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Elfter Verhandlungstag
Missbrauchsprozess: Entlastungszeuge bringt keine Entlastung
Im Prozess gegen den Berliner #ArztOhneNamen wegen sexuellen Missbrauchs von Patienten sagte erstmals ein Zeuge der Verteidigung aus. Die Aussage dürfte sie sich anders erhofft haben.

Membeth / wikipedia) Eingangshalle des Kriminalgerichts Moabit: Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft einem in der schwulen Szene bekannten HIV-Spezialisten vor, fünf Patienten in seiner Praxis sexuell missbraucht zu haben. Insgesamt sind 22 Verhandlungstage anberaumt (Bild:
- Von Peter Fuchs
15. Juni 2021, 04:24h 6 Min.
Am Montag fand der elfte Verhandlungstag im Prozess gegen den Berliner #ArztOhneNamen am Amtsgericht Tiergarten statt. Es sagte ein Zeuge aus, der sehr leise sprach und daher für alle Verfahrensbeteiligten schwer zu verstehen war. Das soll zum einen an einer kürzlich erfolgten Operation gelegen haben. Andererseits war dem 48-jährigen Mann aus Israel manche Frage offensichtlich unangenehm, wobei er seine Stimme mit den Worten "Ich habe ein Problem, darüber zu sprechen" noch weiter senkte.
Der Mann war von der Verteidigung des angeklagten Arztes als Zeuge vorgeschlagen worden. Er lebe halb in Tel Aviv und halb in Berlin und sei seit über 20 Jahren Patient in der Praxis des Arztes.
Der Anruf eines Unbekannten
Bei der Befragung durch den Vorsitzenden Richter Rüdiger Kleingünther gab der Mann in fließendem Deutsch an, er sei im März 2019 von einer ihm unbekannten Nummer auf dem Mobiltelefon angerufen worden. Im Rahmen der Hauptverhandlung will die Verteidigung herausgefunden haben, dass es die Rufnummer eines Nebenklägers gewesen sei (queer.de berichtete). Der Anrufer habe sich nur mit Vornamen vorgestellt und erklärt, er habe die Nummer des Mannes von gemeinsamen Bekannten erhalten. Der Vorname sei mit dem des Nebenklägers identisch, so die Verteidigung.
Der Anrufer habe gewusst, dass der Mann Patient beim #ArztOhneNamen sei. Er habe gesagt, er sei auf der Suche nach Zeugen, weil gegen den angeklagten Arzt bald ein Strafprozess wegen sexuellen Missbrauchs beginne. Der Mann aus Israel habe entgegnet, dass er kein Betroffener sei.
Ob er den Anrufer gefragt habe, woher der annehme, dass er ein Betroffener sei, wollte Kleingünther wissen. Das habe er den Anrufer nicht gefragt, so der Zeuge. Habe der Anrufer die Untersuchungen beschrieben? Er könne sich nicht an den genauen Wortlaut erinnern. Der Anrufer habe aber von der Stimulation der Prostata "mit dem Finger" gesprochen und dass der Arzt "den G-Punkt stimuliert haben soll, um die Patienten willig zu machen". Der Anrufer habe außerdem gemeint, dass "der Arzt seine Macht über Patienten missbraucht hat und dass ihm diese Macht weggenommen werden soll".
Kleingünther fragte nach, ob der Mann sich erkundigt habe, welcher gemeinsame Bekannte die Telefonnummer ohne seine Einwilligung weitergegeben habe. Das verneinte der Zeuge.
Der Zeuge habe drei bis vier Tage nach dem Telefonat bei einem bereits geplanten Besuch in der Praxis mit dem #ArztOhneNamen über den Anruf gesprochen. Dabei habe er dem Arzt die Telefonnummer gezeigt, die er auf einem Zettel notiert hatte. Soweit er sich erinnern könne, habe er mit dem Arzt damals nicht über die Identität des Anrufers gemutmaßt.
Als Kleingünther noch einmal wissen wollte, wie der Anrufer den sexuellen Missbrauch durch den Arzt beschrieben habe, antwortete der Zeuge, dass es bei einer "rektalen Untersuchung" zur Stimulation gekommen sei. Durch was? "Durch Fisting."
Definitionen von "Fingern" und "Fisting"
Darauf bezog sich die Staatsanwältin bei ihrer Befragung im Anschluss. Wie sich für den Zeugen Fingern und Fisting unterscheide, wollte sie wissen. Nachdem der Zeuge ihr vorgeschlagen hatte, sie solle den Unterschied selbst recherchieren, weil er "ein Problem habe, darüber zu sprechen", klärte sie ihn darüber auf, dass es ihr nicht um eine allgemeingültige Definition gehe, sondern wie der Zeuge die Begriffe definiere. Er habe in der Befragung durch den Vorsitzenden Richter anfangs von einem "Finger" gesprochen und am Ende von "Fisting".
