Eine Unsicherheit im Umgang beseitigt Heinrich Alexandra Hermann schnell: "Bitte verzichten Sie auf 'Sehr geehrter Herr' oder 'Sehr geehrte Dame'; ein einfaches Hallo oder Guten Tag genügt völlig", heißt es im PS der Mails. Denn Hermann ist nichtbinär. "Ich bin divers." Hermann tritt bei der Bundestagswahl für die Linke im Wahlkreis Schwarzwald-Baar (286) an und will gegen Diskriminierung kämpfen – ähnlich wie die Nürnberger Grüne Tessa Ganserer, die sich als erste deutsche Politikerin während ihrer Amtszeit als transgeschlechtlich geoutet hatte.
Heinrich Alexandra Hermann (45), Informatiker*in und Softwareentwickler*in aus Villingen-Schwenningen, will sich für Klimaschutz einsetzen und für ein besseres Gesundheitswesen – und natürlich für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Das fängt mit Gendern an, also der Berücksichtigung des Geschlechteraspekts bei allen Personen. "Sprachwissenschaftler müssen neben 'er/sie/es' ein viertes sprachliches Geschlecht schaffen", sagt Hermann.
Hermann wurde als Junge erzogen
Nach Angaben des Bundesverbandes Intergeschlechtliche Menschen gibt es schätzungsweise zwischen 120.000 und 160.000 intergeschlechtliche Menschen in Deutschland. Genaue Angaben sind schwierig, weil es keine offiziellen Statistiken gibt. Der Verband verweist auch darauf, dass einige intergeschlechtlich geborene Menschen nicht wissen, dass sie eine Variante der Geschlechtsentwicklung haben.
So, wie lange Zeit Heinrich Alexandra Hermann. "Ich bin äußerlich als Mann geboren." Bis zur Musterung bei der Bundeswehr war Hermann der Ansicht, ein Junge zu sein. Doch das "In-Between-Gefühl" war schon immer da. Die Jugend war eine schwere Zeit. "Ich war halt anders. Schon in der Schule hatte ich Probleme deshalb. Ich war das Mobbingopfer der Klasse." Die Mutter ahnte etwas und kam ihrem Kind entgegen – zum Beispiel beim Wunsch nach einem Nachthemd in früher Kindheit. Für den Vater war es schwerer, damit zurechtzukommen.
"Ich bin mit dem Klinefelter-Syndrom geboren worden", erläutert Hermann. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Chromosomenanomalie im männlichen Geschlecht. Abweichend vom üblichen männlichen Typ (XY) gibt es ein zusätzliches X-Chromosom (XXY). Hermann fühlt sich zu "zwei Drittel weiblich und zwei Drittel männlich" ("Es handelt sich dabei um Mengenlehre, nicht um Bruchrechnung.") – und wehrt sich gegen Stigmatisierungen wie "Defekt" oder "Krankheit".
Bundeswahlleiter akzeptierte Berufsbezeichnung nicht
"Ich bin anders. Es ist ein Zustand." Oft kein leichter: Als Beruf hatte Hermann auf dem Wahlzettel "Softwareentwickler:in" angegeben – der Bundeswahlleiter habe dies abgelehnt. Jetzt steht dort "Softwareentwicklung". Hermann findet das nicht akzeptabel und diskriminierend. "Das verstößt auch gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht. So lange noch kein viertes sprachliches Geschlecht eingeführt wurde, sollte man die Schreibweise mit Doppelpunkt akzeptieren."
Hermann ist bei der aktuellen Wahl nach eigenem Wissen bundesweit "die einzige diverse Direktkandidat:in". Auch dem Bundesverband Intergeschlechtlicher Menschen sind keine weitere Kandidaturen bekannt, gibt aber zu bedenken, dass durchaus nicht-geoutete intergeschlechtliche Menschen bei der Bundestagswahl antreten könnten.
Von der neuen Bundesregierung erwartet der Verband eine wichtige Nachbesserung beim Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung: "Es braucht ein Zentralregister, in dem Akten zu Operationen an den inneren und äußeren Genitalien von Kindern gespeichert sind, damit Betroffene einen einfachen Zugang zu ihren Akten haben." Auch soll es mehr kompetente Beratung und einen gesetzlichen Anspruch darauf geben.
Diverse Menschen leiden unter der Nichtanerkennung
Ein Arzt fragte Heinrich Alexandra Hermann einmal, ob eine Transition zur Frau in Frage käme. Als nichtbinäre Person will er vor allem eines: Als Mensch akzeptiert zu werden – und so angesprochen. "Das ist die einzige Möglichkeit, es gerecht auszudrücken."
Diverse Menschen leiden unter der Nichtanerkennung. Hermann will das ändern und hat sich deshalb geoutet. Im Büro hat man eine pragmatische Lösung gefunden: Das Männer-WC wurde zur Unisex-Toilette. Und warum überhaupt den großen Unterschied machen? "In der Schöpfungsgeschichte heißt es: Gott schuf Mann und Frau nach seinem Abbild", sagt Heinrich Alexandra Hermann. "Das könnte darauf hindeuten, dass Gott möglicherweise beides ist."