Das 47. Lesbenfrühlingstreffen fand im Mai virtuell statt (Bild: LFT)
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentiät und Intersexualität (dgti) ließ am vergangenen Donnerstag unter dem Motto "Wie weiter nach dem LFT?" diskutieren. Die Idee war, nach dem Konflikt um das letzte Lesbenfrühlingstreffen eine konstruktive Debatte über das Verhältnis von Lesben- und Transbewegung zu ermöglichen. Leider brachte der Abend nicht viel erhellendes – was nicht nur daran lag, dass die wenigen eingeladenen Vertreter*innen des Anti-Trans-Aktivismus abgesagt hatten.
Das 47. LFT, das jährlich in einer anderen Stadt stattfindet, wurde in diesem Jahr von einer Gruppe aus Bremen organisiert und hatte wegen mehrerer transfeindlicher Rednerinnen und Punkte im virtuell abgehaltenen Programm für Kritik und Distanzierung gesorgt (queer.de berichtete). Zugleich kam es aber auch zu Solidarität mit den Veranstalterinnen und zu ausdrücklicher Unterstützung für die Programmpunkte.
Teilnehmende der Online-Debatte, eine Video-Aufzeichnung ist weiter unten eingebunden
In der Nachbetrachtungs-Debatte waren sich insbesondere die älteren cis- und translesbischen Aktivist*innen im live auf Facebook übertragenen Gespräch einig, dass das Frühlingstreffen schon lange ein Ort kontroverser Auseinandersetzungen gewesen sei. So betonte Stephanie Kuhnen, Autorin vom für lesbische Sichtbarkeit streitenden Buch "Lesben raus!", dass die diesjährige Welle der Solidarisierung mit angegriffenen Transpersonen auch ein Ergebnis der teils harten Auseinandersetzungen der lesbischen Community und des LFT mit sich selber gewesen sei. Ihr Lob der Kontroverse rechtfertige aber nicht das Programm dieses Jahres, das "schlicht und ergreifend transfeindlich" gewesen sei.
Beim LFT ging es noch nie zimperlich zu
Die wenigen lichten Momente der Unterhaltung hatten auch ansonsten oft mit Kuhnen zu tun: Sie erzählte etwa, wie es in den 90ern heftige Kontroversen um das Thema BDSM gegeben habe. So seien von Lesben aus der Anti-Gewalt-Arbeit anwesende Dildos als großes Problem erachtet worden. Bei einem LFT in der Roten Flora in Hamburg habe es im Anschluss eine Party mit einem großen Darkroom gegeben, was bei Teilen des damaligen Publikums zu großem Unwohlsein geführt habe: "Also gab es beim Abschlussplenum einen Riesen-Ärger". Man habe dennoch im folgenden Jahr eine Lösung gefunden, indem man Sex-Workshops in einem dafür separierten Haus organisiert und eine Sexparty ebenfalls in einiger Entfernung inklusive Shuttleservice ausgerichtet habe. "Völlige Gegensätze wurden damals anders ausgehalten", auch im Streit mit der aufkommenden queerfeministischen Bewegung. Demgegenüber kritisierte sie, dass die Veranstalterinnen des diesjährigen LFT von beinharten Antifeministen Solidarität erhalten und diese dankbar angenommen hätten.
Die Einladung zur Online-Veranstaltung
Vertreter*innen von Institutionen, die das diesjährige Lesbenfrühlingstreffen durch Förderungen finanziert hatten, betonten im Panel, dass Kritik stets nur an einem Teil des LFT-Programms, nicht am LFT als solchem, geäußert worden sei. Außerdem habe man die zugesagten Finanzierungen nicht zurückgezogen. Magdalena Müssig, die für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld tätig ist, erklärte, dass es auch dieser Gedanke des Austauschs der Strömungen gewesen sei, der im Förderantrag an die Stiftung durch die LFT-Orgagruppe betont gewesen sei (queer.de berichtete). Kontroversen und Debatten müssten geführt werden, bräuchten aber einen Rahmen und ihre Grenzen. Wenn Menschenrechte von Personen angegriffen würden, wo es menschenfeindlich werde, könne jedoch keine Kontroverse stattfinden. Möglichkeiten zur Debatte habe es daher in diesem Jahr auf dem LFT auch nicht gegeben.
"Historischer Irrwitz"
Das bestätigte auch Bettina Schreck vom Projekt "100% MENSCH": "Ich war ziemlich entsetzt" war ihr Fazit über das, was sie bei den vorher kritisierten Vorträgen dann im Online-Programm des LFT zu sehen bekommen habe. Nicht so sehr hätten sie jedoch die Inhalte von der Bühne irritiert, denn die seien ja bekannt gewesen: "Was mich am meisten entsetzt hat, war der Chat nach den Vorträgen. Es war überhaupt keine Debatte möglich. Es waren relativ geschlossene Veranstaltungen, wo viel applaudiert wurde. In diesem Chat haben sich dann relativ ungefiltert Hass und eine Schimpfworttirade ergossen."
