Wer darf Drag? Die Frage klingt überflüssig – scheinen starre Grenzen, gerade in Bezug auf das Geschlecht, doch im Konflikt mit der Idee von Drag zu stehen. Eine neue Netflix-Komödie verhandelt sie trotzdem. Allerdings nur sehr kurz. Zu tief möchte man dann doch nicht in die (heiklen) Fragen um Identitäten und Privilegien eintauchen, die die LGBTI-Community mitunter beschäftigen.
Das vermeintliche Skandalpotenzial, dass eine (cis) Frau in einem Schwulen-Club als Dragqueen auftreten könnte, dient allerdings als griffiger Aufhänger der schwedischen Komödie "Dancing Queens". Letztlich rückt das Drehbuch von Denize Karabuda und Helena Bergström, die auch die Regie übernahm, aber das Heilungspotenzial des Tanzens im Allgemeinen – und das Performen umgeben von warmherzigen, älteren Klischee-Schwulen im Besonderen – in den Vordergrund.
Flucht von der tristen Insel nach Göteburg
Heilung kann die 23-jährige Dylan Pettersson (Molly Nutley) dringend gebrauchen. Erst vor siebzehn Monaten ist ihre Mutter verstorben, mit der sie durch die gemeinsame Tanzleidenschaft dem bisweilen tristen Alltag auf einer kleinen Insel in den Bohuslän-Schären trotzte. Geblieben ist ihr ein liebevoller, aber oftmals überforderter Vater, der im familieneigenen Gemischtwarenladen nun umso mehr auf die Unterstützung seiner Tochter angewiesen ist, und eine herzlich-quirlige Großmutter – aber auch eine gewisse Perspektivlosigkeit. Eine kleine örtliche Kindertanzschule betreibt sie zwar mit viel Herzblut, ein Plan für die Zukunft fehlt Dylan dennoch.
Das – und damit auch die Stimmung des bis zu diesem Punkt eher tristen Filmes – scheint sich schlagartig zu ändern, als besagte Großmutter im Netz auf einen Casting-Termin für ein Ensemble des renommierten Storan-Theaters in Göteborg stößt. Nach längerem Überreden bricht Dylan zwar in die Großstadt auf, muss aber bald feststellen, dass sich Oma im Datum geirrt hat. Die zwei scharfzüngigen Ladys, die sie vor Ort davon in Kenntnis setzen, überreden sie direkt dazu, den Club der schwulen Tanzgruppe zu putzen, die gerade für ihre neue Show probt. Das "weshalb" bleibt vage – selbst für einen Feelgood-Movie, in dem nun mal das eine auf magische Art zum anderen führt, wirken Verbindungen und Zusammenhänge störend konstruiert.
Der warmherzige, lustige Schwule
Poster zum Film: "Dancing Queens" läuft seit 3. Juni 2021 auf Netflix
Dylan hat noch nicht einmal angefangen, den Wischmopp zu schwingen, da wird sie von Choreograf Viktor (Fredrik Quinones) schon auf die Bühne gebeten, um ihm bei einer Nummer als Dummy zu assistieren. Natürlich erkennt er ihr Talent sofort, hätte sie überaus gerne für seine Show – aber Frauen als Dragqueens? Das geht nun mal nicht, nur schwule Männer dürfen auftreten.
Irritierenderweise wird besagtes Talent vom Film mehr behauptet als vorgeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es zwar schon die ein oder andere Tanzszene zu sehen – wesentlich über Schulabschlussball-Niveau ging das aber nicht hinaus. Für eine Komödie, die gleichsam auch Tanzfilm ist, durchaus problematisch.
Nicht weniger Fragen wirft die Vehemenz – ja sogar Verzweiflung – auf, mit der die schwule (Laien-)Crew an neuen Schritten arbeitet. Obwohl es sich augenscheinlich um einen regulären Club mit regulären Partys handelt, scheint nicht weniger als seine Fortexistenz vom Gelingen der nächsten Show abzuhängen. Wie gelegen kommt es da, dass sich Dylan prompt als Mann verkleidet und sich so ein Vortanzen erschleicht. Auch hier bleibt das "weshalb" vage.
Der Schock, wenn "die Wahrheit" ans Licht kommt
Man könnte sich außerdem fragen, ob sich niemand an ihrer schlechten Tarnung (zusammengebundene Haare, eine verstellte Stimme und ein Kapuzenpulli müssen genügen) stört, weil der Film fortschrittlich genug ist, um seine queeren Figuren jenseits tradierter Geschlechterrollen denken zu lassen. Weil sich die Performer damit zufriedengeben, dass sich Dylan als Mann identifiziert – "Passing" hin oder her. Dem ist, wie die schockierten Reaktionen nahelegen, als "die Wahrheit" ans Licht kommt, allerdings nicht so. Eine Frau als Dragqueen: Ein Privileg, das ihr nicht zustehe, weil sie dafür nicht denselben Preis wie ein Mann bezahlen müsse, heißt es dann.
Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen hat nämlich jeder der schwulen Männer im Film gemacht – eine queere Identität, deren Quintessenz sie nicht sind, scheint zumindest in "Dancing Queens" undenkbar. Selbst der maskuline Viktor, der zwischenzeitlich trotz Homosexualität und Partnerschaft beinah zu Dylans "Love Interest" zu werden droht (auch das: irritierend), wird auf Schwedens Straßen offen angefeindet.
Gemeinsam mit einigen anderen Elementen, wie der bemüht anrührenden Storyline um den gealterten Besitzer, der immer noch zu "I will survive" auftreten will und nie über den Tod einer jungen Queen hinweggekommen ist, ergibt sich eine bunte Mixtur aus abgedroschenen Homo-Klischees. Eine, die scheinbar nur bemüht wird, weil Schwule eben so schön lustig und warmherzig sind, dass sie das perfekte Accessoires für ein im Kern sehr bieder konstruiertes "Wohlfühlkino" abgeben.
Infos zum Film
Dancing Queens. Komödie. Schweden 2021. Regie: Helena Bergström. Darsteller*innen: Molly Nutley, Fredrik Quiñones, Marie Göranzon. Laufzeit: 111 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung, schwedische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional). Ab 3. Juni 2021 exklusiv auf Netflix