Saskia Esken ist sei Dezember 2019 zusammen mit Norbert Walter-Borjans Bundesvorsitzende der SPD (Bild: Anne Hufnagl)
Kurz vor Bundestagsabstimmungen zu Oppositionsanträgen für ein Selbstbestimmungsgesetz hat die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken verteidigt, dass ihre Fraktion offenbar zusammen mit Union und AfD gegen Entwürfe zur Reform der teils verfassungswidrigen Rechtslage zu Trans- und Intersexuellen stimmen wird.
Entsprechend war die Partei als Koalitionspartner von CDU und CSU bereits in den Ausschüssen verfahren. Diese empfehlen dem Bundestag mit der Mehrheit der Stimmen aus Großer Koalition und AfD, die Anträge von Grünen und FDP in der zweiten und dritten Lesung abzulehnen (Empfehlungs-PDF). Die Debatte und Abstimmung ist für Mittwochabend angesetzt.
Auf Twitter schrieb Esken dazu am Dienstagabend auf Nutzerkritik und die Forderung, mit der Opposition zu stimmen ("Einmal mutig sein"), dass es ihrer Partei nicht an Mut fehle: "In der aktuellen Situation, inmitten einer Pandemie, wäre es unverantwortlich, die Regierungsarbeit zu gefährden, zum Beispiel die Einigung zur Verlängerung von Kurzarbeit und Überbrückungshilfe uvm.".

Nach weiterer Kritik führte sie aus: "Wir haben eine Pandemie, Zehntausende Infizierte, 4000 in Intensivbehandlung, noch Millionen zu impfen. Tausende Unternehmen sind in schwerem Fahrwasser, Millionen Menschen in Kurzarbeit, Millionen Kinder, die jetzt Unterstützung brauchen. Ernsthaft."
SPD für Lösung mit ablehnender Union
Esken war in den letzten Tagen auf Twitter verstärkt in die Kritik geraten. In dem zitierten Thread hatte sie zuvor geschrieben: "Wir stehen bereit, für die Selbstbestimmung trans*- und intergeschlechtlicher Menschen den GE des @BMJV_Bund einzubringen und zu beschließen." Diesen Gesetzentwurf habe man dem Koalitionspartner "erst diese Woche erneut vorgelegt", aber die Unionsparteien "blockieren eine Reform des #TSG weiterhin kategorisch."
Die SPD hatte bereits im April bekannt gegeben, dass das Bemühen um einen entsprechenden Regierungsentwurf in dieser Legislaturperiode an der Union gescheitert sei (queer.de berichtete). Das konkrete Vorhaben war allerdings auch auf Kritik von Aktivist*innen gestoßen, etwa weil es an einer Beratungspflicht vor Änderung des Geschlechtseintrags festhalten sollte.
Esken hatte sich bereits in den letzten Tagen verteidigen müssen: Für Empörung sorgte sie etwa am Sonntag, als sie in einem eigenen Tweet in ihrer Timeline auf Kritik von Georgine Kellermann allein mit einer Empörung über deren Wortwahl reagierte – die trans Aktivistin hatte in ihrem privaten Profil von "arrivierten Sozialdemokrat_innen" gesprochen. Daraus entwickelten sich weitere Diskussionen, in denen Esken weiterhin allein die Union für ein Scheitern einer Reform verantwortlich machte. "Die Anliegen der queeren Community sind unsere Anliegen, deshalb haben wir viele in unser Zukunftsprogramm aufgenommen", schrieb sie etwa. "Zur Umsetzung waren CDU und CSU bisher nicht bereit – nach Lage der Dinge brauchen wir dafür eine andere, progressive Koalition."

Esken war in den letzten Wochen bereits für ihre Wirken rund um die Äußerungen von Wolfgang Thierse zu "Identitätspolitik" in Kritik geraten. Dabei war sie auf den "verdienstvollen Genossen" zugegangen, während sie queer.de vorwarf, mit "grundfalschen Interpretationen" einen Text von ihr "missbraucht" zu haben (queer.de berichtete).
Die Anträge von FDP (PDF) und Grünen (PDF) für ein Selbstbestimmungsgesetz sollen das das 40 Jahre alte und mehrfach für verfassungswidrig erklärte Transsexuellengesetz ersetzen und eine einheitliche Rechtslage etwa für trans, intersexuelle und nicht-binäre Personen schaffen. Dabei ist unter anderem vorgesehen, künftig zur Änderung des Geschlechtseintrags und Namens allein auf eine selbstbestimmte Erklärung statt wie bisher auf teure und fremdbestimmte Gutachten zu setzen. Vor wenigen Tagen hatten Sven Lehmann (Grüne) und Jens Brandenburg (FDP) in einem gemeinsamen Brief an alle demokratischen Fraktionen appelliert, den Weg für eine Reform freizumachen (queer.de berichtete).
Der Liberale und der Grüne verwiesen darauf, dass eine Mehrheit der Sachverständigen bei einer Anhörung im Innenausschuss beide Anträge als erhebliche Verbesserung des Status quo angesehen hatte (queer.de berichtete). (nb)
Anm. d. Red: Georgine Kellermann bat um eine Klarstellung, dass ihre Twitter-Äußerungen ausdrücklich privat und nicht als Journalistin erfolgten. Den Hinweis auf ihre Rolle als WDR-Studioleiterin haben wir dementsprechend aus dem kurzen Satz oben entfernt.
Was für Wendehälse!