Blutspende und sexuelle und geschlechtliche Minderheiten: Es bleibt kompliziert (Bild: flickr / Banc de Sang i Teixits / by 2.0)
Nach mehreren Monaten Beratungszeit hat die Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut am Freitag die überarbeiteten Zulassungskriterien zur Blutspende vorgestellt. Trotz des Bemühens von Szeneverbänden oder etwa der Deutschen Aidshilfe setzen auch die neuen Richtlinien nicht allein auf konkretes Risikoverhalten, wie es inzwischen etwa in Italien oder Portugal üblich ist, sondern behandeln Personengruppen wie schwule Männer pauschal anders als den Großteil der Bevölkerung.
Männer, die Sex mit Männern haben, durften seit Beginn der Aids-Krise bis zu einer Überarbeitung der Richtlinie 2017 generell kein Blut spenden, seitdem galt für sie ausnahmslos eine Sex-Karenzzeit von zwölf Monaten. Dieses Zeitfenster für Risikokontakte bzw. in der Praxis "Risikogruppen" wird nun in vielen Bereichen auf vier Monate reduziert.
Auch wurde nun konkretisiert, dass diese Karenzzeit für "Sexualverkehr zwischen Männern (MSM) mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner" gilt – das heißt in der Praxis, Schwule in einer seit mehr als vier Monaten andauernden monogamen Beziehung bzw. einem vergleichbaren sexuellen Verhältnis dürfen nun ohne Rückstellung sofort Blut spenden. Für Heteros sind die Kriterien weicher und vage formulierter: Für sie gilt die Vier-Monats-Karenzzeit bei "häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen". Diese Regelungen gelten für alle Gruppen weiter, ohne dass etwa Safer-Sex-Verhalten berücksichtigt würde.
Ein aktueller Fragebogen zur Blutspende. Auch nach der künftigen Überarbeitung wird nach Gruppenzugehörigkeit gefragt
Des weiteren wurde das Kriterium "Transsexuelle Person mit sexuellem Risikoverhalten" in "Sexualverkehr einer Transperson mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen" geändert – die Beibehaltung der verwirrenden zusätzlichen Benennung hatte unter anderem die DAH kritisiert. Ein Ausschluss von Personen zur Blutspende gilt zudem weiterhin unter anderem bei Sexarbeit oder einer Infektion mit HIV oder Hepatis B und C. Für die Community noch relevant: Auch die Einnahme einer PrEP muss mindestens vier Monate zurückliegen.
Unterschiedliche Behandlung wird als Nicht-Diskriminierung verkauft
Die überarbeitete Richtlinie wird nun im Deutschen Ärzteblatt und Bundesanzeiger veröffentlicht und wirkt sich danach unter anderem auf die Fragebögen zur Blutspende aus. "Keinesfalls darf die medizinisch-wissenschaftliche Risikostratifizierung aus ihrem Regelungskontext gerissen und als Gradmesser für gesellschaftliche Akzeptanz oder Diskriminierung herangezogen werden", betont Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt in der Ankündigung. "Es war und ist uns ein besonderes Anliegen, jeden Anschein von Diskriminierung zu vermeiden", so Reinhardt. Daher habe man etwa die bisherige Formulierung Heterosexuelle vermieden. Das Ärzteblatt schreibt heute in der Überschrift irreführend zu den neuen Regelungen, die Blutspende sei nun "Unabhängig von der sexuellen Orientierung".
Die Überarbeitung stützt sich auf die im Sommer vorgelegten Beratungsergebnisse einer Arbeitsgruppe aus Ärztekammer, Bundesgesundheitsministerium, Paul-Ehrlich-Institut und Robert Koch-Institut (queer.de berichtete). Dabei wurden viele Rückmeldungen aus Verbänden zu einer diskriminierungsfreien und besseren Blutspendebefragung (s. Links ganz oben) größtenteils ignoriert. Aus Opposition und Verbänden kam daran Kritik, auch weil die Politik das Ergebnis als quasi Beendigung der Diskriminierung schwuler Männer darstellte (queer.de berichtete). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte etwa in sozialen Netzwerken verbreitet, künftig sei zugelassen, "wer in den letzten 4 Monaten nur Sex ohne Risiko hatte – egal ob mit Mann oder Frau".
"Das Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer wird nicht abgeschafft", kommentierte hingegen der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Brandenburg in der letzten Woche. "Die Diskriminierung bleibt. Wenn der Sex zwischen zwei Männern pauschal zum Risiko erklärt wird, gilt die neue Regel eben nicht 'egal ob mit Mann oder Frau'. Jens Spahn hat seine Follower absichtlich auf Glatteis geführt." Spahn sollte "das Rückgrat haben, seinen Tweet öffentlich richtigzustellen", so Brandenburg: "Wenn er das unsinnige Blutspendeverbot für schwule Männer schon nicht abschaffen will, sollte Jens Spahn zumindest öffentlich dazu stehen."
Brandenburg reagierte damit auch auf die Antwort des Gesundheitsministeriums auf seine Anfrage. Darin schrieb die Regierung am 13. September unter anderem, von "der empfohlenen Beibehaltung der Fallgruppen für das sexuelle Risikoverhalten" gehe "keine diskriminierende Wirkung aus": "Die Differenzierung ist aufgrund der hohen Infektionsprävalenz unter MSM gerechtfertigt." Brandenburg meint: "Es ist beschämend, dass sich die Bundesregierung mit einem halbgaren Reförmchen der Blutspenderichtlinie zufriedengeben will." Nicht die sexuelle Identität, sondern individuelles Risikoverhalten sei entscheidend. "Das unsinnige Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer gehört vollständig abgeschafft." (nb)
Zitat aus "Katapult" vom 15.06.2021: "Ab 10.000 Blutkonserven im Bestand herrsche laut DRK Alarmstimmung. Aktuell seien im DRK-Verbund ... noch weniger als 7.000 Konserven vorrätig. Täglich benötige man bundesweit jedoch bis zu 15.000 Blutspenden, um eine kontinuierliche Versorgung aller Patienten ... sicherzustellen."
Lasst euch bitte nicht für dumm verkaufen.