Schwule und bisexuelle Männer dürfen in Deutschland bislang nur Blut spenden, wenn sie ein Jahr lang auf Sex mit Männern verzichten (Bild: flickr / Banc de Sang i Teixits / by 2.0)
Werden Homo- und Heterosexuelle künftig bei der Blutspende ohne Diskriminierung "gleichberechtigt" behandelt, wie es seit einigen Tagen in manchen Medienberichten und Äußerungen aus der Politik heißt? Oder verbessert sich die Lage nur teilweise?
Aktuell dürfen schwule oder bisexuelle Männer nur Blut spenden, wenn sie zwölf Monate keinen Sex mit einem Mann hatten – das schließt auch Männer ein, die komplett auf Safer Sex setzen und/oder nur Sex mit ihrem monogamen Partner hatten. Diese 2017 beschlossene Regelung ersetzte ein pauschales Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer aus der Zeit der Aids-Krise.
Am 11. Juni informierte aber die Bundesärztekammer Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einem queer.de vorliegenden Schreiben, dass sich Ende Mai eine gemeinsame Arbeitsgruppe zum Thema mit Vertreter*innen aus Kammer, Ministerium, Paul-Ehrlich-Institut und Robert Koch-Institut auf ein neues 77-seitiges Beratungsergebnis zur "Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten" geeinigt habe. Demnach soll es bis zum Herbst zu einer Überarbeitung der Richtlinien kommen.
Die Beratung brachte vor allem zwei wichtige Neuerungen: Zum einen wird wohl das Zeitfenster nach einem möglichen sexuellen Risiko, in dem man kein Blut spenden darf, aufgrund der Diagnosemöglichkeiten bei der Kompletttestung der Blutspenden auf vier Monate verkürzt:
Spätestens nach 4 Monaten können Infektionen mit HBV, HCV oder HIV sicher ausgeschlossen werden. Eine Zulassung zur Spende 4 Monate nach Beendigung des sexuellen Risikoverhaltens führt nicht zu einer Erhöhung des Risikos für die Empfängerinnen und Empfänger von Blut und Blutprodukten
Zum anderen deutet sich ein Umdenken an, was schwule Männer betrifft, die in einer Partnerschaft leben. In dem Schreiben heißt es:
"Bei Sexualverkehr ausschließlich innerhalb einer auf Dauer angelegten Paarbeziehung (schließt beide ein) von nicht infizierten Partnern/Partnerinnen kann per se von keinem erhöhten Risiko für durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten ausgegangen werden."
"Damit gemeint sind Paare gleich welchen Geschlechts", interpretierte das "Ärzteblatt" am 23. Juni die Passage. Am gleichen Tag schrieb dazu die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis in einer Pressemitteilung, die Bluspende werde nun "diskriminierungsfrei": "Demnach dürften alle Menschen, die ausschließlich innerhalb einer Paarbeziehung sexuell aktiv sind, ohne Rückstellung Blut spenden – und zwar unabhängig, ob hetero-, bi- oder homosexuell. Das bisherige Kriterium MSM, d.h. Männer, die mit Männer Sex haben, entfiele demnach."
In den letzten Tagen freute sich auch Minister Spahn in sozialen Netzwerken. Offenbar bezogen auf das Schreiben der Bundesärztekammer an ihn sprach der CDU-Politiker von einem "wichtigen Schritt für Gleichberechtigung und mehr Blutspenden": "Ab Herbst soll zur Blutspende zugelassen sein, wer in den letzten 4 Monaten nur Sex ohne Risiko hatte – egal ob mit Mann oder Frau. Ich freue mich, dass meine Initiative erfolgreich war!"
Andere, etwa der FDP-Politiker Jens Brandenburg, interpretierten das Schreiben der Bundesärztekammer an Spahn in den letzten Tagen vorsichtiger. Denn in ihm steht auch:
Daher können Personen, die seit mindestens 4 Monaten ausschließlich in einer derartigen Partnerschaft sexuell aktiv sind, ohne Rückstellung Blut spenden. "Ein erhöhtes Risiko ergibt sich erst aus einem zeitlich aktuellen Sexualkontakt mit Personen mit einem Verhalten, das ein hohes Risiko für durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten birgt [...]", schlussfolgert die gemeinsame Arbeitsgruppe.
Eine frische schwule Partnerschaft würde demnach weiter zunächst pauschal als Risiko bewertet werden. Konkret hieße das: Schwule monogame Paare dürften künftig wie andere Paare auch dann Blut spenden, wenn sie in den letzten vier Monaten Sex hatten. Allerdings nur, wenn sie schon mindestens vier Monate zusammen sind. So lässt sich auch ein Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an den FDP-Politiker Brandenburg vom 24. Juni (PDF) interpretieren: Für "wechselseitig monogame Männer" in einer Beziehung sei in der Richtlinienüberarbeitung keine Rückstellung (=Sex-Karenzzeit) vorgesehen. Aber: "Bei MSM wird ein sexuelles Risikoverhalten und damit das Erfordernis nach Rückstellung von der Spende bei Sexualverkehr mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner gesehen."
