Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wurde erstmals festgelegt, dass Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, nicht diskriminiert werden dürfen – zumindest meistens (Bild: dk)
Eines war der Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz wichtig, als sie 2005 das Ruder von Rot-Grün übernahm: Das ungeliebte Antidiskriminierungsgesetz, gegen das die Union jahrelang gekämpft hatte, das sie aber wegen EU-Vorgaben umsetzen musste, sollte wenigstens einen weniger griffigen Namen erhalten. So entstand das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das AGG trat am 18. August 2006, also vor genau 15 Jahren, in Kraft.
Im Vergleich zum geplanten Antidiskriminierungsgesetz der Vorgängerregierung, das vom damaligen CDU-Fraktionschef Volker Kauder allen Ernstes mit den Rassegesetzen des NS-Regimes verglichen worden war, musste das AGG erheblich abspecken: Auf Druck der Union entfernte die Große Koalition in letzter Minute beispielsweise das Klagerecht für Verbände. Damit musste sich ein Diskriminierungsopfer allein auf den kostenträchtigen und nervenaufreibenden Klageweg begeben. Außerdem erhielten Kirchen das Recht, nach Gutdünken zu diskriminieren, auch wenn es nicht den verkündungsnahen Bereich betrifft. Dieses Zugeständnis an die Diskriminierungsfreude der Kirchen ist keine Kleinigkeit: Denn die beiden großen christlichen Konfessionen sind mit rund 1,8 Millionen Mitarbeiter*innen nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland.
Schutz für Schwule und Lesben stand zur Disposition
Immerhin verhinderte der Koalitionspartner SPD, dass der Schutz von queeren Menschen aufgeweicht wurde. Viele in der Union – und insbesondere in der FDP – wollten nämlich das Gesetz "eins zu eins" nach EU-Vorgaben umsetzen, angeblich um die Wirtschaft vor zu viel Bürokratie zu schützen. Damit wäre das Merkmal "sexuelle Identität" zwar im Arbeitsrecht geschützt worden, im Zivilrecht – also beim Zugang zu öffentlich angebotenen Produkten oder Dienstleistungen – hätte man aber Diskriminierung sexueller Minderheiten ausdrücklich erlaubt. Diese unsägliche Hierarchie im Antidiskriminierungsrecht existiert bis heute in Polen.
Mit dem Gleichbehandlungsgesetz wurde auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes etabliert, die für die Umsetzung sorgen sollte. Auch hier war der Start holprig: Die erste Leiterin der Stelle wurde mit Martina Köppen, einer früheren Funktionärin der Deutschen Bischofskonferenz, besetzt – und sie hielt den Schutz von Schwulen und Lesben für entbehrlich (queer.de berichtete). Auf Köppen folgte jedoch die sehr engagierte Leiterin Christine Lüders, die acht Jahre lang die Stelle leitete.
"Dieses Gesetz und diese Stelle waren, um mal ein Bild zu benutzen, eigentlich ein unerwünschtes Kind", erklärte Barbara John, die langjährige Vorsitzende des Beirats der Antidiskriminierungsstelle. "Aber wie das so oft ist, entwickeln sich gerade solche Kinder zu wirklich stabilen und zuverlässigen Institutionen." Ganz so stabil ist das Kind aber doch nicht: So wird die Stelle seit mehr als drei Jahren nur kommissarisch geführt, weil es das SPD-geführte Familienministerium bis heute wegen eines Rechtsstreits nicht geschafft hat, den Posten zu füllen (queer.de berichtete).
"Wichtiges Etappenziel"
Der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle, Bernhard Franke, begrüßt trotz der Probleme die positiven Auswirkungen des Gesetzes: "Mit dem AGG haben wir ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einer fairen und gleichberechtigten Gesellschaft erreicht", so Franke am Dienstag in Berlin. "Immer mehr Menschen kennen ihre Rechte und wollen Diskriminierungen nicht hinnehmen. Mehr und mehr Arbeitgeber schützen ihre Beschäftigten aktiv vor Diskriminierung. Und auch die gesellschaftlichen Debatten der vergangenen Jahre zeigen, dass der hohe Wert von Fairness und Gleichbehandlung in den Köpfen der Menschen angekommen ist." Dennoch müsse man mit "mit gemeinsamer Kraft daran arbeiten, dass Menschen, die Ausgrenzung und Diskriminierung erleben, nicht auf der Strecke bleiben."
Inzwischen gibt es eine politische Diskussion, das Gleichbehandlungsgesetz zu stärken. Letzten November diskutierte etwa auf Antrag der Grünen der Bundestag unter anderem darüber, die Antidkriminierungsstelle zur eigenständigen Bundesbehörde zu machen (queer.de berichtete). Vor wenigen Tagen forderten die Grünenpolitikerinnen Ulle Schauws und Filiz Polat in der "Frankfurter Rundschau" etwa eine grundlegende Reform des AGG: "Wir brauchen ein Bundesantidiskriminierungsgesetz, das Betroffene in der Durchsetzung ihrer Rechte wirkungsvoll unterstützt und echten Rechtsschutz gewährleistet." Aus dem "zahnlosen Tiger" müsse ein "scharfes Schwert" gemacht werden.
Debatte um Artikel 3 des Grundgesetzes
Zudem hat in den letzten Jahren die Forderung Fahrt aufgenommen, "sexuelle Identität" auch im Antidiskriminierungsartikel des Grundgesetzes zu schützen – hier fehlt dieses Merkmal bislang. Dieser Schritt sei insbesondere jetzt notwendig, also in Zeiten, "in denen der Rechtspopulismus die Vielfalt in unserer Gesellschaft mehr denn je bedroht", so begründete der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Mai einen entsprechenden Antrag seines Landes im Bundesrat. Der Antrag wurde abgelehnt (queer.de berichtete).
Inzwischen setzen sich aber auch neben Grünen und Linken die Regierungspartei SPD, die früher sehr skeptische FDP und sogar Teile der CDU/CSU – beispielsweise Außen-Ausschusschef Norbert Röttgen und Ministerpräsident Tobias Hans – für eine entsprechende Reform ein. Für die Grundgesetzänderung bestehen allerdings sehr hohe Hürden: So müssen sowohl in Bundestag als auch in Bundesrat Zweidrittelmehrheiten erreicht werden.
Unter www.15jahre-agg.de gratulieren eine Reihe von im Diskriminierungsschutz engagierten Personen zum Geburtstag des Gesetzes, unter ihnen auch Justizministerin Christine Lambrecht: "15 Jahre AGG haben Deutschland weltoffener und moderner, liberaler und sozialer gemacht", so die SPD-Politikerin. "Gleiche Würde und gleiche Freiheit für alle Menschen – dieses Grundprinzip unseres freiheitlichen Rechtsstaats trägt das AGG schlagkräftig in unsere Gesellschaft. Und das ist heute so wichtig wie vor 15 Jahren."