Am 25. August, kurz vor dem Ende der Sommerferien, geht in Sachsens öffentlichen Schulen ein Schreiben des Bildungsministeriums mit der Überschrift "Geschlechtergerechte Sprache und Schreibung" ein. Der Brief (PDF) enthält die Aufforderung, dass Sonderzeichen "im Bereich der Schule und in offiziellen Schreiben von Schulen nicht zu verwenden" sind (queer.de berichtete). Stattdessen sollten Lehrer*innen und Schulleitungen auf geschlechtsbezogene Paarformen (etwa Lehrerinnen und Lehrer), geschlechtsneutrale Formulierungen oder Passivformen und Umschreibungen zurückgreifen.
Ein Schreiben, das im Kollegium von Elisabeth Zunk für Verunsicherung und genervte Reaktionen sorgt. Zunk selbst ist seit vier Jahren als Lehrerin in den Fächern Englisch und Kunst an einem Leipziger Gymnasium tätig. Sie beschäftigt sich bereits seit dem Beginn ihrer Karriere mit gendergerechter Sprache. "Es ist ein Thema, was mir persönlich wichtig ist, auch weil ich mit vielen nichtbinären Menschen in meinem Umfeld zu tun habe", sagt sie.
"Erklär das mal den Menschen in meiner Klasse"
Elisabeth Zunk (Bild: privat)
"Schon wieder dieses Thema", so sagen einige ihrer Kolleg*innen auf der ersten Konferenz im neuen Schuljahr. Dabei besteht ihr Kollegium bereits aus sehr jungen Menschen, von den viele gendergerechte Sprache – auch mit Sonderzeichen – verwenden. Die Webseite der Schule, das beschließt die Schulleitung, soll jedenfalls nicht an die neuen Vorgaben angepasst werden. Zumindest solange es keine Ermahnung seitens des Ministeriums gibt. Das Thema beschäftigt die Schule jedoch weiter. Die Gleichstellungsbeauftragte, sagt Elisabeth Zunk, habe angekündigt, in der nächsten Konferenz weiter auf das Thema einzugehen.
Und die Lehrerin selbst? Sie würde eine politische Motivation hinter dem Schreiben nicht ausschließen. Derzeitiger Bildungsminister in Sachsen ist Christian Piwarz (CDU). "Kurz vor der Wahl noch CDU-Wähler*innen zu sichern, die zur AfD tendieren, das kann ich mir für die Regierung vorstellen. Es kann aber auch totaler Quatsch sein."
Sie fragt sich, warum die Anordnung ausgerechnet zu dieser Zeit kommt. Elisabeth Zunk ärgert sich, dass das Schreiben "einfach so vorgesetzt wurde. Es wurde überhaupt nicht anmoderiert." Bis heute findet sich auf der Seite des sächsichen Bildungsministeriums kein Hinweis auf das Schreiben. Nicht ungewöhnlich für Schriftstücke von Ministerien, die an die Schulen intern versandt werden, allerdings wird im Schreiben eingangs auch die gesellschaftliche Dimension der Debatte um gendergerechte Sprache erwähnt.
Das Schreiben wirkt, als wolle es einen eigenen Schlusspunkt unter die gesellschaftliche Debatte setzen, die auch in den Schulen stattfindet, so die junge Lehrerin. In ihrer Klasse sitzen nichtbinäre Schüler*innen. Deswegen formuliert sie in Richtung des Ministeriums: "Erklär das mal den Menschen in meiner Klasse, die sich nicht als Schülerin oder Schüler definieren."
Lehrer*innen drohen wohl keine Konsequenzen
Erklärungen finden sich im Schreiben. Darin heißt es etwa: "Aktuell lassen sich hier eine Vielzahl verkürzter Schreibweisen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Formen beobachten, die aber dem Grundanliegen einer angemessenen geschlechtergerechten Sprache nicht gerecht werden." Doch Elisabeth Zunk erkennt darin eine Ambivalenz, denn einige Absätze zuvor heißt es im Schreiben noch: "Die Verwendung von Sonderzeichen, wie Gender-Stern, Gender-Doppelpunkt, Gender-Unterstrich oder Doppelpunkt im Wortinneren, erfüllt weder die Kriterien für eine gendergerechte Schreibung noch entspricht sie den aktuellen Festlegungen des Amtlichen Regelwerks."
Dass die Sprache eine wichtige Komponente in der Geschlechtergerechtigkeit spielt, hat die Kultusministerkonferenz 2016 selbst hervorgehoben, ohne jedoch dahingehend Vorgaben zu machen. Als Maßnahme wird in dem früheren Beschluss explizit geschlechtergerechte Sprache im schulischen und außerschulischen Kontext als übergreifende Maßnahme zum Aufbrechen tradierter Rollenmuster erwähnt. Sowohl in der mündlichen als auch in der schriftlichen Kommunikation.
Welche Konsequenzen drohen Lehrer*innen, wenn sie sich wie Elisabeth Zunk über die Aufforderung des Ministeriums hinwegsetzen? "Wir sitzen nicht hinter der Lehrkraft und blicken ihr permanent über die Schulter", teilte das Bildungsministerium auf Anfrage von queer.de mit. "Letztlich regelt sich das durch die Schulfamilie."
Auf die Frage nach der Verantwortlichkeit für das Schreiben und welche Rolle CDU-Bildungsminister Christian Piwarz dabei spielt, antwortete die Pressestelle ausweichend: "Es gab immer wieder Nachfragen und Verunsicherungen bei diesem Thema innerhalb der Schulfamilie. Deswegen wurde zum Schulstart im Rahmen der unterschiedlichsten Informationen an die Schulen für das neue Schuljahr (wie jedes Jahr zur Schulvorbereitungswoche) auch diese Frage durch ein Schreiben des Kultusministeriums geklärt."
