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Fetisch-Diskussion beim CSD Bremen

"Viele Menschen fühlen sich verletzt und ausgeschlossen"

Sunny ist Puppy und Mitglied des Bremer CSD-Vereins. Hier schildert er seine Sicht auf den seit Tagen tobenden Streit um den mittlerweile abgewandelten Pride-Grundsatz "Keine Fetischdarstellung".


Sebastian ist der Puppy Sunny. Seit 2018 engagiert er sich im CSD Bremen e.V., wo er auch als Flummi bekannt ist (Bild: privat)
  • Von Sunny
    21. Juli 2021, 12:03h 29 5 Min.

In den folgenden Zeilen möchte ich als langjähriges Mitglied im CSD-Verein meine Sicht auf die zurückliegenden Tage schildern. Mir ist bewusst, dass ich mich insbesondere innerhalb des Vereins damit auf dünnes Eis begebe. Nachdem man aber zuletzt nicht einmal mehr auf meine Fragen und Einlässe regierte, sehe ich mich zu diesem Schritt gezwungen, um langfristigen Schaden vom CSD Bremen & Bremerhaven e.V. abzuwenden. Damit ihr meine Perspektive besser verstehen könnt, ein kurzes Wort zu mir:

Ich bin Anfang 2018 in den Verein eingetreten und habe am CSD 2018 in Bremen und Danzig mitgewirkt. Zwischen Ende 2019 und Mitte 2021 war ich aus persönlichen Gründen nicht in der direkten Vereinsarbeit aktiv. Insofern kenne ich die Umstände des Beschlusses der Visionen und Grundsätze auch nur aus Nacherzählungen. Dafür war ich an den Diskussionen der letzten Tage beteiligt und habe versucht, auf beiden Seiten des Konfliktes Verständnis für einander zu schaffen und die Situation zu entschärfen. Mein eigener Hintergrund in der Puppy-Community in Bremen und NRW konnte mir dabei helfen, machte mich aber auch selbst betroffen.

Ersetzung von Fetisch durch Sex wurde nicht tiefer diskutiert

Über den entstehenden Konflikt hatte ich zuerst am Freitagabend über die Puppy-Gruppen mitbekommen. Noch am Abend wurde ich in die Orga-Gruppe des CSD Bremen hinzugefügt und konnte erst ab diesem Moment den Diskussionen beiwohnen. Direkt nach dem queer.de-Artikel am Samstagmorgen wurde über eine Neuformulierung der Visionen gesprochen. Auch über eingehende Nachrichten und Anfragen wurde diskutiert. Wir waren auf der Suche nach einer Lösung. In dieser Phase ging auch der Tweet raus, wonach "später" ein Statement folgen sollte. Im Nachhinein konnte bisher nicht geklärt werden, wer für diesen Tweet verantwortlich war, jedoch war die Wortwahl ungünstig. Man hatte zuvor über ein abgewogenes Statement im Laufe der nächsten Tage gesprochen und musste nun schneller eine Antwort finden.

Am Samstag dann wurde ich seitens der Mitglieder gebeten, ihnen das Thema Pupplay näherzubringen. Mein Eindruck heute ist jedoch, dass mit Ausnahme einiger weniger niemand so wirklich Interesse an meinen Ausführungen hatte. Im Verlauf des Sonntags wurde durch einzelne Personen aus dem Vorstand die Pressemitteilung erstellt und veröffentlicht. Eine größere Diskussion fand zwar statt, auf Einsprüche wurde jedoch nur bedingt Rücksicht genommen. Auch die Entscheidung am Montag, 19.07, Fetisch durch Sex zu ersetzten wurde nicht tiefer im Verein diskutiert.

Fetisch sorgt im Verein für Unverständnis

Und nun sind wir heute angekommen. Wie konnte es in meinen Augen zu dieser Situation kommen? Zum einen besteht der aktive Kern inkl. Vorstand, nach meinem Wissen, aus ca. 15 Personen. Dadurch lägen viele Verantwortungen bei wenig Menschen. Dies löst den Grund des Konfliktes nicht, verdeutlicht für mich aber, dass es innerhalb des aktiven Kerns eine geringere Diversität geben könnte. Dieser Mangel kann mögliches Unverständnis verstärkt haben.