Schreck verwies darauf, dass es auch unter historischer Perspektive ein Irrwitz sei, was auf dem diesjährigen LFT passiert sei, insbesondere hinsichtlich der geschlechtlichen Vereindeutigung des Begriffs der Lesbe: "Ganz besonders sollten Lesben aus ihrer Geschichte wissen, dass sie nicht als richtige Frauen gelten, weil eben das Absprechen von Frausein Teil von Lesbenfeindlichkeit ist." Es sei nicht lange her, dass Lesben noch als Halbfrauen, Tribadinnen oder gar Hermaphroditen, eigentlich ein Ausdruck für intergeschlechtliche Menschen, bezeichnet worden seien. Im Übrigen sei "Radikalfeminismus" in der Vergangenheit etwas anderes gewesen. Das utopische Moment etwa fehle dem, was momentan unter diesem Label auftrete, völlig.
Positive Werte statt Kritik
Viele Beiträge wiederholten bekannte argumentative Formen gegen das transfeindliche Programm des diesjährigen Lesbenfrühlingstreffens, vermieden es aber oft, ins Detail zu gehen. Fragen wurden lieber aufgeworfen, statt sich an den Versuch einer Beantwortung zu wagen. Alexander S., ein Vertreter des Vereins Transmann, zeigte etwa sein Unverständnis, warum man auf Leute "aus den eigenen Reihen" einhaue, schließlich sei das Anliegen aller aus der LGBTI-Community, als Mensch in der Gesellschaft anerkannt zu sein. Dass und warum Transfeind*innen transgeschlechtliche Personen nicht als Teil der eigenen "Reihen" anerkennen, kam ihm nicht in den Sinn – und so konnte es auch nicht kritisiert werden.
Hier, wie auch an vielen anderen Stellen, wurde eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Argumenten und Vorwürfen transfeindlicher Aktivist*innen lieber vermieden. Stattdessen vertraute man vor allem auf die Friedfertigkeit und Inklusivität der eigenen Werte. So fand Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans, dass es nicht unbedingt hilfreich sei, mit wissenschaftlichen Zahlen auf die gezielten Infragestellungen der Transition von Jugendlichen einzugehen. Vielmehr würden Zahlen auch genutzt, um Menschen zu verunsichern und es sei für Außenstehende schwierig, sich in einer von Zahlen und Studien dominierten Debatte zu beteiligten. Hümpfners Empfehlung war es demgegenüber, Werte wie den der Selbstbestimmung stärker zu betonen. Würde man sich auf diesen im Feminismus eigentlich etablierten Wert besinnen, würde sich eine Diskussion um die Legitimität von Transgeschlechtlichkeit so gar nicht ergeben.
Der vermeintliche "Hype" um trans Jugendliche
Solchen Meinungen gegenüber standen etwa die Beiträge der Kinder- und Jugendtherapeutin sowie Gutachterin nach dem Transsexuellengesetz, Cornelia Kost, die versuchte, gegenwärtiger Mythenbildung um einen Transitions-"Hype" bei Jugendlichen zu widersprechen. Sie verwies darauf, dass die jährliche Zahl der transitionierenden Menschen seit Längerem mit einer gleichbleibenden Rate steige, was eben nicht auf eine plötzliche Explosion der Transitionswünsche von Jugendlichen verweise, sondern auf die kontinuierlich wachsende Akzeptanz und die Verbreitung von Wissen. Der von einigen Stimmen angeprangerte "Orkan" bei den Zahlen transgeschlechtlicher Jungs sei in Wahrheit ein leichtes Ansteigen, das sich wiederum ebenfalls durch ein Zahlenphänomen erklären lasse.
So trete das innere Coming-out bei transgeschlechtlichen Jungs auch aufgrund einer im Durchschnitt deutlich früher einsetzenden Pubertät eben auch früher auf. Die Zeit bis zum äußeren Coming-out sei bei Jungs ebenfalls kürzer als bei Mädchen respektive Frauen. Steigen nun insgesamt die Zahlen von Transitionen, zeige sich dies bei den Zahlen jugendlicher Jungs eben stärker als in anderen Alters- und Geschlechtsgruppen, ohne jedoch insgesamt ein Ungleichgewicht herzustellen. Bei Jugendlichen seien mit leicht steigender Tendenz gegenwärtig etwa zwei Drittel transmännlich. In der öffentlichen Debatte werde also "ein Gebilde aufgemacht, das mit der Realität sehr sehr wenig zu tun hat".
