Polizisten haben Sven W. geschlagen, als "Schwuchtel" beschimpft, eingesperrt und halbnackt mit hinterhergeworfenen, durchnässten Kleidern ausgesetzt. Der Fall beschäftigt seit 2016 die queere Community, Gerichte, Staatsanwaltschaften und zuletzt auch die entsetzte Öffentlichkeit und die Politik (queer.de berichtete).
Im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags musste sich Innenminister Herbert Reul (CDU) formal entschuldigen. Den Zuständigen, die für das Land NRW mit Sven W. und seinem Anwalt eine Entschädigung aushandeln, rief er aus dem Sitzungssaal zu, sollten nicht "knauserig" sein (queer.de berichtete).
Auch Justizminister Peter Biesenbach (CDU) entschuldigte sich pro forma, nur um sich dann "Einmischungen in die Justiz" zu verbitten und das gewalttätige und juristische Vorgehen gegen Sven W. zu verharmlosen (queer.de berichtete). Dann wurde bekannt, dass Sven W. mit 10.000 Euro abgespeist werden und dafür auch noch sein Schweigen versprechen sollte (queer.de berichtete).
Sven W. lehnte das Angebot ab. Grund genug für uns, ihn um ein Gespräch zu bitten.
Sven, wie ist der Stand der Verhandlungen um Entschädigung zwischen dir und dem Land NRW?
Ende Juni habe ich über meinen Anwalt ausrichten lassen, dass ich mit dem Vorschlag von 10.000 Euro und einer Verschwiegenheitserklärung nicht einverstanden bin. Dieses Angebot stand schon längere Zeit informell im Raum, telefonisch angekündigt. Am 10. Juni hatte Minister Reul im Innenausschuss gesagt, das Land wolle in der Verhandlung mit mir nicht knauserig sein und auf mich zukommen. Da hatte ich eigentlich gedacht: Jetzt kriege ich ein schriftliches Angebot, das besser ist als das, was vorher im Raum stand.
Das Land hat dann nur angeboten, was informell sowieso im Raum stand?
Ja. Im Schreiben hieß es zudem, sie würden die Anwaltskosten tragen und die Gerichtskosten zu zwei Drittel. Daraufhin habe ich gesagt, das lehne ich ab. Am 1. Juli haben die wiederum geantwortet. Da steht, man rege an, dass wir einen unseren "Vorstellungen entsprechenden Vorschlag zur Erledigung der Sache" unterbreiten sollten, außerdem der Satz: "Ich erlaube mir anbei allerdings den Hinweis, dass eine Regelung, die vermeintliche Folgeschäden vorbehält, für das Land nicht in Betracht kommt." Sie wollen mich also entschädigen, aber wenn später noch zum Beispiel Behandlungskosten oder Verdienstausfälle auftreten, dann soll ich das gefälligst selber tragen.
Hinzu kommt, dass der Anwalt des Landes auch noch ein ellenlanges Schreiben mitgeschickt hat, wo sie quasi noch einmal die Messer ausfahren. Sie begründen da erneut, warum es keine vorsätzliche Amtspflichtverletzung gegeben habe. In dem Schreiben gehen sie die Vorfälle auch noch mal komplett durch und versuchen das dieses Mal, angeblich, noch stichhaltiger zu machen. Die führen Beweise an, Zitate von Zeugen und so weiter.
Sven W. nach den Misshandlungen beim CSD 2016
Das heißt, die wollen es gar nicht darauf beruhen lassen und sind immer noch der Meinung, dass du im Unrecht bist?
Ja, sie stellen mich als Täter dar, von Anfang bis Ende.
Du hast in den letzten beiden Sitzungen des Innen- und Rechtsausschusses gesessen und die Minister, Reul und Biesenbach, reden hören. Nimmst du deren geäußertes Bedauern ernst?
Also wirklich richtig ernst nehme ich das nicht. Aber aus verschiedenen Gründen. Ich frage mich erstens: Warum kommt das jetzt erst? Außerdem sehe ich ja selber daran, was hintenrum passiert, dass das nur große Sprüche sind. Der Innenminister hat ja gesagt: "Wir wollen nicht knauserig sein", und er wollte damit auch auf die Verhandlungen, auf den Anwalt des Landes, einwirken. Aber dann passiert eben gar nichts in die Richtung. Es sind so Sonntagsreden, so öffentlich und nach außen. Das ist alles einfach nicht ganz ehrlich.