Sunny mit Freund*innen beim CSD Magdeburg 2020 (Bild: privat)

Auch gibt es, nach meiner Sicht, bei einigen im Verein Unverständnis für Fetisch. So vertrat ein Vorstand mir gegenüber die Meinung des Teams, dass bestimmte Fetisch- oder Kink-Praktiken keinen politischen Mehrwert hätten. Hieraus folgte auch die, in meinen Augen, ernst gemeinte Anweisung, ein bestimmtes Auftreten verbieten zu wollen. Insbesondere galt hier als Beispiel das an der Leine geführt werden von Puppies. Der Ausschluss von Fetisch generell war aber offenbar nie gewollt. Mein Eindruck ist ebenfalls, dass in einigen Köpfen eher die Vorstellung herrscht, der CSD solle weniger von der heteronormativen Welt abweichen, um politische Forderungen besser durchsetzen zu können.

Großer Schaden am CSD-Verein entstanden

Die letzten Tage zeigten, wie eng die Community zusammensteht. Mich hat das sehr beeindruckt, wenn auch nicht ausschließlich positiv. Viele Menschen fühlten und fühlen sich verletzt und ausgeschlossen. Das darf jedoch nicht in persönliche Angriffe und Hass umschwenken. Bewegt hat mich jedoch die Unterstützung, die auch ich, trotz meiner Mitgliedschaft im CSD Verein, erhalten habe.

Wie geht es nun weiter? Ich sehe einen großen Schaden, der am CSD Bremen & Bremerhaven e.V. entstanden ist. Es wurden Fehler gemacht, die auch als solche betitelt werden müssen. Zugleich ist die weitere Diskussion auf Augenhöhe mit den betroffenen Communitys zu führen. Wir müssen als Verein nicht alles selbst wissen. In solchen Fällen müssen wir aber bereit sein, notwendiges Wissen von außerhalb zu erbeten. Hier darf auch unser Ego kein Hindernis sein.

Glaube ich, dass der Verein mit seinem aktiven Kern die aktuellen Probleme lösen kann? Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass Mitglieder im Verein aktiv werden sollten, um die innere Diversität zu erhöhen. Und ich glaube, es muss auf Ebene des Vorstandes ein Umdenken stattfinden.

CSD muss für Rechte und Akzeptanz aller kämpfen

Schaffen wir als Verein diesen Umschwung nicht, sehe ich die langjährige und auch positive Arbeit des CSD-Vereins in Gefahr. Wir benötigen aber einen CSD, der für die gemeinsamen Interessen kämpft und sich die Rechte und die Akzeptanz aller auf die Fahne geschrieben hat. Der CSD bot für viele in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen. Viele Freundschaften sind entstanden, und auch für die Liebe war bei der Pride immer Platz. Es bedarf gerade in digitalen Zeiten weiterhin Räume der bedingungslosen Akzeptanz – wenn auch nur für ein paar Stunden.

Ich möchte auch weiterhin dafür sorgen, dass auch in Bremen solche Räume geschaffen sind und jede*r wieder mit einem guten Gefühl und dem Wissen erwünscht zu sein, zum CSD kommt, um gemeinsam mit vielen anderen für unsere Rechte zu demonstrieren.

Einige mögen mich nun Verräter schimpfen. Ich habe bei den obigen Zeilen jedoch den Verein und die Community im Blick. Nach meiner Sicht hatte ich alles mir Mögliche ausgeschöpft. Daher hoffe ich auf eine positive Entwicklung und wünsche uns allen schon jetzt: Happy Pride!

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#1 SnowwulfAnonym
  • 21.07.2021, 12:37h
  • Dem Verein ist aber schon der Unterschied zwischen Nacktheit, Sexualität und Fetisch bewusst, oder?

    Die Zuschauenden sollten mittlerweile wissen, dass es auf dem CSD Bunt und Vielfältig zugeht. Das bedeutet nicht, dass (geduldet) öffentlich kopuliert wird, sondern vielmehr der Blick auf eine vielfältige Gesellschaft geöffnet werden kann. Dazu gehören Drag-Queens und -Kings, wie auch Leder- & Latex-Personen und viele mehr.

    Meines Erachtens ist es einfach ein Verrat an sich selbst, eine klare Verleugnung der Wurzeln. Das Verbot ist eine Kapitulation vor heteronormativen Vorgaben. Ich bin der Meinung, dass die Rechtskonservativen den Diskurs früher im Jahre befeuert haben und nun zeigt die Verunsicherung Früchte.

    Das erste Zugeständnis an alle, die Sätze sagen wie "Mir ist ja egal, was _die_ im Bett machen, aber müssen die sich in der Öffentlichkeit küssen?".

