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Polizeigewalt beim CSD
Sven W.: Entschädigung wahrscheinlich, Aufklärung eher nicht
Der Justizskandal um den 2016 von Polizisten homophob angegriffenen Kölner CSD-Teilnehmer hatte am Donnerstag ein Nachspiel im NRW-Innenausschuss. CDU-Minister Herbert Reul eierte herum.
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11. Juni 2021, 10:39h 8 Min.
Am Donnerstag befasste sich der Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags erneut mit der homophoben Polizeigewalt gegen den Kölner CSD-Teilnehmer Sven W. vor fünf Jahren. Die SPD hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt, nachdem Ende Mai bekannt wurde, dass die Kölner Staatsanwaltschaft auf eine Anklage der mutmaßlich schwulenfeindlichen Schläger in Uniform verzichtete (queer.de berichtete). Politiker*innen und Aktivist*innen hatten mit Unverständnis auf den unwürdigen Fortgang des Justizskandals reagiert.
In drei Prozessen war eine Oberstaatsanwältin der Rheinmetropole gegen das eigentliche Opfer einer ganzen Reihe von Straftaten vorgegangen. Sven W. war am Rande des Kölner CSD 2016 an Polizeibeamte geraten, die ihn schlugen, homophob beschimpften, einsperrten und nachts kaum bekleidet einfach aussetzten (queer.de berichtete). Es kam zu einem juristischen Nachspiel – doch auf der Anklagebank saß stets Sven W., nicht seine Peiniger. Gleich zwei Richter hatten nach der Beweisaufnahme deutlich gemacht, dass sie bei den am fraglichen Tag eingesetzten Polizisten strafbares Verhalten sahen. Einer entschuldigte sich sogar mit den Tränen ringend beim Opfer (queer.de berichtete). Dreimal wurde Sven W. freigesprochen (queer.de berichtete).
Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft in Köln tatsächlich ein Verfahren gegen die am fraglichen Tag eingesetzten Beamten eröffnet – um es dann sang- und klanglos gegen Zahlung eines geringfügigen Betrages einzustellen und zunächst niemanden darüber in Kenntnis zu setzen. Nur durch ständige Nachfragen nach Akteneinsicht kam der Vorgang schließlich ans Licht. Das WDR-Magazin "Monitor" fragte dann bei der Landesregierung nach, doch auch die erfuhr erst durch diese Anfrage überhaupt von der Einstellung. Dabei hatte sie sich über den Vorgang bisher auch wegen des großen öffentlichen Interesses regelmäßig unterrichten lassen. Eingestellt hatte das Verfahren dieselbe Oberstaatsanwältin, die Sven W. zuvor dreimal vor ein Gericht gebracht und sich nicht mit den Freisprüchen und den Einschätzungen der Gerichte abgefunden hatte.
Was Gerichte feststellen, interessiert die Staatsanwaltschaft nicht
Grundlage der Aussprache im Innenausschuss war ein kurz zuvor veröffentlichter schriftlicher Bericht von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an die Mitglieder (PDF). Das Dokument besteht in erster Linie aus einer ausführlichen Stellungnahme der Kölner Staatsanwaltschaft, in dem diese ihr Vorgehen rechtfertigt. Detailliert beschreibt sie einzelne Aspekte des Falls und paraphrasiert die Einschätzungen der Gerichte, die mehrfach Strafbarkeiten bei den Beamten, nicht jedoch bei Sven W., gesehen hatten. Egal ob Körperverletzungen, Schläge und Tritte, Beleidigungen, die mutmaßlich illegale Blutentnahme oder das entkleidete Aussetzen mit nachgereichter, durchnässter Kleidung mitten in der Nacht: In allen Fällen findet die Staatsanwaltschaft fadenscheinige Gründe, warum die Einschätzungen der Gerichte für sie schlicht nicht bindend sind.
Ja, das Gericht habe zwar Körperverletzungen gegen Sven W. gesehen, aber sich doch gar nicht damit beschäftigt, dass Sven W. zuerst geschlagen habe. Und ob Polizeibeamte tatsächlich, wie von den Gerichten in ihren Urteilen festgestellt, zugeschlagen hätten, sei darüber hinaus nur durch einen Teil der Zeug*innen gedeckt. Auch die Entnahme von Blut ohne richterlichen Beschluss findet die Staatsanwaltschaft, anders als Gerichte, unproblematisch – schließlich habe es Probleme in den Arbeitsabläufen zwischen den eingesetzten Beamten, Ermittlungsrichtern und der Staatsanwaltschaft an besagtem Tag gegeben. Statt aus dem Fehlen der Voraussetzungen für eine Blutentnahme darauf zu schließen, dass die Entnahme illegal gewesen sein könnte, fand man eine kreative Lösung: Es habe Gefahr in Verzug vorgelegen, schließlich baue sich Alkohol mit der Zeit ab. So zieht sich durch das Dokument eine Spur fadenscheiniger, ja absurder Rechtfertigungen illegalen Polizeiverhaltens. Man bekommt den Eindruck, als wolle die Staatsanwaltschaft sagen: "Ja, das war vielleicht alles nicht ganz so eindeutig legal, aber die Polizisten sind doch die Guten!"
