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Interview

"Sahra Wagenknecht ist postfaktisch und skrupellos"

Zur Neuauflage seines Buchs "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber…" sprachen wir mit Johannes Kram über die gar nicht mehr so nette Queerfeindlichkeit aus dem linken und liberalen Spektrum.


Johannes Kram lebt als Autor, Textdichter, Blogger und Marketingstratege in Berlin

Johannes Kram hat 2018 mit "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber… Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft" eine wichtige Analyse homophober und queerfeindlicher Diskurse vorgelegt. Nun hat der Querverlag das seit langem vergriffene Taschenbuch nachgedruckt, mit einem neuen Vorwort des Autors. Im Interview mit queer.de zieht Kram eine Bilanz drei Jahre der Erstausgabe und erklärt, wie sich aktuell "intellektuelle", "liberale" und "linke" LGBTI-Feindlichkeit in Deutschland darstellt.

Vor drei Jahren hast du mit deinem Buch besonders die unterschwelligen, sich manchmal sogar intellektuell und liberal gebenden Formen der Homophobie dargestellt. Was hat sich seit der ersten Auflage getan? Wo finden wir aktuell eine verdruckste Feindschaft insbesondere gegen Lesben, Bisexuelle und Schwule?

Wir erleben eine merkwürdig schizophrene Entwicklung: Einerseits ist es beachtlich, wo mittlerweile überall "queer" oder "Pride" draufsteht und was und wer sich alles mit den Regenbogenfarben schmückt. "Divers" ist das neue "nachhaltig": Muss man irgendwie haben, muss man dabei sein, muss man irgendwie mitmachen. Andererseits passiert gerade auch das Gegenteil: Wenn es konkret wird, wenn es also um konkrete Verbesserungen der Lebenssituation queerer Menschen geht, dann ist ganz schnell Schluss mit lustig, dann will die Mehrheitsgesellschaft nichts mehr davon wissen und reagiert zunehmend genervt. Dann läuft Queeres wieder unter "Gendergaga". Die Mehrheitsgesellschaft möchte zeigen, wie supi sie LGBTI-Menschen findet, möchte sich wohlfühlen in ihrem toleranten Selbstbild. In Wahrheit will sie aber nicht viel über sie wissen, interessiert sich nicht dafür, wie es queeren Menschen wirklich geht und negiert die tatsächlich vorhandenen Abwertungen und Diskriminierungen. Nur so lässt sich erklären, dass unsere Forderungen immer häufiger auch von linker und intellektueller Seite als wirre Identitätspolitik abgetan werden.

Gab es auch eine Entwicklung, die du damals anders gesehen oder eingeschätzt hast und über die du heute vielleicht anders schreiben würdest?

Ich glaube, ich würde das Buch heute fast genauso schreiben, alle beschriebenen Phänomene spielen auch heute noch eine Rolle, oft sogar eine noch größere. Allerdings hätte ich mir damals nicht vorstellen können, wie chic es werden könnte, Identität gegen Gerechtigkeit auszuspielen, wie sehr auch in liberalen Kreisen so getan wird, als ginge es irgendjemandem in unserer Gesellschaft schlechter, nur weil wir nun endlich mehr Rechte haben.


Das Cover der zweiten Auflage

Dass "Identität" angeblich "Gerechtigkeit" schlägt, wirkte in den letzten Jahren oft von "rechts" herbeigeschrieben – von Leuten also, bei denen sich wohl niemand erinnern kann, dass die selber in der Vergangenheit besonders laut Fragen nach ökonomischer Gerechtigkeit gestellt hätten. Aber jetzt gibt es das von linker Seite. Was würdest du einer Sahra Wagenknecht entgegnen, die einen Konflikt zwischen queeren Bürger*­innenrechten und den Interessen der Lohnarbeitenden beschwört und beim Selbst­bestimmungs­gesetz entgegen der Fraktionslinie abgestimmt hat?

Es gibt einen Zusammenhang zwischen queeren Rechten und Lohnarbeit aber eben genau andersherum als Wagenknecht und andere Linke das gerade gerne konstruieren – und damit übrigens zeigen, dass es ihnen nicht wirklich um die soziale Frage geht. In Wahrheit nehmen wir niemanden etwas weg, sondern uns wird etwas genommen. Die Diskriminierung queerer Menschen begünstigt problematische soziale und wirtschaftliche Verhältnisse. Sich verstecken müssen, abgewertet zu werden macht krank und unsicher und behindert die Chancen im Leben und auch im Job. Nur ein Drittel von uns ist völlig out im Job und statistisch verdienen wir weniger, viele leben prekär. Queers als dekadente Elite zu verklären, ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich.