    Das ist für mich ein Todesstoß für die Community an sich, wenn wir uns schon selbst reglementieren und uns unsere Vielfalt verbieten. Die Aussage, dass das Publikum nicht zustimmen kann, ist schief, denn jede Person weiß mittlerweile, was auf einem CSD passiert und welche politische Bedeutung er eigentlich hat.

    Ich bin für Vielfalt UND den offenen Umgang mit seinem eigenen Fetisch...

    P.S.: Der Geist von Stonewall sollte nicht vergessen werden. Oder haben sich die Herren damals versteckt? Ich glaube wohl nicht...
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#2 DaumenHochAnonym
  • 21.07.2021, 13:20h
  • Danke herzlich für diesen Beitrag.
    Aus meiner Sicht sind hier zwei Worte am wichtigsten: Bedingungslose Akzeptanz.

    Die wünschen wir uns doch auch von der Gesamtgesellschaft, oder etwa nicht?
    "Akzeptanz" nur unter bestimmten Voraussetzungen/ Bedingungen IST schlicht keine echte Akzeptanz. Wenn mich jemand nur akzeptiert, wenn ich verschüchtert wie ein graues Mäuschen durchs Leben husche, werde ich doch bitte nicht wirklich akzeptiert. Ich werde vielleicht weitgehend in Ruhe gelassen, aber nur so lange, wie ich mich "wohlverhalte" und möglichst nicht auffalle.

    Die Stonewall Riots und die folgenden weltweiten PRIDE Veranstaltungen sprechen seit gut 50 Jahren eine klare Sprache: wir wollen eben KEINE Bedingungen diktiert bekommen. Wir wollen BEDINGUNGSLOS akzeptiert werden. Und wir treten dafür auch aktiv ein.

    Und nun kommt ein "CSD"-Verein daher, tut so, als würde er diese Tradition fortführen, macht de facto aber das genaue Gegenteil - ersinnt nämlich Bedingungen und Vorschriften, unter welchen die Teilnahme an der Demonstration genehm sei, und unter welchen nicht. Damit verhält sich dieser Verein nicht nur absolut geschichtsvergessen, sondern verteilt auch Schläge ins Gesicht an all diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten fundamental dazu beigetragen haben, unser Anliegen publik zu machen und wenigstens teilweise durchzusetzen.

    Der Nollendorfblogger Johannes Kram prägte den Satz "Stonewall war keine Onlinepetition!"

    www.queer.de/detail.php?article_id=34005

    Und Demonstrationen in der Tradition von Stonewall dürfen auch keine sein, bei denen ein paar konservative Ober-"Aktivisten" beschlossen haben, dass doch alle möglichst unauffällig aufzutreten hätten. Das noch dazu mit der fadenscheinigen Begründung, "das Publikum könne nicht einwilligen". Bei einer politischen Demonstration ist keinerlei "Einwilligung" eines wie auch immer gearteten Publikums erforderlich.

    Hinter solchen Pseudo-Argumenten wird die eigene Spießbürgerlichkeit, der eigene Drang, sich möglichst der Heteronormativität anzupassen, um bloß nicht aufzufallen, zu verstecken versucht. Es könnte ja sonst jemand merken, dass wir eben doch anders sind.

    Wirklich akzeptiert werden wir allerdings nur, wenn es ABSOLUT OK ist, DASS wir "anders" sind. Eine Pseudo-Akzeptanz nach dem Motto "Wir akzeptieren euch ja, wenn ihr... [beliebige Kriterien einsetzen]" ist keinen Pfifferling wert.

    Nach diesen weiteren (Insider-)Schilderungen scheint mir der Vorstand des "CSD" Bremen in der Tat viel zu einseitig besetzt. Wer nur einen Duckmäuser-CSD auf die Beine stellen kann oder will und dabei die gesamte Geschichte unserer Bewegung mit Füßen tritt, sollte sich doch vielleicht statt dessen andere Betätigungsfelder suchen, in denen er nicht so viel Schaden anrichten kann.

    Oder zulassen, dass das Orga-Komitee völlig neu aufgestellt wird, und zwar deutlich diverser, wie hier ja auch schon angeregt.

    Das Resultat muss jedenfalls bedingungslose Akzeptanz innerhalb der Community sein. Wir können nichts von der Gesellschaft fordern, das wir selbst nicht umzusetzen in der Lage sind. Oder gegen das wir sogar selbst aktiv anarbeiten.
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#3 GodzillaAnonym