Laschkarawa kurz nach dem Angriff (Bild: TV Pirveli)
Der georgische Sender TV Pirveli hat am Sonntag den Tod seines Mitarbeiters Alexander ("Lekso") Laschkarawa bekannt gegeben. Der Kameraoperateur war am Montag bei den queerfeindlichen Ausschreitungen in der Hauptstadt Tiflis von mehreren Männern angegriffen und schwer verletzt worden.
Berichten zufolge wurde Laschkarawa von seiner Mutter tot im Bett aufgefunden. Die Todesursache sei noch unbekannt. Die Polizei gab bekannt, Ermittlungen eingeleitet zu haben, ihren Angaben zufolge zunächst nach einem Paragafen zu "Anstiftung zum Suizid". Angehörige und Freunde des Mannes sprachen hingegen von einem offensichtlichen Zusammenhang zu den Folgen der Attacke. Bei dem Angriff hatte Laschkarawa mehrere Verletzungen im Gesicht, darunter Knochenbrüche, und eine Gehirnerschütterung erlitten. Nach Behandlungen in einem Krankenhaus erholte er sich in seiner Wohnung.
Twitter / OCMediaorg | Nach dem Bekanntwerden der Nachricht vom Tode Laschkarawas bewarf die Oppositionspolitikerin Elene Khoshtaria am Sonntag den Sitz des Regierungschefs mit roter Farbe
Am Montag hatten teils russlandnahe Nationalisten und orthodoxe Aktivisten, teilweise angefeuert von Priestern und größtenteils unbehelligt von der Polizei, stundenlang in der Innenstadt randaliert, wo eigentlich am Nachmittag eine CSD-Demo stattfinden sollte (queer.de berichtete). Die Angreifer zerstörten Oppositionszelte und eine EU-Flagge am Parlament, griffen im Laufe des Tages mehr als 50 Mitarbeitende von Medien an und stürmten die Büros einer Oppositionsorganisation sowie der Pride-Veranstalter.
Der CSD sagte letztlich seine Demonstration resigniert ab, nachdem die Regierung ihm keinen Schutz garantieren wollte und zur Aufgabe aufforderte. Die angegriffenen Journalist*innen, Kameraleute und Fotograf*innen trugen nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) unter anderem Knochenbrüche, Gehirnerschütterungen und Verätzungen mit Chemikalien davon. RSF warf den georgischen Behörden vor, nicht gegen die Angriffe eingeschritten zu sein und deshalb an den Verletzungen mitschuldig sein.
Vom Mob angegriffen
Laschkarawa befand sich am Montag mit der TV-Pirveli-Journalistin Miranda Bagharturia im Büro der oppositionellen Shame-Bürgerbewegung, als ein gewaltbereiter Mob in das Gebäude eindrang. Wie die Journalistin dem Sender in einem Interview sagte, seien sie von einem dutzend Menschen umzingelt worden, der sie dann angriff. Zunächst habe sie ein Priester am Haar gezogen. Als der Kameramann einschritt, habe sich die Menge auf ihn gestürzt.
"Mein Kameramann war in einer Blutlache. Sie schlugen ihn 20 Minuten lang gnadenlos", so Baghaturia. "In der Zwischenzeit hielten mich 15 Leute fest, ich schrie sie an, ihn nicht zu töten, sie stießen und schlugen mich. Sie warfen mein Handy weg und 20 Leute schnappten sich Lekso, ich konnte ihn nicht sehen."
Vato Tsereteli, der Eigentümer des Senders, gab am Sonntag in einer ersten Reaktion der Regierung die Schuld: "Es herrscht ein Gefühl der Straflosigkeit im Land. Ich finde, dass [der georgische Premierminister] Irakli Garibaschwili und [seine Partei] Georgischer Traum persönlich dafür verantwortlich sind." Der Regierungschef war im In- und Ausland in Kritik geraten, weil er bereits am Montagmorgen eine Absage des CSD gefordert hatte und ihm praktisch die Verantwortung für gewalttätige Gegendemonstrationen zuschob, während die Regierung dem Pride keine Sicherheitsgarantien geben wollte. Pride-Demonstrationen seien "für einen Großteil der georgischen Gesellschaft inakzeptabel", sagte Garibaschwili zudem.
TV Pirveli beklagte am Sonntag ferner, dass bisher nur vier Angreifer auf die TV-Crew festgenommen worden seien, während man durch Videomaterial neun habe identifizieren können. Der Sender veröffentlichte in seinem Programm und in seinem Facebook-Kanal entsprechende Bilder von Verdächtigen öffentlich, wie auch ein Video des Angriffs. Zu den Ausschreitungen wurden insgesamt bislang 19 Menschen festgenommen, 16 wegen Angriffen auf Journalist*innen und sonstige Mitarbeitende von Medien. Für zwölf Personen, darunter drei Erstürmer des CSD-Büros, hatten Gerichte in Tiflis in den letzten Tagen verlängerte Untersuchungshaft angeordnet.
Die Shame-Bewegung hat für Sonntagnachmittag zu einer Großkundgebung vor dem Parlament aufgerufen, unter dem Titel: "Die mörderische Regierung muss zurücktreten". Sie fordert neben dem Rücktritt eine unabhängige Untersuchung von Laschkarawas Tod und eine Festnahme und harte Bestrafung seiner Angreifer und ihrer Anführer. Bereits am Dienstag hatten tausende Menschen vor dem Parlament für Pressefreiheit und Menschenrechte demonstriert – und wurden von Gegendemonstranten mit Eiern und Flaschen beworfen (queer.de berichtete). (nb)
Update 17h: Weitere Entwicklungen
Das Innenministerium betonte am Nachmittag auf einer Pressekonferenz, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, man werde eine Autopsie vornehmen und niemand solle vorschnelle Schlüsse ziehen – man vermute aber eine Überdosis Drogen als Todesursache. Rund 20 Oppositionsgruppen, darunter auch der Pride, forderten hingegen in einer gemeinsamen Stellungnahme den Rücktritt des Regierungschefs. Am späten Nachmittag Ortszeit versammelten sich tausende Menschen zu der Kundgebung vor dem Parlament.
Weitere Entwicklungen lassen sich unter anderem über den Twitter-Kanal des Pride, von OC Media oder Civil.ge verfolgen sowie über die Facebook-Livestreams der Sender Pirveli (wo einer der Moderatoren ein Hemd mit Kunstblut trägt) und Formula.
Twitter / Media_Checker | Am Abend legten Medien-Mitarbeiter*innen in einem stillen Protest vor dem Regierungssitz Kameras und Mikrofone nieder