Kundgebung gegen das Gesetz letzte Woche vor dem Parlament in Budapest (Bild: Amnesty International Ungarn)
Die Europäische Kommission wird am Donnerstag voraussichtlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen seines Gesetzes zur Informationsbeschränkung über Homo- und Transsexualität einleiten. Brüssel werde der Regierung Viktor Orbáns einen Brief schicken und das Verfahren für das Vertragsverletzungsverfahren starten, wie ein hochrangiger EU-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP sagte.
Ungarns Parlament hatte Mitte Juni ein Gesetz verabschiedet, das nach Vorbild des russischen Gesetzes gegen "Homo-Propaganda" und darüber hinaus gehend den Zugang von Minderjährigen zu Büchern, Filmen und anderen Medien verbietet, bei denen "Geschlechtsidentität abweichend vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, Geschlechtsoperationen und Homosexualität dargestellt und beworben" werden (queer.de berichtete). Die Einschränkungen, die letzte Woche in Kraft traten, gelten auch für die Werbung von Unternehmen, entsprechende Inhalte dürfen auch nicht im Unterricht "beworben" werden.
Das Vorhaben war von der Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán als Zusatz zu einem bereits länger debattierten Gesetzespaket gegen sexuelle Gewalt und "pädophile Täter" eingebracht worden, wenige Tage vor dessen endgültiger Verabschiedung und ohne größere Debattenphase.
Die EU – Kommission und Parlament – hatte dieses Gesetz massiv kritisiert. Das Europäische Parlament betonte letzte Woche in einem mit großer Mehrheit angenommenen Antrag, das Gesetz sei ein weiteres Beispiel dafür, "dass der graduelle Rückbau der Grundrechte in Ungarn bewusst und vorsätzlich vorangetrieben wird" (queer.de berichtete). Diese "staatlich geförderte LGBTIQ-Phobie" müsse Konsequenzen haben.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das Gesetz mehrfach als "Schande" bezeichnet und mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn Budapest den Text nicht korrigiere. Orbán warf der EU im Gegenzug eine "beispiellose Kampagne" gegen sein Land vor und stellte das Gesetz als eine Art Jugendschutz dar und als Bemühen, das Recht von Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu wahren. "Dieses Gesetz nutzt den Schutz der Kinder, dem wir uns alle verschrieben haben, als Vorwand, um Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung schwer zu diskriminieren", hatte von der Leyen im Brüsseler Europaparlament gesagt. "Es widerspricht zutiefst den Grundwerten der Europäischen Union – dem Schutz der Minderheiten, der Menschenwürde, der Gleichheit und der Wahrung der Menschenrechte."
Der nun am Donnerstag erwartete Brief der EU-Kommission ist der erste Schritt in einem Verfahren, das bis vor den Europäischen Gerichtshof führen und mit einer Geldstrafe für Ungarn enden könnte. Unabhängig von diesem Vorgehen wurde letzte Woche bekannt, dass die Kommission Ungarn derzeit die Auszahlung von Corona-Hilfen verweigert (queer.de berichtete). (afp/nb)