Marion Lüttig, Vorstandsfrau des teilweise mit dem Lesbenfrühlingstreffen verzahnten Lesbenringes, schloss sich dieser Entgegnung auf das von Transfeind*innen vorgebrachte Argument gegen die Transition von Jugendlichen an. Behauptungen, wonach insbesondere "Junglesben" dazu getrieben würden, zu Jungs zu werden, erteilte sie eine Absage und begründete das mit Verweis auf die doch angeblich geteilten feministischen Grundlagen. "Als Frauen*" kämpfe man in feministische Kreisen für die Selbstbestimmung in Fragen von Körper und Psyche. Darum würden sich etwa auch Lesben gegen das Abtreibungsverbot engagieren, Cis-Frauen gegen das Transsexuellengesetz auf die Straße gehen. Wenn dann Transkindern und Jugendlichen per se unterstellt werde, sie seien nicht entscheidungsfähig, finde sie das frappierend. Lüttig warf die Frage auf, wie es sein könne, dass die Gegenseite insbesondere vermeintliche Mädchen in eine Transition gedrängt sähe, vermeintliche junge Schwule jedoch nicht. Da gäbe es ein Momentum, als müssten Feministinnen jetzt angebliche Cis-Junglesben "retten", was ihnen massiv ihre Selbstbestimmungsrechte abspreche.
Das verknüpfte Lüttig mit dem Verhältnis der Bewegung zur Wahrheit: "Wir haben es in dieser Debatte, die ja als vermeintlich feministische Debatte geführt wird, mit so einer Art Fake News zu tun". Teilweise treffe sie Leute, mit denen sie in den Jahren 2013 und 2014 in Baden-Württemberg gegen die "Besorgten Eltern" und ihre Vorstellung einer "Frühsexualisierung" gestritten habe, jetzt im Lager der Transfeind*innen wieder an. Angewandte Diskursstrategien kenne sie eigentlich aus anderer Richtung: "Ich komme mir vor wie beim Gaslighting, oder bei einer Vernebelungstaktik, da wird einfach so getan, als sei das so, und vermieden, ernsthaft in die Debatte zu gehen, weil man es gar nicht will".
Gewaltvolle Tendenzen kritisieren – in beiden Kreisen
Einen leichten Anflug eines Dialogs der gegenüberstehenden Lager brachte dann immerhin Stephanie Kuhnen in ihrem Abschlussstatement mit ein. Sie verwies darauf, dass Leute, die sich im Konflikt der letzten Monate mit transgeschlechtlichen Menschen solidarisiert haben, in der Vergangenheit still waren, als es um Lesbenfeindlichkeit und Sexismus in der LGBTI-Community ging.
Die Trans-Bewegung rief sie dazu auf, sich stärker von Personen zu distanzieren, die mit Sprüchen wie "Suck my girldick" gewaltvolle Botschaften in sozialen Netzwerken verbreiteten, die durchaus auch als Gewaltaufrufe verstanden würden: "Ich möchte eigentlich, dass es auch stärker transintern eine Auseinandersetzung gibt mit Lesbenfeindlichkeit gegenüber Cis-Lesben. Ich sehe zu wenig Widerspruch zu Botschaften wie 'Kill all TERFs'. Das hat eben auch mit in die Beschleunigung der Konflikte geführt." Diesen Vorwurf setzte sie im selben Redebeitrag jedoch gleich wieder ins Verhältnis, als sie darauf verwies, dass sich die lesbische Community seit vielen Jahren darum drücke, anzuerkennen, dass auch cisnormative Lesbenräume eben nicht frei von Gewalt seien.
Ich hoffe, daß dieses Signal bei möglichst sehr vielen lesbischen, bi- und pansexuellen trans Frauen und trans Mädchen entsprechend ankommt - und bei deren wirklich unterstützendem Umfeld:
Da haben wir nichts zu suchen.
Zwei Sahnehäubchen:
Das Konsultieren einer TSG-Gutachterin als 'Expertin'.
Das tone policing von Stephanie Kuhnen - ich darf daran erinnern, daß TERFs sowohl auf dem LFT als auch schon vorher, Adresse Bundesregierung, mehr psychomedizinischer Gewalt gegen trans Kinder und Jugendliche gefordert haben. Daß zur Anhörung zum Selbstbestimmungsgesetz im vorigen Jahr zwei TERF-Stellungnahmen eingereicht wurden. Daß Heinrichmann (CDU) in der Debatte am 19.05. die 'Besorgnisse' der TERFs aufgegriffen hat.
Anscheinend haben wir uns gegenüber cis lesbischen Organisationen gefälligst auf leises Bitten zu beschränken.
Ich jedenfalls stehe als 'Vielfalts'-token nicht zur Verfügung. Adios Muchachas.