Verweis auf Rat für deutsche Rechtschreibung
Auf die Frage, welche wissenschaftlichen Studien nahelegen, dass die Verwendung von Sonderzeichen nicht die Kriterien erfüllen würden, antwortete das Ministerium mit der Wiederholung eines Auszugs aus dem Schreiben. Darin wird auf den Rat für deutsche Rechtschreibung verwiesen. Der Rat hatte im März dieses Jahres vorerst empfohlen, dass die "Aufnahme von Asterisk ("Gender-Stern"), Unterstrich ("Gender-Gap"), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen" nicht in das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufgenommen wird (queer.de berichtete). Jedoch, das geht aus der Empfehlung klar hervor, handelt es sich nicht um eine abschließende Bewertung der Thematik.
Zu kritisieren wäre hier dennoch die plötzliche Neueinschätzung des Rats. Im November 2018 hieß es in einer ähnlichen Pressemitteilung noch, dass die nun vorerst explizit ausgeschlossenen Formen in "unterschiedlichem Umfang den Kriterien für geschlechtergerechte Schreibung" entsprächen. Mittlerweile kommt der Rat zu der Einschätzung, dass die Verwendung von Sonderzeichen ein Problem sei: "Ihre Nutzung innerhalb von Wörtern beeinträchtigt daher die Verständlichkeit, Vorlesbarkeit und automatische Übersetzbarkeit sowie vielfach auch die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten."
Doch auf welche sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse diese Ergebnisse beruhen, bleibt unklar, denn Studien, die diese Aussagen belegen, werden der Öffentlichkeit nicht benannt. Auf eine entsprechende Anfrage erhielt queer.de bis heute keine Antwort.
Aktuelle Forschung aus 2019 legt nahe, dass der Verzicht auf das generische Maskulinum keinen Einfluss auf die Sprachverständlichkeit hat. Dabei wurde aber Gendern mit Sonderzeichen nicht untersucht. Im Jahr 2018 veröffentlichten zwei Autorinnen eine Arbeit, die Hinweise für einen negativen Einfluss auf das Leseverständnis durch die Verwendung von Schrägstrichen beim Gendern entdeckten. Andere Formen wurden dabei nicht untersucht. Die Wissenschaftsjournalistin Lara Schwenner stellte im März 2021 für "Quarks" fest: "Ein klares Plädoyer, welche Form des Genderns die optimale ist, gibt es aus der Wissenschaft, Stand jetzt, noch nicht – sie führt sogar selbst einen Diskurs darüber. Vor allem die Frage, was ein Genderstern bringt und ob er wirklich "nötig" ist, muss erst noch untersucht werden."
"Ich find Schüler*innen auch nicht schön zu schreiben"
Elisabeth Zunk ist Verfechterin einer anderen Variante. Im März erfuhr sie über einen Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur vom geschlechtslosen Y. Statt "die Schüler*innen" anzusprechen, verwendet der Aktionskünstler Hermes Phettberg bereits seit den 90er-Jahren "die Schülys."
Ein Kollege war gemeinsam mit ihr begeistert und übernahm die Form. In Kontakt mit den Kolleg*innen verwenden beide auch das Y. "Manche habe direkt mitgemacht", so Elisabeth Zunk. Sie selbst verwendet die Schreibweise auch in Elternbriefen. "Da gab es dann natürlich auch Rückfragen von den Kindern, aber das kann man dann einfach erklären. Die Klasse ist sowieso für das Thema sensibilisiert und der überwiegende Teil nimmt es positiv auf." Lediglich ein Kollege kritisierte die Variante mit dem Y. "Der hat sich 'verarscht' gefühlt."
Warum weicht Elisabeth Zunk auf diese ungewohnte Form aus, die auch im Gespräch mit queer.de zum Schmunzeln führt? Schließlich gibt es ja einige Alternativen. "Ich find Schüler*innen auch nicht schön zu schreiben oder zu sprechen", sagt sie.
"Die, die 'Deutsch statt Gendern' rufen, die sehen überhaupt nicht, dass wir auch nicht mehr so sprechen, wie vor einhundert Jahren." Elisabeth Zunk glaubt auch nicht, dass die optimale Form der gendergerechten Sprache bereits vorliegt. Sie plädiert dafür, dass es zuerst unbequem werden muss und es neue Formen braucht. In der Empfehlung aus dem Bildungsministerium sieht sie einen Eingriff in ihre pädagogische Freiheit.
Wer es mit der Forderung "Keine Sprachverbote!" ernst meint, sollte auch auf diejenigen Rücksicht nehmen, die bereit sind, neues zu probieren. Andernfalls laufen diejenigen Gefahr, sich selbst als die "Sprachpolizei" zu gerieren, die sie in anderen sehen.
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Sprache basiert jedoch auf Grammatik und einem ideologiefreien Regelwerk und nicht nach individuellen Wunschbaukästen. Wenn man schon den dringenden Wunsch hat, keine generischen Formen mehr zuzulassen und stattdessen bestimmte Satzzeichen zu verwenden, die beim Sprechen durch Glottisschläge hörbar gemacht werden sollen, so wäre zwingend eine grundlegende Sprachreform inkl. verändertem Regelwerk nötig. Damit alle endlich wissen, was genau richtig und was falsch ist. Dieser Mischmasch jedoch, wo der eine Lehrer sagt "Ich mach es so" und die andere Lehrerin sagt "Och, ich find die y-Formen eigentlich ganz schön" ist jenseits allem, was man noch als akzeptabel durchgehen lassen kann.