schon Fehler eingeräumt und erlassene Bescheide neu geprüft. In einer Pressemitteilung forderten die Mitarbeiter*innen "eine sachgerechte, vollumfängliche Prüfung der gestellten Asylanträge und eine adäquate Würdigung der Lebensumstände von homo-, bi-, asexuellen, trans* und inter* Personen in ihren Herkunftsländern".
Auf eine Anfrage von queer.de zum Asylantrag von Chris hat die Außenstelle des BAMF in Leipzig nicht reagiert.

















Um ihre Bilanz zu schönen, gehen Union und SPD über Leichen. Im wahrsten Sinne des Wortes.