Immer, wenn Politiker*innen anfangen, ungefragt die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit zu erklären, weiß man: Hier sollen Fehler in der eigenen Amtsführung durch die Flucht in die Offensive glattgebügelt werden. So war es auch am heutigen Freitag im Rechtsausschuss des NRW-Landtages, als sich CDU-Justizminister Peter Biesenbach zum Fall Sven W. äußern sollte.
Man könnte den Eindruck bekommen: Nicht das Scheitern der Justiz, mit der Angelegenheit Sven W. auf eine Weise umzugehen, die die Öffentlichkeit nicht verunsichert zurücklässt, sei hier das Problem – sondern eine Opposition, die von der schwarz-gelben Landesregierung eine politische Einmischung in die Justiz fordert. Man kann also bei Belehrungen über banale Rechtsgrundsätze à la "Im Zweifel für den Angeklagten" oder der Zeug*innenaussage als "unsicherstem Beweismittel" noch einmal zum Kaffeeautomaten gehen und erst wieder zuhören, als sich Biesenbach an diesem Vormittag irgendwie unspezifisch für entstandene Eindrücke entschuldigt. Man könnte aber auch darauf bestehen, dass eine Regierung endlich Maßnahmen ergreift. Maßnahmen, die sicherstellen, dass ihre Beamt*innen nicht am laufenden Band durch lustige Hakenkreuz-Chatgruppen, Übergriffe auf Demonstrant*innen und Waldbesetzer*innen oder eben homophobe Gewaltexzesse am Tag des Kölner CSD auffallen.
Einmischungen in die Justiz nur, wenn es politisch opportun ist
Besonders kenntlich wird die rituelle Beteuerung, sich nicht in die Angelegenheiten der Justiz einzumischen, immer dann, wenn Landes- oder Bundespolitiker*innen selber ein politisches Interesse daran haben, gegen bestimmte Straftäter*innen als harte Hunde aufzutreten. Dann fordern sie öffentlich, wie im Fall der Kölner Silvesternacht, solche Dinge wie die Verfolgung "mit der ganzen Härte des Rechtsstaats" – ein Widerspruch in sich. Doch wenn die Peiniger wie im Fall des Sven W. in Uniformen der Polizei unterwegs sind, bleiben entsprechende Appelle an die Justiz aus. Das liegt daran, dass sich die Landesregierung lieber vor ihre Beamt*innen als vor ihre Bürger*innen stellt – übrigens etwas, das die vorangegangene SPD-geführte Landesregierung kein Stück besser gemacht hat.
Auch Minister Beisenbach verbittet sich an diesem Freitag einerseits nie erhobene Forderungen nach Einmischung in Entscheidungen der Staatsanwaltschaft. Andererseits aber verteidigt er in derselben Rede die Dezernentin, die Sven W. so unerbittlich verfolgt hatte, als "wirklich ausgesprochen gründlich arbeitende Oberstaatsanwältin", weshalb er ihre "Wertung", also das Laufenlassen von zwei offensichtlich straffällig gewordenen Polizisten, "auch gar nicht in Zweifel ziehen" wolle. Ja was denn nun? Würden Sie, Herr Justizminister, der Kollegin öffentlich in den Rücken fallen, wenn Ihnen weniger Erfreuliches über deren Arbeitsmoral zu Ohren gekommen wäre?
Es geht um mehr als "Grenzüberschreitungen"
Der negative Eindruck erhärtet sich noch, wenn in dieser Ausschusssitzung von dem als sicher feststellbar geltendem Schlag ins Gesicht und dem Tritt in den Rücken des Opfers nur als "Grenzüberschreitungen", nicht jedoch als schweren Straftaten im Amt die Rede ist. Die zwei Polizisten, die gegen Zahlung von mickrigen 750 Euro davon gekommen sind, haben Sven W. nicht einfach angebrüllt, ihn unsittlich an der Schulter angefasst oder was man sonst als "Grenzüberschreitung" werten würde.
Wir reden hier von vorsätzlich, aus Schwulenhass begangenen, schweren und gefährlichen Körperverletzungen, von Schlägen und Tritten und von illegal abgenommenem Blut. Wir reden von homophoben Beleidigungen und nicht nur beim halbnackten Aussetzen mitten in der Nacht mit vorher durchnässten, hinterher geworfenen Kleidern von Vorgängen, die man im Bereich der gemeinschaftlichen Folter durch Polizisten ansiedeln könnte. Und wir reden von Beamten, die heute – fünf Jahre nach dem Vorfall – nach wie vor im Einsatz sind und auf Bürger*innen, auch auf queere, aufpassen sollen.
Der Fall Sven W. ist auch kein "Einzelfall" – eine vom Justizminister an diesem Freitag schon wieder bemühte Behauptung. Die Übergriffe auf Sven W. reihen sich ein in eine seit geraumer Zeit nicht enden wollende Abfolge von Vorfällen mit demokratiefeindlich eingestellten, Minderheiten und marginalisierte Gruppen verachtenden, rechtsradikale Straftaten begehenden, uniformierten Männerbanden (tagesschau.de berichtete).
Niemand verlangt von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens die Einmischung in Vorgänge der Justiz. Was verlangt wird, ist Aufklärung über die Verfahrensabläufe und strukturellen Probleme, die dazu beigetragen haben, dass kaum jemand mit dem Ausgang des Falls Sven W. zufrieden sein kann – wenn man ihren Worten Glauben schenken darf, auch nicht die Minister der Justiz und des Inneren. Denn nur die Aufklärung und der offene Diskurs über strukturelle Probleme und mögliche Abhilfen können dazu beitragen, dass ein Fall wie der von Sven W. in Zukunft wirklich mal jemanden überraschen würde. Etwa, weil Polizist*innen durch unabhängige Ermittlungsbehörden in Fällen rechtswidrigen Polizeihandelns genau so viel Angst vor Strafverfolgung haben müssten, wie andere Bürger*innen auch.