Nehmen wir nur das Beispiel mit der Oberstaatsanwältin, die mich ja durch die drei Instanzen verfolgt hat und die nun, nach der Berichterstattung, versetzt worden sei. Da wurde dann öffentlich reagiert und gesagt, die Versetzung sei nicht in ihrer Bearbeitung meines Falls begründet. Aber dieselbe Oberstaatsanwältin antwortet mir immer noch in der Sache. Da denke ich: "Hä, sie soll doch gar nicht mehr zuständig sein?"
Als wir im Frühjahr wiederum Akteneinsicht haben wollten, also vor Monaten schon, hatte die Oberstaatsanwältin da bereits geantwortet, sie sei nicht mehr zuständig. Sie hat dann das Schreiben auch nicht an die womöglich tatsächlich zuständige Person weitergeleitet. Wir haben dann erst ein mal keine Akteneinsicht erhalten. In der Zeit fand ja auch die Einstellung des Verfahrens gegen die beiden Polizisten statt. Und jetzt antwortet sie, wie gesagt, aktuell wieder auf meine Beschwerde, die ich mit meinem Anwalt gestellt habe.
Um welche Beschwerde geht es da?
Wir haben ja im Strafprozess, abseits der zivilrechtlichen Entschädigungssache, Beschwerde wegen der heimlichen Einstellung des Verfahrens gegen die Polizisten eingelegt. Die Antwort kam da nun gar nicht vom Amtsgericht, das das Verfahren – auf Bitte der Staatsanwaltschaft – natürlich eingestellt hat. Die kam einfach direkt wieder von der Oberstaatsanwältin, die dann auch gleich verschiedene Gründe darlegt, warum unsere Beschwerde nicht zulässig wäre.
Dabei hatte Justizminister Biesenbach im Justizausschuss die Staatsanwaltschaft öffentlich zurechtgewiesen. Deren Begründung, warum sie mich nicht über die Einstellung informiert hätten, ist, dass ich nämlich ursprünglich keine eigene Strafanzeige gestellt hatte. Dazu hat Biesenbach im Ausschuss gesagt: "Das ist Quatsch". Jetzt in meinen Worten. Das gebe ein schlechtes Bild ab, das wäre eigentlich so auch nicht richtig. Jetzt begründet die Oberstaatsanwältin aber eben wieder mit genau diesem Argument, dass es korrekt gewesen sei, mich nicht über die Verfahrenseinstellungen in Kenntnis zu setzen. Ich fühle mich da irgendwie verarscht.
Was müsste passieren, dass man sagen könnte: "Der Fall ist jetzt aufgearbeitet"?
Es sollte im zivilrechtlichen Prozess jetzt schnell zu einem Ende kommen. Die sollen ohne großes Verfahren auf mich zukommen, dazu bin ich auch bereit. Auf der anderen Seite hätte ich mir gewünscht, dass das Land in der Sache verurteilt werden würde. Eine wirkliche Aufklärung ist allerdings inzwischen gescheitert. Da hätte für mich die strafrechtliche Ebene dazugehört, dass die Polizisten verurteilt werden. Da geht es ja nicht nur um die zwei Polizisten jetzt aus dem eingestellten Verfahren. Die sind vielleicht die Haupttäter.
Aber da ist ja noch die Frage: wer war sonst noch beteiligt? Was ist mit all den Polizisten, die dabei waren an dem Tag, die zugeschaut haben? Bei einer vollen Aufklärung hätte man die auch überprüfen müssen. Was haben die gemacht, oder eben auch nicht gemacht? Außerdem lastet ja gerade zurecht auch öffentlicher Druck auf dem Land. Der Polizeipräsident wusste vom Vorgang Bescheid, Innen- und Justizminister auch. Letzterer sagt ja auch, dass er sich in der Sache regelmäßig hat informieren lassen. Was ist deren Verantwortung, deren Rolle da drin?