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Zehnter Verhandlungstag

Missbrauchsprozess: Kripo-Beamter als Zeuge befragt

Im Prozess gegen den Berliner #ArztOhneNamen wegen sexuellen Missbrauchs von Patienten berichtet ein pensionierter Polizist von schlüssigen Aussagen mutmaßlich Geschädigter beim Erstatten der Anzeigen. Der Arzt bestreitet alle Vorwürfe.


Eingangshalle des Kriminalgerichts Moabit: Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft einem in der schwulen Szene bekannten HIV-Spezialisten vor, fünf Patienten in seiner Praxis sexuell missbraucht zu haben. Insgesamt sind 22 Verhandlungstage anberaumt (Bild: John K. Peck / twitter)
  • Von Peter Fuchs
    11. Juni 2021, 06:23h - 5 Min.

Der zehnte Verhandlungstag vor dem Amtsgericht Tiergarten im Prozess gegen den #ArztOhneNamen lief am Donnerstag mit lauter Musikuntermalung. In Saal 501 wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt, während durch die geschlossenen Fenster die Bässe wummerten. Auf der Turmstraße vor dem Gericht war es zu einer Spontandemo von Unterstützer*innen des linksalternativen "Köpi"-Wagenplatzes gekommen, die gegen das Urteil der Zwangsräumung mit Musik protestierten.

Im Saal 501 hatten die Verfahrensbeteiligten mit dieser Lärmkulisse Schwierigkeiten, die Zeugen zu verstehen. Einer davon war ein ehemaliger Kriminalpolizist, der bis zu seiner Berentung am Landeskriminalamt Keithstraße im Dezernat Sexualdelikte tätig war. Dort nahm er in den Jahren nach den angeklagten Vorfällen als erster Polizist Anzeigen von mutmaßlich Geschädigten durch den #ArztOhneNamen auf. Als Zeuge wurde er geladen, um über handschriftliche Korrekturen des Datums der Vorfälle in den Vernehmungsprotokollen auszusagen.

Scham, sich ganz ausziehen zu müssen

Ob er sich an die Situationen von damals erinnern könne, wollte der Vorsitzende Richter Rüdiger Kleingünther wissen. Der 66-jährige Mann bejahte die Frage, denn "da waren einige", so der ehemalige Kriminalpolizist. Die Vorfälle seien sich auch sehr ähnlich gewesen. Besonders erinnere er sich, dass oft von Scham die Rede gewesen sei, sich scheinbar grundlos ganz ausziehen zu müssen. Das erkläre er sich damit, dass einige der Männer aus dem arabischen Raum stammten.

Die Staatsanwältin befragte den Rentner nach den Details der Vernehmungssituation. Der ehemalige Polizeibeamte beschrieb, dass er auf lange Vorgespräche setzte, damit eine "lockere Atmosphäre" entstehen habe können. Die Aussagen seien von einer "Schreibdame" in den Computer getippt worden, weil er nur "langsam schreiben" könne. Diese Kolleginnen hätten wörtlich protokolliert, er habe nichts schreiben lassen, was die Betroffenen nicht gesagt hätten. Im Anschluss sei den Betroffenen das Protokoll zur Unterschrift vorgelegt worden und sie hätten die Möglichkeit bekommen, Korrekturen vorzunehmen.

Als die Staatsanwältin bei dem Zeugen nachhakte, ob er in seiner jahrelangen Tätigkeit mit Opfern von Sexualdelikten auch Erfahrungen mit Falschaussagen gemacht habe, ging Verteidiger Johannes Eisenberg dazwischen. Der ehemalige Kriminalpolizist habe keine "eigene Wahrhaftigkeitskompetenz", so Eisenberg, und sei nicht für ein "aussagepsychologisches Gutachten" als Zeuge geladen worden.

Die Anklägerin formulierte daraufhin um. Eisenberg ging jedoch erneut dazwischen. Die sonst so gleichmütig auf den Verteidiger reagierende Staatsanwältin erinnerte Eisenberg daran, dass auch er sich an die Strafprozessordnung zu halten habe und dass seine häufigen Störaktionen nur den Zweck verfolgen würden, ihre Befragungen zu sabotieren.

Anwalt Eisenberg erneut vom Richter gerügt

Die sehr emotional vorgetragene Antwort Eisenbergs ging daraufhin in der lauten Stimme des Vorsitzenden Richters unter, der die Staatsanwältin bestätigte. Es sei Sabotage, so Kleingünther gegenüber Eisenberg, und wenn er es könnte, würde er "andere Maßnahmen" dazu ergreifen.

