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Los Angeles
Ausschreitungen bei transfeindlichen Demonstrationen
Ein mutmaßlich inszeniertes Video über eine transgeschlechtliche Frau in einem Wellness-Bad löst seit Wochen rechte Aufmärsche und Ausschreitungen in Los Angeles aus.

Vor allem nach dem letzten Wochenende steht die Polizei von Los Angeles in der Kritik, nachdem sie auch gegen Unterstützer*innen von Trans-Rechten mit Gewalt und Festnahmen vorging
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19. Juli 2021, 17:06h 6 Min.
In Los Angeles ist es am Wochenende in der dritten Woche in Folge zu transfeindlichen und gewalttätigen Demonstrationen rund um ein Wellness-Bad gekommen. Auslöser war ein Ende Juni von einer christlichen Fundamentalistin gedrehtes und auf Instagram veröffentlichtes Video. Darin schreit die Frau Personal des Wi Spa im Viertel Koreatown über mehrere Minuten an, es sei "ein Mann mit einem Penis" im Frauen-Bereich und habe "Frauen und jungen, kleinen, minderjährigen Mädchen" den Penis gezeigt. Inzwischen mehren sich die Mutmaßungen, dass die Empörung ein gezielt inszenierter Fake ist.
Schlägereien und Messerstiche
Am 3. Juli kam es rund um das für seine LGBTIQ-inklusive Hausordnung bekannte Wellness-Bad zu ersten, heftigen Ausschreitungen durch faschistische Gruppen, darunter Vertreter von QAnon und "Proud Boys", die Gegendemonstrant*innen angriffen. Ein Mann stach mit einem mitgebrachten Messer auf den Oberschenkel eines Gegendemonstranten ein und verletzte danach noch versehentlich eine Frau, die an der Schlägerei auf Seiten der Rechten beteiligt und ihm zur Unterstützung geeilt war, durch einen Stich in den Arm. Festgehalten sind die Szenen der Angriffe auch Videos in sozialen Netzwerken.
/ VPS_Reports | Das Video zeigt den Messerstecher von Los Angeles und die Waffe vor seiner TatHere is more clear video of this far right anti-trans extremist who was wielding a huge knife. He was seen fighting alongside Proud Boys.
Vishal P. Singh (@VPS_Reports) July 5, 2021
Right wing media is misconstruing this demonstration as peaceful, but anti-trans demonstrators were prepared to seriously maim or kill. pic.twitter.com/gcOKxLgboK
Auf einem Video, das den Messerangriff selbst zeigt, ist auch ein mitgeführter Baseballschläger zu sehen, auf dem ein großer Aufkleber mit der Aufschrift "TRUMP" klebt. Ein Demonstrant soll zudem Gegendemonstrant*innen mit einer Schusswaffe bedroht haben. Rechte Aktivist*innen trugen Ausrüstung wie Stichschutzwesten, Helme, Schutzbrillen, Pfeffersprays sowie militärische Kleidung. Dadurch erinnerten die Bilder aus Los Angeles an vergleichbare Aufmärsche faschistischer Gruppen, die insbesondere während der Trump-Wahlkämpfe und der Back-Lives-Matter-Proteste im vergangenen Jahr landesweit bei Demonstrationen Jagd auf Gegner*innen gemacht hatten.
Auch an den zwei folgenden Wochenenden tauchten bewaffnete und zu Straßenschlachten ausgerüstete Gruppen in Koreatown auf und suchten die Auseinandersetzung mit Gegendemonstrant*innen, die sich aus der LGBTIQ-Bewegung und der US-amerikanischen Antifa zusammensetzen. Journalist*innen wurden von Rechten bei laufender Kamera angegriffen, eine Person wurde mit einer Eisenstange niedergeschlagen. Rechte Medien stellten die Vorfälle zeitweilig so dar, als seien die Trans-Bewegung oder die Gegendemonstrant*innen gewalttätig geworden.
Polizeigewalt gegen Gegendemonstrant*innen beklagt
Die Polizei ging auch teilweise mit Gewalt gegen die Unterstützer*innen von Trans-Rechten vor. So schoss ein Polizist an diesem Samstag auf eine Gegendemonstrantin aus nächster Nähe mit einem Gummigeschoss, Videos scheinen weitere Schusseinsätze zu zeigen. Auf einer weiteren, ebenfalls im Netz verfügbaren Szene sind Polizist*innen zu sehen, die einer Gegendemonstrantin im Vorbeilaufen eine Trans-Pride-Flagge entwenden. Immer wieder setzten die Beamt*innen Schlagstöcke ein. Die Polizei hatte die Proteste für aufgelöst erklärt und Personen aus allen Lagern eingekesselt. Insgesamt nahm sie fast 40 Menschen fest und beschlagnahmte Messer, Pfefferspray und einen Elektroschocker.
/ waterspider__ | Die verstörende Szene zeigt einen Polizisten, der eine Gegendemonstrantin mit einem Gummigeschoss niederschießtWoman was just shot by a rubber bullet as she asked to please put down your guns pic.twitter.com/YkZUjW007l
waterspider (@waterspider__) July 17, 2021
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Queeres Medium vermutet Inszenierung
Begonnen hatte alles mit dem Video aus dem Wellness-Bad. In ihm ist zu sehen, wie ein Mitarbeiter des Wi Spa versucht, deeskalierend mit der Situation umzugehen und der Filmenden mehrfach höflich die Hausordnung erklärt. Immer wieder wird er von wütenden und transfeindlichen Zwischenrufen der Frau unterbrochen ("So etwas wie Transgender gibt es nicht"). Das Video endet abrupt, als eine Frau aus der Traube an Menschen, die sich inzwischen gebildet hat, die Filmende auffordert, mit ihr in den Frauenbereich zu gehen und die angeblich sich dort aufhaltende transgeschlechtliche Frau zu konfrontieren.
