Im Fall des Kölners Sven W., der 2016 am Rande des CSD Köln von Polizisten aus mutmaßlich schwulenfeindlichen Motiven beleidigt, niedergeschlagen, eingesperrt und nackt ausgesetzt worden war, gibt es nun die nächste empörende Wendung. Drei Gerichte hatten die Bemühungen der Staatsanwaltschaft, Sven W. verurteilen zu lassen, ins Leere laufen lassen. Nun wurde bekannt: Dieselbe Oberstaatsanwältin, die so massiv gegen den Kölner vorgegangen war, hat Ermittlungen gegen die Beamten längst wieder eingestellt. Grund: Verurteilung unwahrscheinlich, außerdem: kaum öffentliches Interesse. Informiert wurde das Opfer darüber aber nicht.
Die Einstellung der Ermittlungen verwundert, schließlich war der Fall seit Jahren in vielen Medien präsent, allein queer.de hatte siebenmal berichtet. Die Empörung darüber, dass der nun 30-Jährige wegen Körperverletzung, Widerstands, falscher Verdächtigung und Beleidigung angeklagt worden war, hing auch mit einer gestiegenen Öffentlichkeit für das Problem rechtswidriger Polizeigewalt zusammen. Weil der Fall so brisant war, ließ sich sogar das Justizministerium des bevölkerungsreichsten Bundeslandes regelmäßig über den Fortgang in der Angelegenheit informieren.
Die angeblich unwahrscheinliche Verurteilung der Polizisten darf ebenso stutzig machen, schließlich befanden gleich zwei Richter, die das eigentliche Opfer freigesprochen hatten, dass es deutliche Anzeichen für mehrere Straftaten durch die Beamten gegeben habe. Über die Hintergründe der neuesten Entwicklung berichtete am vergangenen Donnerstag das WDR-Magazin "Monitor".
Anwalt von Sven W.: "Das ist schon ernüchternd"
Ein Jahr lang, nach dem letzten Freispruch von Februar 2020, hatten Sven W. und sein Anwalt bei der Staatsanwaltschaft Köln um Akteneinsicht gebeten. Sie wollten herausfinden, ob die Staatsanwaltschaft endlich gegen die beteiligten Polizeibeamten ermittelt, wie von zwei Gerichten angemahnt. Darauf haben sie lange Zeit keine Antwort erhalten. Im April dieses Jahres erfuhren sie dann von vollendeten Tatsachen: Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage von 750 Euro, und zwar schon Wochen zuvor. Dass überhaupt dieselbe Staatsanwältin, die sich so hartnäckig geweigert hatte, Fehlverhalten bei den Polizisten zu erkennen, mit den Ermittlungen gegen sie beauftragt war, ist bereits fragwürdig.
Im "Monitor"-Bericht äußerte sich auch der Polizeiforscher und Kriminologe Tobias Singelnstein: "Es gibt ein erhebliches öffentliches Interesse, auch allgemein bezüglich rechtswidriger polizeilicher Gewaltausübung". Dass der öffentlich so bekannte Fall nun ohne Hauptverhandlung erledigt sein soll, sei aus seiner Sicht "nicht in Ordnung". Der Anwalt von Sven W., Jürgen Sauren, weist darauf hin, dass sein Mandant seit vier Jahren wegen eines winzigen Vorwurfs verfolgt worden sei. Umgekehrt würden die Polizisten nicht mit der gleichen Intensität überprüft: "Das ist schon ernüchternd".
Georg Restle kommentierte in seiner Abmoderation des "Monitor"-Beitrags, dass sich an solchen Fällen vermutlich in Zukunft auch nichts ändern werde, so lange Staatsanwaltschaften ermittelten, die "aufs engste mit der Polizei verbunden sind". Seit Jahren fordert etwa Amnesty International unabhängige Ermittlungsstrukturen in Fällen von mutmaßlich rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland.
Schmerzensgeldklage gegen Nordrhein-Westfalen
Nun klagen Sven W. und sein Anwalt gegen das Land NRW, das als Arbeitgeber der Beamten wenigstens zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet werden könnte. Doch der Anwalt des Bundeslandes ließ schon mal durchscheinen, wie wenig Sensibilität immer noch für den Fall des Kölners herrscht: Für Schmerzensgeld gäbe es gar keinen Anlass, ließ der Anwalt in einer Erwiderung wissen – immerhin hätte Sven W. durch die erfolgten Freisprüche bereits Genugtuung erfahren.