Der Zeuge antwortete, dass man dazu "fünf Leute fragen und fünf Antworten erhalten kann". Für manche sei der "kleine Finger im Popo schon Fisting". Was der Anrufer für eine Bezeichnung verwendet habe, könne er sich nicht genau erinnern, aber er glaube, dass "Fingern eher richtig" sei.
Danach wollte die Staatsanwältin wissen, ob der Zeuge vom Anrufer gedrängt worden sei, eine Aussage vor Gericht zu machen. Nein, das habe der Anrufer nicht, so der Zeuge. Ob der Anrufer darum gebeten habe, dass der Zeuge etwas aussagen solle, dass er in der Praxis nicht erlebt habe? Daran könne er sich nicht erinnern, so der Zeuge.
"Kesseltreiben" gegen den #ArztOhneNamen?
Nach der Befragung des Zeugen gab Johannes Eisenberg, der Verteidiger des angeklagten Arztes, eine Erklärung ab. Dabei referierte er zwei substanzielle Aussagen. Die Befragung des Zeugen beweise, dass der "ängstliche und aufgeregte" Mann "kein eigenes Interesse an diesem Fall" habe und dass es im März 2019 ein "Kesseltreiben" gegen den #ArztOhneNamen gegeben habe. Die damaligen Anwälte des Angeklagten seien nicht in der Lage gewesen, das zu unterbinden.
Zwischen diesen beiden Aussagen kam es zu Beschimpfungen durch Eisenberg, an die sich die Öffentlichkeit bei diesem Verfahren fast schon gewöhnt hat. So redete er sich diesmal über die "Niedertracht der drei Damen" in Rage, die "manipulativ" im Verfahren agierten. Mit den drei Damen scheinen die Anwältinnen der Nebenklage gemeint gewesen zu sein. Die Frauen reagierten darauf nur mit einem Schulterzucken.
Auch Barbara Petersen, die Anwältin des Nebenklägers, der der Anrufer gewesen sein soll, gab eine Erklärung ab. Für sie habe der Zeuge, der von der Verteidigung vorgeschlagen worden sei, einen sehr authentischen Eindruck gemacht. Der Mann habe aber "mitnichten bestätigt", was sich die Verteidigung erhofft habe. Der Zeuge sei nach seiner eigenen Aussage vom Anrufer nicht zu einer falschen Aussage gedrängt worden. Er habe die Aussage ihres Mandanten bestätigt, dass dieser "nur nach weiteren Betroffenen gesucht hat".
Der Begriff "Kesseltreiben" gegen den #ArztOhneNamen sei nicht nachvollziehbar, denn die Anzeige im Magazin "Siegessäule", die nach weiteren mutmaßlichen Opfern suchte, erwähnte den Namen des Arztes nicht. Die Reaktion des Arztes durch sein neues Team der Verteidigung, einen richterlichen Untersuchungsbeschluss gegen den Verlag der "Siegessäule" einzubringen, sei vielmehr dem geschuldet, dass der Arzt gewusst habe, dass die "stadtweit bekannten Gerüchte" die Anzeige mit ihm in Verbindung bringen würden.
"Interessant" sei für Petersen auch die Definitionen der Begriffe "Fingern" und "Fisting" durch den Zeugen gewesen. Diese decken sich mit den Aussagen ihres Mandanten. Mit der ungenauen Verwendung der Begriffe sah die Verteidigung am siebten Verhandlungstag einen Versuch ihres Mandanten, durch eine übertriebene Darstellung gegen den Angeklagten Stimmung machen zu wollen. Die Verwendung der Begriffe war auch Thema in der Befragung des Nebenklägers durch den Rechtspsychologen Günter Köhnken. Dieser war vom angeklagten Arzt vorgeschlagen und vom Gericht bestellt worden, um die Glaubwürdigkeit der Nebenkläger als Sachverständiger zu begutachten.
Schlagabtausch zwischen Richter und Verteidiger
Im Laufe des Verhandlungstags kam es auch zu einem denkwürdigen Schlagabtausch zwischen dem Vorsitzenden Richter Rüdiger Kleingünther und dem Verteidiger Johannes Eisenberg. Der Anlass ist in diesem Fall unwichtig, als Kleingünther Eisenberg wieder einmal aufforderte, das Dazwischenreden bei Befragungen anderer einzustellen und Eisenberg wie so oft einfach weiterredete. Darauf Kleingünther: "Ich kann lauter sprechen als Sie". Antwort Eisenbergs: "Können Sie nicht."
Die Hauptverhandlung wird am 24. Juni mit der Befragung eines Zeugen der Berliner Ärztekammer fortgesetzt.