Bereits früh waren Zweifel an dem Video aufgekommen, zumal die Instagram-Nutzerin "cubanaangel" keinerlei Belege anführte. Die LGBTIQ-Nachrichtenseite "Los Angeles Blade" berichtet, es scheint von ihrer Aussage abgesehen keine Zeug*innenaussagen zu geben, dass sich an besagtem Tag eine transgeschlechtliche Frau in dem Bereich aufgehalten oder falsch verhalten habe. Eine anonyme Quelle aus dem Personal des Wellness-Bads soll gesagt haben, dass keine der bekannten trans Kund*innen an jenem Tag im Haus waren, das man nur mit namentlicher Voranmeldung betreten kann. Anonyme Quellen aus der Polizei hätten ebenfalls betont, dass man keine bestätigenden Beweise für die Aussagen der Frau gefunden habe.
Reaktion auf Fake-Vorwürfe

Cubanaangel in ihrem zweiten Video, in dem sie sich im Umkleidebereich der Spa filmt und empört (Bild: Screenshot Instagram)
"Cubanaangel Instagram-Account besteht fast ausschließlich aus christlichen Memes, was die Frage aufwirft, warum sie sich für ein Spa entschieden hat, das als LGBTQ-freundlich bekannt ist", fasst "Los Angeles Blade" Grundzweifel an dem Video zusammen. Inzwischen hat die Frau auf Anschuldigungen und Zweifel reagiert. Am vergangenen Samstag lud sie ein weiteres Video auf Instagram hoch, das an die ursprünglich bekannte Version anzuschließen scheint. Darin diskutiert sie zunächst mit einer weiteren Mitarbeiterin des Wellness-Bads. Dann geht sie tatsächlich, wie vorher angekündigt, hinunter in den Frauenbereich. Dort sind irritierte Kundinnen im Hintergrund zu sehen, wie sie der theatralisch durch die Gänge rufenden Frau hinterher sehen.
Die wiederholt ihre bekannten Satzbausteine von Penissen, Männern und traumatisierten Frauen und Mädchen zunehmend stotternd. Doch statt mit der Konfrontation der angeblichen transgeschlechtlichen Frau im Frauenbereich endet das Video mit dem Stoßgebet "Jesus, hilf mir. Diese Leute müssen es herausfinden!" Im beigefügten Kommentar versichert sie, dass es sich um keine Inszenierung handele. Vielmehr seien sie, andere Frauen und junge Mädchen "traumatisiert" worden, wie sie noch ein mal wiederholt. Obwohl sie auch dieses mal keinen Beweis vorlegte, feierten Nutzer*innen die Frau in den Kommentaren unter dem Video.
Zusammengehen von TERFs und der radikalen Rechten
"Los Angeles Blade" hat auch den Weg des Videos und der Aufrufe zu Demonstrationen vor dem Wi Spa nachverfolgt. Demnach zog das Video seine Kreise über einschlägige Seiten der TERF-Bewegung wie "Mumsnet", "Ovarit" oder "Spinster" sowie der radikalen und der religiösen Rechten in den USA, zusätzlich angefeuert wurde die Auseinandersetzung von reichweitenstarken rechten Twitter-Aktivisten wie Andy Ngo. Unter "TERF" versteht man Gruppen, die sich als besonders radikal feministisch inszenieren und sich zusammenschließen, um Hass und Verschwörungstheorien über transgeschlechtliche Menschen zu säen. Das Akronym steht für "Trans Exclusive Radical Feminists".
Der britische "Guardian" kommentierte, die Parolen und Schilder in Los Angeles zeigten ein Zusammengehen des Anti-Trans-Aktivismus mit Strängen des Rechtsextremismus. Es seien Parolen gegen Pädophile und zum Schutz von Frauenräumen gerufen worden oder Codes der Verschwörungsideologie QAnon. Auf T-Shirt-Motiven sei zum Mord an linken Aktivist*innen durch Todesschwadrone aufgerufen worden.
Eine neue Runde im Kulturkampf
Das Wi Spa selber beantwortet Fragen zu den seit Wochen andauernden Protesten nicht. Das letzte Statement der Einrichtung stammt von Ende Juni. Darin sagen Verantwortliche des Wellness-Bads dem "Los Angeles Magazine", dass man wie in vielen anderen Metropolregionen auch in Los Angeles einen transgeschlechtlichen Bevölkerungsanteil habe, von dem einige Menschen gerne ein Wellness-Bad besuche. Wi Spa bemühe sich, den Bedürfnissen aller Kund*innen gerecht zu werden. Das Bad wies auch darauf hin, dass es unter den Gesetzen des Staates Kalifornien verboten sei, transgeschlechtliche Menschen zu diskriminieren.
In den USA tobt ein von der republikanischen Partei und rechten Gruppen angezettelter Kulturkampf um die Rechte transgeschlechtlicher Menschen. Insbesondere seit der Abwahl Donald Trumps hat sich dieser wieder vermehrt in die einzelnen Staaten verlagert. Republikanisch geführte Regierungen haben umfassende Gesetze zur Ausgrenzung und Diskriminierung transgeschlechtlicher Menschen erlassen. Das liberale Kalifornien, in dem die jüngsten Ausschreitungen stattfanden, hat in dem Streit zuletzt ein Verbot von Dienstreisen von Beamt*innen in weitere Staaten wie Florida beschlossen, in denen neue trans- und homophobe Gesetze eingeführt wurden (queer.de berichtete).