Dass ein Gericht eine Freiheitsberaubung gegen Sven W. gesehen hatte, nimmt man zum Beispiel sportlich: Man sehe das eben selbst nicht so. Oder das Aussetzen des Opfers, nackt, mit hinterhergeworfener, durchnässter Kleidung: Ja, aber es gebe eben auch unter den Polizeibeamten Zeugen, die dies bestreiten. Zwar habe in Bezug auf Schläge und Tritte im und vor dem Schnellrestaurant durchaus ein ausreichender Anfangsverdacht gegen die Beamten vorgelegen, räumt die Staatsanwaltschaft ein. Eingestellt wurde das Verfahren dennoch – unter anderem, weil die Polizeibeamten doch bisher unbestraft seien und vor allem eine "lang andauernde mediale Vorverurteilung" vorgelegen habe.
Auch angesichts des großen medialen Interesses am Fall hat die Staatsanwaltschaft Köln eine spitzfindige Idee, wie sich eine Einstellung des Verfahrens dennoch rechtfertigen lässt: Man müsse, heißt es in der Mitteilung, zwischen "öffentlichem Strafverfolgungsinteresse" und der "öffentlichen Interessiertheit" unterscheiden. Anders ausgedrückt: Was öffentliches Interesse ist, entscheiden nicht Medien durch ihre Themenwahl und Bürger*innen durch ihre Aufmerksamkeit und Empörung, sondern die Staatsanwaltschaft selbst.
Innenminister Reul wirkt im Ausschuss uninformiert

Deutete eine Entschädigung für Sven W. an: NRW-Innenminister Herbert Reul (Bild: Foto-AG Gymnasium Melle / wikipedia)
Im Ausschuss eierte Innenminister Herbert Reul (CDU) in dem Fall schließlich zwischen deutlicher Verurteilung homophober Gewalt durch Polizist*innen und Relativierung hin und her. Gleich zu Beginn stellte er jedoch fest, dass Medien seit Jahren tatsächlich umfangreich über den Fall berichten. Das sah er jedoch vorrangig nicht als Beleg des öffentlichen Interesses, sondern dafür, dass nichts "unter den Teppich gekehrt würde". Die Justiz habe Sven W. eindeutig freigesprochen, doch: "Was die Schuld von zwei der eingesetzten Polizeibeamten betrifft, hat die unabhängige Justiz ebenfalls eine Entscheidung getroffen – da hat die Staatsanwaltschaft, übrigens mit Zustimmung des Gerichts, von einer Anklage abgesehen, weil sie zum einen keine besondere Schwere der Schuld erkennen konnte und zum anderen kein öffentliches Interesse gesehen hat."
Der Fall stelle sich für ihn anders dar als in Berichterstattung der Medien. Immerhin hätte Sven W. aufgrund eines lautstarken "und wohl auch handfesten" Streits von der Filialleiterin des Schnellrestaurants, in dem der Vorfall sich abspielte, ein Hausverbot bekommen. Daran habe er sich jedoch nicht gehalten. Außerdem sei Sven W. "stark alkoholisiert" gewesen und habe "unter Drogeneinfluss gestanden". Den Beleg für den aggressiv machenden Drogenkonsum sollen ausgerechnet Abbauprodukte von Cannabis im Blut liefern. Sven W. habe, fasst Reul die Situation zusammen, die Filialleiterin beschimpft und auch die Beamten, es habe also eine aufgeheizte Stimmung geherrscht.
Umfangreich warb Reul dann – und man muss sagen: mal wieder – für Verständnis für seine seinem Haus untergebenen Beamten. Diese hätten mit Sven W. "sicherlich keinen leichten Einsatz" gehabt, hätten in ihrem Arbeitsalltag "eben nicht immer mit supernüchternen und superrespektvollen Bürgerinnen und Bürgern zu tun". Sie müssten "in turbulenten Situationen Recht und Gesetz durchsetzen" und dabei "ad hoc buchstäblich innerhalb von Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen". Und sie müssten sich dabei "beschimpfen, bespucken und schlagen lassen" – als hätte das irgendetwas mit Sven W. zu tun.
