Der Bundesverband Trans* fordert zusammen mit dem Verband der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, intersexuellen und queeren Menschen in der Psychologie (VLSP*) in einer ausführlichen Stellungnahme eine Überarbeitung der Maßgaben zur Begutachtung transgeschlechtlicher Menschen. Die Anleitung kommt zum Einsatz, wenn Menschen geschlechtsangleichende Operationen oder etwa Haarentfernungen bei ihren Krankenkassen beantragen. Obwohl sich der wissenschaftliche Konsens in den vergangenen Jahren deutlich zugunsten von mehr Selbstbestimmung verschoben hat, legte der zuständige Medizinische Dienst des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen im Herbst 2020 eine neue Begutachtungsanleitung mit alten, diskriminierenden Inhalten vor. Darin wurde an Zwangspsychotherapie, dem sogenannten Alltagstest und dem Ausschluss nichtbinärer Personen von OPs festgehalten bzw. Anforderungen sogar verschärft.
Die neue Vorlage hätte eigentlich den weithin kritisierten Stand von 2009 deutlich verbessern sollen. Guten Grund zur Hoffnung hatten auch viele Betroffene, nachdem 2018 die deutschen S3-Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften veröffentlicht worden waren. In diesen Leitlinien zur Diagnostik, Beratung und Behandlung im Kontext von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit wurden die starken wissenschaftlichen Konsense vieler Fachgesellschaften aufgeführt, die für niedrigschwellige Zugänge zur Gesundheitsversorgung für transgeschlechtliche Menschen, den Abbau diskriminierender Richtlinien und die Wirksamkeit von Maßnahmen wie OPs bestehen. In der nun kritisierten Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes ist jedoch bereits das Vokabular ein völlig anderes: Es geht um "Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualismus (ICD-10, F64.0)".
Transgeschlechtlichkeit gilt nicht mehr als psychische Erkrankung
Dabei ist die Annahme einer psychischen Erkrankung namens "Transsexualismus" nach dem Diagnosemanual ICD-10, das bereits 1992 veröffentlicht wurde, gar nicht mehr zu halten. In der für das Jahr 2022 angekündigten Überarbeitung ist die Diagnose sogar gestrichen worden (queer.de berichtete). Stattdessen wird von einem neu eingeführten, behandlungswürdigen Zustand ausgegangen, nicht mehr von einer Krankheit. Über die Diagnose einer vorliegenden Geschlechtsinkongruenz können dann körpermodifizierende Maßnahmen durchgeführt und über Krankenkassen abgerechnet werden – ganz ohne Pathologisierung transgeschlechtlicher Menschen. Das ICD wird von der Weltgesundheitsorganisation erarbeitet und herausgegeben, listet Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme auf und ist für die Diagnostik nicht nur im deutschen Gesundheitssystem maßgeblich.
Zwar ist das Diagnose-Manual ICD-11 noch nicht in Kraft. Doch ist in der von den Verbänden nun kritisierten Begutachtungsanleitung davon die Rede, der wissenschaftlichen Evidenzlage Rechnung tragen zu wollen. Das kritisieren der Bundesverband Trans* und die queere Psychologievereinigung, denn die Evidenzlage legt eigentlich längst ganz andere Standards nahe. Immerhin basiert das ICD seinerseits nur auf etablierten wissenschaftlichen Konsensen. Der wissenschaftliche Stand ist also längst ein ganz anderer.
Ausschluss nichtbinärer und intergeschlechtlicher Menschen
So seien transgeschlechtliche Identitäten vielfältig und nicht auf "Frauen" und "Männer" reduzierbar. Der Ausschluss von Menschen, die aus diesen Selbstverständnissen herausfallen, widerspricht aber den wissenschaftlichen Daten, so die beiden Verbände: "Körpermodifizierende Maßnahmen können bei genderdysphorischem Erleben indiziert sein und stellen prognostisch günstige Behandlungen dar" – und zwar unabhängig davon, ob eine transgeschlechtliche Person binär oder nicht-binär empfindet.
Dasselbe gilt darüber hinaus auch für intergeschlechtliche Menschen, denen mit körpermodifizierenden Maßnahmen geholfen werden könnte. Die Begutachtungsanleitung knüpft den Zugang zu Maßnahmen jedoch daran, dass auch sie sich als Frauen oder Männer identifizierten. Dabei gilt in Deutschland mit dem Geschlechtseintrag "divers" seit 2018 eine Anerkennung zumindest von intergeschlechtlichen Identitäten (queer.de berichtete).
