(mehrfach aktualisiert) Wie in den letzten Jahren haben türkische Behörden am Samstag den CSD in Istanbul mit Verboten und Polizeieinsätzen unterbunden. Trotzdem gingen Hunderte auf die Straße, um ein Zeichen für LGBTI-Rechte zu setzen.
Bereits vor dem offiziellen Beginn des untersagten Protests um 17 Uhr Ortszeit (16 Uhr in Deutschland) rund um den Taksim-Platz im europäische Zentrum der Stadt begann die Polizei, sich etwa mit Regenbogenflaggen versammelnde Menschen in den angrenzenden Straßen zu vertreiben und teilweise mit Gewalt festzunehmen.
Twitter / KaosGL | Das Foto links zeigt die Festnahme des AFP-Fotografen Bülent Kilic. Die Nachrichtenagentur forderte seine Freilassung. "Wir verurteilen die Festnahme des AFP-Reporters Bülent Kilic, der über den Pride-Marsch berichtete", erklärte die türkische Sektion von Reporter ohne Grenzen im Onlinedienst Twitter. "Wir fordern seine sofortige Freilassung."
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Den Veranstaltenden zufolge wurden bereits in dieser frühen Phase mehr als 20 Menschen festgenommen, einer Person soll die Nase gebrochen worden sein. Eingänge zum Taksim-Platz samt U-Bahn-Station wurden verschlossen. Wie in den Vorjahren wurde erwartet, dass sich entsprechende Szenen angesichts der mutig-resilienten Community und der unnachgiebigen Polizei bis in die Abendstunden an diversen Ecken der Stadt wiederholen.
In der Tat folgten an mehreren Orten spontane Veranstaltungen, an denen Sprechchöre skandiert und die Forderungen der Veranstaltenden vorgelesen worden. Gegen ca. 17 Uhr deutscher Zeit gab es erste Berichte und Videos, die von Polizeieinsätzen mit Reizgas und Gummigeschossen zeugten. Auch hier soll es zu weiteren Festnahmen gekommen sein.
"In der Türkei sind wir seit 2015 mit einem radikalen Wandel der Regierungspolitik gegenüber LGBTQI+-Menschen konfrontiert. Der Staat hat ihnen sozusagen den Krieg erklärt", sagte Yildiz Tar von der Organisation Kaos GL der Deutschen Presse-Agentur. Die Regierung übe eine Politik aus, die darauf abziele, die Feindschaft gegenüber queeren Menschen im "gesamten Volk zu verbreiten". Hassverbrechen würden nicht bestraft und nähmen stetig zu. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und weitere Regierungsvertreter hatten sexuelle Minderheiten in der Vergangenheit immer wieder verbal angegriffen.
Im letzten Jahr war der Pride rein virtuell abgehalten worden. Die Stadtteilregierung von Beyoglu hatte am Samstag alle Demonstrationen im Viertel rund um den Taksim-Platz untersagt, "um die Rechte und Freiheiten anderer zu wahren und Verbrechen zu verhindern". Auch auf Covid-19-Bestimmungen wurde verwiesen.
Das Verbot umfasst Treffen, das Verlesen von Presse-Statements, die Verteilung von Flugblättern und weitere Punkte. Die Veranstaltenden hatten zu dem Taksim-Protest aufgerufen, nachdem vor wenigen Tagen dem Pride bereits ein anderer Ort verboten worden war. Nach dem neuerlichen Verbot riefen sie dazu auf, weiter zum Taksim zu kommen.
Erst am Dienstag war die Polizei gegen Menschen vorgegangen, die sich im Rahmen der Pride-Week zu einem Picknick in einem Park versammeln wollten (queer.de berichtete). Die Menschenrechtskommissarin des Europarats forderte diese Woche in einem Schreiben an türkische Spitzenpolitiker ein Ende von Hassrede und Grundrechtseinschränkungen gegenüber LGBTI sowie ein Vorgehen gegen Hassverbrechen (queer.de berichtete).
Einst erfolgreiche und friedliche Bewegung unterdrückt
In den letzten Jahren waren der CSD in Istanbul samt dem Trans-Pride und teilweise CSDs in anderen Städten immer wieder verboten worden und hatte die Polizei Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse gegen Teilnehmende eingesetzt (queer.de berichtete). In den Jahren vor dem ersten Verbot und der ersten CSD-Niederschlagung 2015 hatten noch zehntausende Menschen an den Pride-Demonstrationen der Metropole teilgenommen.
Auch queere Kulturveranstaltungen und Campus-Pride-Veranstaltungen wurden untersagt und gegen Teilnehmende vorgegangen (queer.de berichtete). In diesem März kam es zu mehrtägigen Protesten und hunderten Festnahmen rund um Student*innen-Proteste in Istanbul, bei denen auch Regenbogenflaggen und ein Bild der Kaaba mit queeren Flaggen eine Rolle spielten (queer.de berichtete). Die Regierung befeuerte die Lage mit queerfeindlichen Stellungnahmen an, Innenminister Süleyman Soylu sprach etwa von "LGBT-Perversen". (nb)