Aber ich denke, es macht keinen Sinn, Wagenknecht das immer wieder zu entgegnen, sie weiß das alles. Der Grund, warum sie gegen unsere Minderheiten austeilt, ist doch offensichtlich ein ganz anderer: Es geht um Stimmungsmache, um Ressentiments. Bei Markus Lanz promoted sie ihr neues Buch mit der Aussage, man müsse sich heute schon dafür entschuldigen, normal zu sein. Genau so begründet die AfD ihren Bundestagswahl-Slogan: "Deutschland, aber normal". In der gleichen Sendung fragt Lanz sie, wen sie denn mit "skurrilen Minderheiten" meine, in denen sie ein Problem sieht, und da fällt ihr als allererstes ein, dass sich doch die meisten Menschen als Mann und Frau fühlen und deswegen kein Verständnis für Probleme beim Misgendern haben. Komischerweise fiel auch Jörg Meuthen dieses Beispiel ein, als er nach dem AfD-Wahlkampfmotto gefragt wurde. Wagenknecht haut auf die drauf, die am schwächsten sind, weil sie sich damit den größtmöglichen Applaus verspricht. So ähnlich machen es Boris Palmer und Wolfgang Thierse ja auch, wenn auch nicht ganz so dreist.

Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich kommt die Gefahr für unsere Minderheiten von rechts und nicht von links. Aber die Stimmungsmache gegen uns von linker Seite halte ich mittlerweile für gefährlicher, da sie gesellschaftlich anschlussfähig ist. Ich denke, man kann die sublime Aggression gegen uns spüren, die gerade geschürt wird, gerade auch in liberalen und linken Kreisen. Ich finde das unheimlich, erst recht in Wahlkampfzeiten. Nochmal kurz zu Wagenknecht: Später hat sie einfach bestritten, queere Menschen mit "skurrile Minderheiten" gemeint zu haben und diesen Vorwurf als eine üble Kampagne bezeichnet. Sie wirft queere Menschen vor den Bus und wenn sie dabei erwischt wird, zeigt sie auf den Busfahrer. So macht sie das immer wieder und wird dafür gefeiert. Sie ist postfaktisch und skrupellos. Man muss Respekt vor ihr haben. Das ist Populismus der Spitzenklasse.

Wie schafft es die queere Community, gegen die von dir benannte Stimmungsmache anzukommen, die für Fakten teilweise gar nicht mehr erreichbar ist? Wie umgehen mit einem Diskurs, in dem Begriffe wie "Gender" oder "Gendern" in Bezug auf Sprache, oder Begriffe wie "Identitätspolitik" von den Leuten gar nicht verstanden, dafür aber umso heftiger bemüht werden, um Queers als irre abzuwerten, um ihnen nicht zuhören zu müssen?

Wir dürfen uns nicht verunsichern lassen. "Identitätspolitik" ist mittlerweile ein Kampfbegriff derjenigen geworden, die unser Recht auf gleiche Chancen diskreditieren wollen. In solchen Diskursen können wir nur verlieren, weil ja schon die Ausgangsthese meist falsch ist. Wir wollen ja nicht irgendwelche Sonderrechte nur wegen unserer Identität, sondern einfach nur, dass Diskriminierung wirksam angegangen wird. Also am besten keine abstrakten Ideologiediskussionen, sondern konkret werden: Wo sind LGBTI, wo ist "Gender" wirklich ein Problem und warum?

Es wird häufig gesagt, wir sollen schön nett und nicht so laut sein, damit die Gesellschaft nicht noch mehr von uns genervt ist. Ich glaube, das Gegenteil stimmt: Natürlich sollte man immer nett sein, aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns wegducken und Angst vor dem deutlichen Widerspruch haben. Denn sonst entsteht immer mehr der Eindruck, dass Queer­feindlichkeit und fehlende Rechte gar kein Problem mehr und unsere Anliegen nicht mehr wichtig sind. Und das führt dazu, dass die wenigen, die den Mund aufmachen, eben leicht als "irre" abgetan werden oder ihnen unterstellt wird, es ginge ja nur um persönliche Befindlichkeiten.

