Im Zusammenhang mit strafbaren "Cum Ex"-Aktiengeschäften hat es am Dienstag in Hamburg eine Razzia beim früheren SPD-Politiker Johannes Kahrs gegeben. Wegen des Anfangsverdachts auf Begünstigung gegen drei Beschuldigte hätten Ermittler*innen neben Privaträumen auch die Räumlichkeiten der Hamburger Finanzbehörde durchsucht, teilte die Staatsanwaltschaft in Köln mit. Die Behörde in der Domstadt ist zentral zuständig für die inzwischen als Straftat gewerteten Steuerdeals, bei denen der Staat mehrfach Steuern erstattet hat.
Wie die dpa aus informierten Kreisen erfuhr, handelt es bei den Beschuldigten neben dem Ex-Bundestagsabgeordneten Kahrs um Alfons Pawelczyk (88), langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und früherer Hamburger Innensenator, und die für die in den "Cum-Ex"-Skandal verwickelte Hamburger Warburg Bank zuständige Finanzbeamtin. Sowohl Kahrs als auch Pawelczyk waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Mehrere Medien hatten zuvor über die Razzia berichtet.
Laut Mitteilung der Kölner Staatsanwaltschaft hätten bisherige Ermittlungen "Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten der Beschuldigten im Zusammenhang mit verfahrensgegenständlichen "Cum/Ex-Geschäften" eines in Hamburg ansässigen Kreditinstituts ergeben". An den Durchsuchungen waren Vertreter der Staatsanwaltschaft Köln und des Landeskriminalamts NRW beteiligt. Man habe "beweisrelevante Unterlagen und beweiserhebliche Kommunikation" sicherstellen sollen, so die Ermittler*innen.
Vorwürfe gegen Olaf Scholz
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) bestätigte die Durchsuchung in seiner Behörde, betonte aber, dass diese nicht beschuldigt sei. "Wie der Untersuchungsausschuss können auch die Strafverfolgungsorgane selbstverständlich umfassend Einblick in die Akten und behördeninternen Abläufe nehmen."
Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) der Hamburgischen Bürgerschaft will derzeit den Vorwurf einer Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der Warburg Bank klären. Hintergrund sind Treffen des damaligen Bürgermeisters und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten und Bundesfinanzministers Olaf Scholz 2016 und 2017 mit den Miteigentümern der Bank, Max Warburg und Christian Olearius. Gegen Olearius wurde damals bereits wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung ermittelt.
Nach den ersten Treffen hatte das Finanzamt für Großunternehmen 2016 mit Ablauf der Verjährungsfrist zunächst auf Steuernachforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro verzichtet. Weitere 43 Millionen Euro wurden 2017 erst nach Intervention des Bundesfinanzministeriums eingefordert.
Tagebucheinträge legen Treffen offen
Scholz hatte die Treffen im Untersuchungsausschuss eingeräumt, aber angegeben, sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern zu können. Eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren habe es aber nicht gegeben.
Auch Dressel verwies am Dienstag auf Aussagen von Beschäftigten seiner Behörde vor dem Untersuchungsausschuss, denen zufolge es keine politische Einflussnahme gegeben habe. "Neue Anhaltspunkte hierzu wurden nicht vorgetragen", sagte der Senator.
Die Treffen von Scholz und den Bankern waren durch die Veröffentlichung von Auszügen aus Tagebucheinträgen von Olearius in Medienberichten bekanntgeworden. Darin wurde auch von Gesprächen mit Kahrs und Pawelczyk berichtet.
Kahrs könnte besondere Rolle gespielt haben
Untersuchungsauftrag des PUA ist laut Einsetzungsbeschluss auch, zu klären, "welchen Austausch gab es wann und mit welchen Inhalten und Folgen zwischen den SPD-Politikern Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs, die laut übereinstimmender Berichterstattung eine besondere Rolle in den genannten Vorgängen gespielt haben sollen, aktiven und ehemaligen Mitgliedern des Senats, aktiven und ehemaligen Mandatsträgern und (…) mit Vertretern des Bankhauses M.M.Warburg & CO". Beide Ex-Politiker sollen im Dezember vor dem Ausschuss aussagen.
"Das sozialdemokratische Mantra, es habe keine politische Einflussnahme oder Verquickung im Cum-Ex-Steuergeldskandal zwischen Hamburger SPD-Politikern und Eignern der Warburg Bank gegeben, hat nun endgültig riesige Risse bekommen", sagte der CDU-Obmann im PUA, Richard Seelmaecker. "Die heutigen Durchsuchungen untermauern den Verdacht, dass aus der Politik Einfluss auf die damalige Entscheidung des Finanzamts genommen wurde."
Mit der Razzia bei Kahrs rücke der Skandal "an den potenziellen Bundeskanzler", sagte der scheidende Finanzexperte der Linksfraktion im Bundestag, Fabio de Masi. Kahrs Job sei es gewesen, "Olaf Scholz im Auftrag der Warburg Bank zu lobbyieren". Wie aus der Antwort auf eine von ihm gestellte Anfrage hervorgehe, "frühstückten Johannes Kahrs, der Warburg-Bankier Christian Olearius und der Staatssekretär Jörg Kukies noch nach der Warburg-Affäre gemeinsam".
Hang zu Strippenzieherei und Intrigen
Kahrs gehörte dem Deutschen Bundestag von 1998 bis 2020 als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Hamburg-Mitte an. Seit 2008 bis 2019, als er den Posten an Karl-Heinz Brunner abgab, war er Sprecher für die Belange von Lesben und Schwulen seiner Fraktion. 2018 hatte Kahrs seinen langjährigen Partner Christoph Rohde geheiratet.
Der bisherige Sprecher des konservativen Seeheimer Kreis innerhalb der SPD, dem wiederholt Eigenmächtigkeiten in Haushaltsfragen sowie ein Hang zur Strippenzieherei und innerparteilichen Intrigen vorgeworfen wurden, war in der Partei nicht unumstritten. Zugleich hatte er sich in den letzten Jahren im Bundestag und in sozialen Netzwerken häufig mit scharfen Worten mit der AfD angelegt und war deswegen online stark angefeindet worden.
Im Mai 2020 legte er sein Bundestagsmandat und alle politischen Ämter nieder. Kahrs reagierte damit auf seine Nichtberücksichtigung im Zusammenhang mit der Wahl des Wehrbeauftragten (queer.de berichtete). (cw/dpa)