Das ist auch vor dem Hintergrund der psychischen Folgen, die die Übergriffe und die juristische Verfolgung durch alle Instanzen für das Opfer hatten, zynisch: Der nun 30-jährige hatte sein Lehramtsstudium abbrechen müssen, war danach auf Hartz IV angewiesen. Stattdessen muss er sich seit nunmehr vier Jahren mit einer juristischen Aufarbeitung herumschlagen, die aus einem Opfer einen angeklagten, vermeintlichen Täter gemacht hat.
"Das brauchst du doch, du Schwuchtel"
Der Vorfall hatte sich Anfang Juli 2016 am Rande der Kölner Parade zum Christopher Street Day ereignet. Nachdem Sven W. zwei bedrängten Frauen bei den Toiletten einer "McDonald's"-Filiale unterstützend zur Seite stand, brach eine Rangelei aus. Die von den Mitarbeiter*innen herbeigerufene Polizei ging auf Sven W. los, nach einem Schlag ging er zu Boden. Der Kölner wurde heraus geschleift, in der Folge noch getreten und weiter ins Gesicht geschlagen. Der Schläger soll dies mit "Das brauchst du doch, du Schwuchtel" kommentiert haben.
Auf der Wache wurde Sven W. rechtswidrig Blut abgenommen. Nach sieben Stunden wurde er mitten in der Nacht in Unterwäsche vor die Hintertür gesetzt. Seine Kleidung durchnässten die Beamten zuvor, um sicherzustellen, dass das Opfer friert.
Polizeischülerin sagte gegen aggressive Kollegen aus
Als es vor dem Amtsgericht Köln zum ersten Prozess gegen das Opfer kam, traute sich eine damalige Polizeischülerin, gegen ihre Kollegen auszusagen. Nicht der Angeklagte sei aggressiv gewesen, sondern die festnehmenden Beamten. Schon das Amtsgericht hatte Hinweise gesehen, dass mindestens einer der Beamten "außerhalb der Verhältnismäßigkeit" gehandelt habe. Es notierte, es gebe deutliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen der beteiligten Beamten (queer.de berichtete).
Im April 2019 sprach auch das Landgericht den Kölner frei. Mit den Tränen kämpfend erklärte der Richter damals, dass er als Vertreter des Staates dem Gericht vorstehe. Er schäme sich, sagte der Richter, und bat den Freigesprochenen um Entschuldigung. Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft hielt er für haltlos. Es seien vielmehr die Handlungen der Beamten gewesen, die als Straftaten zu werten seien (queer.de berichtete).
Doch Sven W. musste noch ein mal vor ein Gericht: Wieder ging die Staatsanwaltschaft in Revision, wollte sich mit dem Urteil nicht abfinden. Erneut gab es einen Freispruch – diesmal in letzter Instanz. Eine Beleidigung, die der Angeklagte einem Beamten entgegengeschleudert hatte, wertete das Gericht als wechselseitige Beleidigung, was zur Straffreiheit führte. Auch das Oberlandesgericht mahnte bei der Urteilsverkündung an, die Strafverfolgung gegen die beteiligten Beamten zeitnah zu beginnen (queer.de berichtete).
Update 15.30h: SPD fordert Aufklärung vom Innenminister
Die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag fordert in einer Pressemitteilung vom Montag "Transparenz und Aufklärung" über die Einstellung des Verfahrens. "Der Fall macht uns seit seinem Bekanntwerden regelmäßig fassungslos. Aber diese neuerliche Wendung setzt dem Ganzen noch die Krone auf", erklärten die beiden Abgeordneten Hartmut Ganzke und Sven Wolf.
"Wir erwarten von der Landesregierung umfassende Transparenz über den Vorgang und fordern Minister Reul zum Bericht im kommenden Innenausschuss auf", so die beiden SPD-Politiker. "Darin soll er uns darlegen, welche dienstrechtlichen Schritte gegen die Polizeibeamten unternommen wurden und ob er die Einschätzung teilt, dass an dem Fall kein öffentliches Interesse bestehe."
Ganzke und Wolf kritisierten zudem, dass die Landesregierung "nicht proaktiv" über die Einstellung des Verfahrens berichtet habe. "Der Fall wirft nunmehr weitere Fragen auf, zu denen sich die Landesregierung verhalten und für Aufklärung sorgen muss."
Richter mahnen hier Ermittlungen an - keine kommt. RECHTSstaat....