Diese pauschale Einschränkung, so lässt sich weiter interpretieren, scheint nicht für heterosexuelle Paare zu gelten.
Individuelles Risikoverhalten und pauschales Risiko
Viele Verbände und Aktivist*innen sowie eine Petition mit bislang 68.000 Unterschriften hatten in den letzten Jahren immer wieder gefordert, den Zugang zur Blutspende künftig am individuellen sexuellen Risikoverhalten festzumachen und nicht pauschal anhand einer Gruppenzugehörigkeit. In einigen Ländern sind entsprechende Richtlinien inzwischen in Kraft.
Das mittlerweile als PDF veröffentlichte 77-seitige Beratungsergebnis zur "Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten" definiert diese Personen aber weiter auch nach Gruppenzugehörigkeit:
Folgendes Sexualverhalten birgt nach derzeitigen medizinischen und epidemiologischen Erkenntnissen und Daten ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten:
- Sexualverkehr zwischen Heterosexuellen mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen,
- Sexualverkehr von Transpersonen mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen,
- Sexualverkehr zwischen Männern (MSM) mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner,
- Sexarbeit,
- Sexualverkehr mit einer Person mit einer der vorgenannten Verhaltensweisen,
- Sexualverkehr mit einer Person, die mit HBV, HCV oder HIV infiziert ist,
- Sexualverkehr mit einer Person, die in einem Endemiegebiet/Hochprävalenzland für HBV, HCV oder HIV lebt oder von dort eingereist ist.
Konkret heißt es in dem Papier, eine Zulassung zur Spende sei "vier Monate nach Beendigung des sexuellen Risikoverhaltens möglich". Außerdem ist die weiter oben zitierte Passage, dass eine "auf Dauer angelegte Paarbeziehung" kein Risiko beinhalte, vorangestellt – mit der Einschränkung, dass es sich nicht um einen "zeitlich aktuellen Sexualkontakt" mit wie in der Liste definiertem Risikoverhalten handelt.
In der Konsequenz hieße dies, dass für Männer, die Sex mit Männern haben, weiterhin andere pauschale Regelungen greifen als für heterosexuelle (und dass Transpersonen weiter gesondert erwähnt werden). Noch immer würde nicht das individuelle Verhalten zählen: Wer als Mann mit mindestens einem (neuen) männlichen Partner in den letzten vier Monaten Sex hatte, würde unabhängig von Begleitumständen wie etwa Kondomnutzung pauschal von der Spende ausgeschlossen, bei Sex mit einer Frau gelte das ebenfalls unabhängig von tatsächlichem Risikoverhalten nicht. Auch eine monogame schwule Beziehung würde in den ersten vier Monaten anders behandelt werden als eine heterosexuelle, da die Beziehung als "zeitlich aktueller" möglicher Risikokontakt interpretiert würde.
Konkrete Umsetzung unklar – auch in Fragebögen
Das Beratungsergebnis wird nun in allen möglichen Gremien und Fachanhörungen weiter debattiert (Zeitplan), um voraussichtlich im September zu einer überarbeiteten Richtlinie Hämotherapie zu führen (in der übrigens auch festgelegt werden soll, dass die Nutzung einer PrEP oder HIV-Kombinationstherapie ein Ausschlusskritierium ist). Dann würden wohl auch die Fragebögen angepasst, die Blutspender*innen auszufüllen haben.
Ausschnitt aus dem aktuellen Fragebogen des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes
LGBTI- und Aids-Organisationen hatten gefordert, auch die Fragebögen ohne Diskriminierung zu gestalten. Dies erscheint angesichts der neuen Definitionen von "Personen mit sexuellem Risikoverhalten" weiter unwahrscheinlich. Das 77-seitige Beratungspapier bietet in dieser Frage keine konkreten Details an. Es nennt auch "die Vermeidung von diskriminierenden Fragen" als ein Ziel und sieht weiter Forschungsbedarf im Bereich der Fähigkeit und Bereitschaft von Personen, die Fragebögen wahrheitsgemäß auszufüllen.
Der Forderung, alle Personen einheitlich nach Sexualverhalten zu befragen, statt etwa gesonderte Fragen an schwule oder bisexuelle Männer zu stellen, wird allerdings eine Absage erteilt – weil man bei intimen Fragen Abschreckungseffekte befürchtet und auf das Blut frischverliebter heterosexueller Paare nicht verzichten möchte: "Die gender-neutrale Erfassung von sexuellen Expositionen, z.B. die Frage nach einem neuen Sexualpartner oder einer neuen Sexualpartnerin in den letzten 4 Monaten, würde zur Rückstellung eines relevanten Anteils insbesondere von jungen Spendewilligen führen, für die bislang kein Risiko beobachtet wurde." (nb)