Doch ich beobachte, dass immer mehr Menschen aus der Community, die sich für eher unpolitisch hielten oder meinten, dass Community doch nicht mehr so wichtig ist, mittlerweile verstanden haben, dass wir uns zusammentun und unsere Anliegen gemeinsam vertreten müssen. Die Queer Media Society ist ja ein schönes Beispiel dafür oder #ActOut, #TeachOut und die vielen Firmennetzwerke, die gerade entstehen. Und es müssen alle endlich begreifen, dass queerer, aufklärerischer Journalismus kein "nice to have" ist, sondern wichtiger denn je.

Aber ich versuche in meinem Buch auch, die Angst vor Veränderung zu nehmen, zumal ja offensichtlich immer mehr Menschen verunsichert darüber sind, was man angeblich nicht mehr sagen darf. Die Gesellschaft ist im Umbruch, und viele kommen damit nicht klar und laden ihren Frust dann bei unseren Minderheiten ab. Wir sollten deutlich machen: Jeder darf Fehler machen, ja wir werden und müssen alle Fehler machen. Es geht nicht darum, dass man irgendetwas nicht mehr sagen darf, sondern darum, Verantwortung für das zu übernehmen, was man sagt.

Infos zum Buch

Johannes Kram: Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber… Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft. 2. Auflage. 192 Seiten. Querverlag. Berlin 2021. Taschenbuch: 16,00 € (ISBN 978-3-89656-260-9). E-Book: 9,99 €

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#1 GodzillaAnonym
  • 16.06.2021, 09:10h
  • Ein sehr schönes Interview, das Buch steht auch seit kurzem auf meiner Liste.
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#2 SchwabenstreichAnonym
  • 16.06.2021, 10:02h
  • Von allen politischen Befürworter:innen wie Gegner:innen wird Sahra Wagenknecht eine besondere Intelligenz bescheinigt. Wieso eigentlich? Liegt ein amtlich zertifizierter IQ-Test vor? Oder eine von Psycholog:innen bestätigte bipolare Genius-Wahnsinn-Veranlagung? Da Frau Wagenknecht sich bis zum heutigen Tage weigert, den Begriff "Skurrile Minderheiten" zu operationalisieren, schlage ich folgende Definition vor: Skurrile Minderheiten = Kommunist:innen mit falsch transkribiertem Vornamen.
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#3 Taemin
  • 16.06.2021, 10:05h
  • Zwei Anmerkungen möchte ich machen:

    1. Keine im Bundestag vertretene Partei gibt dem Rechtsextremismus so viel Raum wie die Linke.

    2. Identitätspolitik wurde uns von rechts aufgezwungen. Jahrzehntelang wurden wir in der Bundesrepublik belehrt, dass unsere Identität nicht die richtige ist und dass dies rechtfertigt, uns schlechter zu behandeln als alle anderen Menschen. Identitätspolitik ist daher eigentlich gar kein queeres, sondern ein originär rechtes Thema. Sie ist Politik gegen uns, nicht für uns. Wenn die AfD die Devis gewählt hat "Deutschland. Aber normal", dann ist das Identitätspolitik. Wenn in der Linken von LSBTI als immer skurriler werdenden Minderheiten geredet wird, dann ist das Identitätspolitik. Wenn in der SPD Leute Massenzulauf finden, die exakt wie die AfD "Normalität" propagieren, dann ist das Identitätspolitik. Wenn der Bundesrat en bloc Gesetzentwürfe ablehnt, die uns der Gleichbehandlung näher gebracht hätten, dann ist das Identitätspolitik. Es geht um die Durchsetzung dessen, was die Rechten unter richtiger, unter normaler Identität verstehen. Vater-Mutter-Kind- verschiedengeschlechtliche-Paare- eindeutiges-Geschlecht- nach-anatomischem-Eindruck. Was gerade in Ungarn geschieht, ist Identitätspolitik. Der Staat bestimmt, welche Identität Menschen haben dürfen, und was mit denen geschieht, die dahinein nicht passen. Vier Beine gut, zwei Beine schlecht. Früher nannte man das eine totalitäte Gesellschaft. Heute soll eine solche Gesellschaft normal heißen.
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