Als sich die Situation wieder abgekühlt hatte, antwortete der Zeuge, dass vieles für ihn in den Anzeigen schlüssig gewesen sei. Bei der anschließenden Begutachtung der Vernehmungsprotokolle erklärte der Mann, dass die handschriftlichen Korrekturen nicht von ihm stammten. Daher müssten sie jeweils von den Betroffenen ausgeführt worden sein.

Einer dieser Betroffenen war der Belastungszeuge vom letzten Verhandlungstag. Deshalb hatte Tag 10 auch mit einer Einlassung der Verteidigung zu dessen Befragung begonnen (noch bevor die Musik auf der Straße einsetzte).

Die verschiedenen Versionen des Gedächtnisprotokolls des mutmaßlich Geschädigten umgebe zwar die "Aura des Authentischen", so Eisenberg, aber die für die Verteidigung unzureichenden Erklärungen zu Datierungen und Bearbeitungen ergäbe, dass das Protokoll "interpretiert und gestaltet" sei.

Der mutmaßlich Geschädigte habe während der Untersuchung außerdem alle Erklärungen und Handlungen des angeklagten Arztes fälschlicherweise sexualisiert aufgenommen. Die Frage, ob er "täglich spüle", sei zum Beispiel medizinisch indiziert gewesen. Der angeklagte Arzt habe diese Frage stellen müssen, denn nach so einer Spülung wäre der Analabstrich nicht aussagekräftig gewesen.

Der erste Entlastungszeuge

Beim Belastungszeugen seien also "die Grenzen zwischen Realität und Fiktion" gefallen. Als der angeklagte Arzt wegen Masturbierens die Untersuchung abgebrochen habe, sei der Patient in seiner Eitelkeit verletzt gewesen. Damit erklärten sich auch seine Versuche, Belastungszeugen gegen den angeklagten Arzt zu finden. Der mutmaßlich Geschädigte sage auch "bewusst die Unwahrheit, um das Machtgefälle zwischen Arzt und Patient zu skandalisieren".

Eisenberg stellte daraufhin den Beweisantrag, einen weiteren Zeugen, einen Mann aus Israel, zu laden. Der Mann sei auch Patient des angeklagten Arztes gewesen und sei von einer ihm unbekannten Nummer angerufen worden. Der Anrufer habe sich mit dem Vornamen des Belastungszeugen vorgestellt. In der Hauptverhandlung konnte die Verteidigung herausfinden, dass es sich um die Handynummer des Belastungszeugen gehandelt habe.

Der Anrufer soll versucht haben, den Mann aus Israel zu überreden, Anzeige gegen den #ArztOhneNamen zu erstatten. Dabei seien Zitate gefallen wie der #ArztOhneName sei "reich und könne am anderen Ende der Welt neu anfangen" oder man müsse sich gegen "die Machtausübung eines Arztes wehren." Das erweiterte Schöffengericht ließ den Mann aus Israel als Zeugen zu.

Die Anwältin des Nebenklägers als Zeugin

Zum Ende des Verhandlungstags trat Barbara Petersen, die Anwältin des Belastungszeugen, in den Zeugenstand. Sie wurde befragt, warum das Gedächtnisprotokoll ihres Mandanten erst am Tag seiner Befragung bei Gericht vorgelegt wurde und nicht schon bei der Vernehmung durch die Polizei.

Für sie sei ein Protokoll kein Beweismittel, sondern diene der Informationsbeschaffung, wenn sie einen Mandanten übernimmt. Sie bekomme auch meistens zu einem Zeitpunkt von solchen Protokollen Kenntnis, wo noch unklar sei, wo "das hinläuft". Ihrer Erfahrung nach schreiben Mandant*innen diese Protokolle zur eigenen Bewältigung der Vorfälle und zu therapeutischen Zwecken. Außerdem kenne sie "Widerstände der Polizei" gegen solche Notizen, weil diese das Hauptaugenmerk nur auf die Vernehmungsprotokolle lege.

Als am ersten Verhandlungstag der erste Belastungszeuge sein Gedächtnisprotokoll vorlegt hatte, war das dann auch zwischen ihr und ihrem Mandanten wieder Thema, weshalb aus Gründen der Transparenz alle Versionen eingereicht wurden.

Der Prozess wird am 14. Juni mit der Befragung des Zeugen aus Israel fortgesetzt.

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