Reul verharmlost homophobe Angriffe als "offenbar überreagiert"
Die andere Seite sei jedoch, dass die eingesetzten Beamten nach Feststellung des Landgerichts "offenbar überreagiert" hätten. Ein Beamter hat, und Reul sprach nicht im Konjunktiv, "dem jungen Mann in den Rücken getreten und ihn außerdem als 'dumme Schwuchtel' beleidigt". Das sei "natürlich total inakzeptabel". Er habe "die Erwartung, dass die Beamtinnen und Beamten tolerant sind", dass sie Schwule und Lesben schützten und sich nicht an der Gewalt gegen sie beteiligten. Als Reul versuchte zu sagen, für Homophobie sei in der Polizei kein Platz, hatte er deutliche Schwierigkeiten, das Wort korrekt auszusprechen.
Die Polizei habe in diesem Fall "Fehler gemacht" und er wünsche sich, dass sie bei derzeit stattfindenden Verhandlungen um ein mögliches Schmerzensgeld "noch mal nachlegt", so Reul. Gemeinsam mit dem Anwalt des jungen Mannes solle sie "eine kluge Lösung finden". Er glaube auch, "dass es der Polizei gut zu Gesicht steht, an dieser Stelle nicht zu formalistisch, juristisch und knauserig zu sein", auch, weil sich dieser Fall "inzwischen zum Symbolfall entwickelt hat", so der Innenminister. Das Symbol, das ausgesandt werden müsse, sei jedoch, dass für Homophobie in der Polizei kein Platz bestehe. Alle, die jetzt beteiligt seien, sollten "klug und nüchtern an einer Lösung" arbeiten.
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SPD-Abgeordneter Sven Wolf: "Dafür sind Sie Minister!"

Der SPD-Abgeordnete Sven Wolf hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt (Bild: Sjwz-remscheid / wikipedia)
Zum Schluss seiner Rede verwies Reul auf die lange Dauer der Aufarbeitung: "Seit 2016, es reicht" – und man könnte kurz auf die Idee gekommen sein, dass der Innenminister den entstandenen politischen Schaden wirklich begriffen hätte. Doch dann sprach SPD-Mann Wolf und wies Reul darauf hin, dass gar nicht die Polizei an der letzten laufenden Verhandlung beteiligt sei, sondern das Land selbst. "Wenn das ihr Wunsch ist, hier schnell eine Lösung in dem Zivilprozess zu finden, dann haben Sie alle Möglichkeiten dafür, dafür sind Sie Minister."
Wolf erinnerte daran, dass man den Fall Sven W. in Düsseldorf bereits mehrfach diskutiert habe: "Der macht uns immer wieder betroffen". Was alle umtreibe, sei, dass das Opfer bisher keine Gerechtigkeit bekommen habe. Der Abgeordnete verwies darauf, dass der Anwalt des Bundeslandes im Prozess gesagt habe, die Freisprüche für Sven W. seien bereits Entschädigung genug. Das fände er geschmacklos. Von Reul wollte er wissen, ob sich die Landesregierung diese Aussage ihres Anwalts zu eigen mache oder ob der Minister das noch mal klarstellen könne. Eine Antwort erhielt der SPD-Politiker nicht.
Keine genaue Auskunft bekam Wolf auch auf seine Frage, wann er mit einer Bewertung des justiziellen Vorgangs durch die Landesregierung rechnen könne. Die war nämlich schon in der schriftlichen Antwort mit Verweis auf laufende Prüfungen nicht enthalten. Ein Mitarbeiter aus dem Haus des Justizministeriums meldete sich zu Wort, wiederholte jedoch nur das Bekannte: Eine Stellungnahme seines Ministeriums verbiete sich, weil der zuständige Generalstaatsanwalt den Vorgang noch prüfe.
Der Bericht der Staatsanwaltschaft verfolge einen gewissen Zweck, nämlich, "auch weiterhin ein Schwarz-Weiß-Bild aufzustellen", kritisierte Sven Wolf im Innenausschuss. "Wenn ich mir diesen langen Bericht durchlese, habe ich an vielen Stellen Fragen", so der SPD-Politiker. "Aber ich habe auch den Eindruck: Ein bisschen wollen Sie sich hier aus der Affäre ziehen."
Links zum Thema:
» Der schriftliche Bericht von NRW-Innenminister Herbert Reul als PDF
















Dass es sich um keine bedauerlichen Einzelfälle handelt, zeigt auch die Auflösung einer ganzen, aus lauter Rechtsextremisten bestehenden Polizeieinheit in Hessen. Welche Minderheit in Deutschland soll eigentlich Vertrauen in die Polizei haben?