"Alltagstest" ist ethisch bedenklich
Auch die Beibehaltung des sogenannten Alltagstests stößt bei den beiden queeren Verbänden auf Kritik. Dabei handelt es sich um die Festlegung, dass transgeschlechtliche Personen zunächst ein Jahr "in ihrem Identifikationsgeschlecht leben" sollten, ehe ihnen auch nur der Zugang zu Therapien mit Hormonen gewährt wird. Das bedeutet etwa für transgeschlechtliche Frauen, dass sie ohne Veränderungen des Körpers ein Jahr lang durchgehend weiblich konnotierte Kleidung zu tragen haben und sich mit einem weiblich konnotierten Namen vorstellen sollen.
In der Stellungnahme weisen die beiden Verbände darauf hin, dass solche Alltagserfahrungen für die betreffenden Menschen zwar durchaus hilfreich sein könnten. Umgekehrt könne jedoch nicht gelten, dass sich eine Person, die in einem "transnegativen" Kontext lebe, so lange Diskriminierung und Gewalt aussetzen müsse, nur um die Voraussetzungen für die Maßnahme zu erfüllen. Hier melden die Verbände ethische Bedenken an. Zudem verweisen sie auf das Problem, das nichtbinäre und manche intergeschlechtlichen Personen mit dieser Maßgabe hätten. Wie sollte eine "Alltagstest" bei ihnen aussehen, der sie zu körpermodifizierenden Maßnahmen berechtigt?
Anleitung nagelt Trans auf ihr Leiden fest
Durch den gesellschaftlichen Wandel habe die Zahl der transgeschlechtlichen Personen, die ihre Transition ohne einen "erheblichen Leidensdruck" erlebten, zugenommen. Die Verbände gehen in ihrer Stellungnahme von 30 Prozent der Menschen aus, bei denen deshalb keine psychischen Symptome vorlägen – und machen klar, dass diese Zahl in Zukunft weiter steigen müsse. Das Vorliegen eines solchen Leidensdrucks jedoch wird auch in der erneuerten Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes eingefordert, um die Finanzierung von medizinischen Maßnahmen zu begründen.
Doch auch ohne psychische Symptome und einen "erheblichen Leidensdruck" liege bei transgeschlechtlichen Menschen eine Geschlechterinkongruenz vor. Was diese Menschen daher bräuchten, wären gute Informationen und eine respektvoll gestaltete Gesundheitsversorgung, keine zwangsweise auferlegte Psychotherapie. Anders ausgedrückt müssten nach Maßgabe der kritisierten Anleitung transgeschlechtliche Personen erst psychisch erkranken, ehe sie medizinisch versorgt werden.
Fragwürdiger Umgang mit wissenschaftlicher Evidenz
Insgesamt werfen die Verbände dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen vor, selektiv bestimmte Befunde aus der Forschung isoliert zu haben. Wichtige Erkenntnisse würden "systematisch ausgeblendet". Die negativen Folgen dieses Vorgehens seien bereits eingetreten. So sei seit Inkrafttreten keinem einzigen Antrag einer nichtbinären Person auf Kostenerstattung für medizinische Maßnahmen stattgegeben worden. Damit seien Menschen mit einer fachlich eigentlich vorliegenden Indikation aus der medizinischen Versorgung ausgeschlossen worden.
Die Verbände warnen vor den Konsequenzen: Nichtbinäre trans Personen müssten so tun, als seien sie binär und sich so aufs Neue in eine Situation der Nicht-Anerkennung begeben. Dies habe "erhebliche Negativkonsequenzen für die seelische Gesundheit über die Zunahme von Minority-Stress und der damit einhergehenden Konflikte" zur Folge. Dieser Effekt der Ausgrenzung nichtbinärer Menschen aus der Gesundheitsversorgung wird beispielsweise in den eingangs genannten S3-Richtlinien bereits beschrieben.
Es geht schlicht darum, den bisherigen Gutachtern und Zwangstherapeuten ihre Geldquelle und ihr Hobby (trans Personen quälen) zu erhalten.
Die DGTI ist aus dem BVT* wegen dessen Haltung zu gatekeeping ausgetreten. Man kann übrigens auch bei Beratungsstellen schweres Geld damit verdienen, an die sich trans Personen hauptsächlich wegen psychomedizinischem gatekeeping wenden, auch als trans Person mit Psychomediziner-Status.
Es könnte ja jemand fragen, warum, wenn trans sein keine 'psychische Krankheit' ist, Psychomediziner nach wie vor, und noch intensiver als bisher, Macht über trans Personen und ihre Körper ausüben können sollen!