Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) fordert von den Koalitionsverhandlungen eine deutliche Verbesserung der Situation von trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Wollen die vier Parteien, die in diesen Tagen zu ersten Verhandlungen über eine neue Regierungsbildung zusammentreffen, eine für nichtbinäre und intergeschlechtliche Personen sowie transgeschlechtliche Frauen und Männer freundliche Politik gestalten, müssen sie laut dgti einige Anforderungen erfüllen.
Der Forderungskatalog, der in ganzer Länge auf der Homepage des Vereins eingesehen werden kann, versammelt politische Maßnahmen zu den Bereichen des Vornamens und des Geschlechtseintrags, der Gesundheitsversorgung, Entschädigungszahlungen aufgrund von Grundrechtsverstößen und zum Diskriminierungsschutz. Die Auflistung zeigt: Bis zur Gleichstellung ist noch ein weiter Weg zu gehen.
Selbstbestimmung über den Namen und die Geschlechtszugehörigkeit
Tessa Ganserer, die seit der Wahl mit Nyke Slawik zu den ersten zwei offen transgeschlechtlichen Frauen im deutschen Bundestag gehört, sprach sich am Donnerstag mit der Forderung nach einem Selbstbestimmungsgesetz im Koalitionsvertrag auf Twitter ebenfalls für einen Teil der nun auch von der dgti erhobenen Forderungen aus. Darunter wird zumeist die einfache Änderung von Namens- und Personenstand verstanden und die Aufhebung des Zwangs zu Therapien und Gutachten für transgeschlechtliche Menschen, die ihre Einträge ändern wollen.
Das Transsexuellengesetz, das die dgti abgeschafft wissen will, regelt die Änderung des eingetragenen Namens und des Personenstands, also der Geschlechtseinträge "weiblich", "männlich", "divers" und des offenen Geschlechtseintrags. Demnach soll die einfache Selbsterklärung auf einem Standesamt genügen, um diese Eintragungen korrigieren zu lassen. Die alten Daten oder eine vorgenommene Änderung zu offenbaren, soll künftig eine Straftat darstellen.
Dass die Forderungen mit den Grünen als gesetztem Koalitionspartner gute Chancen auf Verwirklichung haben, verdeutlichten der bisherige queerpolitische Sprecher Sven Lehmann, Ganserer und Slawik bereits am Dienstag bei einem Foto vor dem Bundestag. Zusammen mit Aktivist*innen der Grünen Jugend versammelten die sich hinter einem Banner, das "Keine Koalition ohne Selbstbestimmung" forderte.
Die Unterversorgung mit Gesundheitsleistungen beenden
Doch der Katalog der dgti geht über den Entwurf der Grünen zu einem Selbstbestimmungsgesetz, das im Mai im Bundestag parallel zu einem ähnlich lautenden Entwurf der FDP gescheitert ist (queer.de berichtete), deutlich hinaus. Die häufig lückenhafte Gesundheitsversorgung bei spezifischen Leistungen soll nach Willen der dgti durch eine Versorgung in der Fläche der Vergangenheit angehören.
Das soll bei permanenten Haarentfernungen dadurch geschehen, dass der sogenannte Arztvorbehalt entfällt. Er regelt, dass die Krankenkassen die Entfernung nicht bezahlen müssen, wenn die nicht von Ärzt*innen vorgenommen wird. Dabei sind kaum Ärzt*innen auf dem kosmetischen Gebiet tätig. Erst im September stützte das Sozialgericht Stuttgart diesen Vorbehalt gegenüber einer intergeschlechtlichen Person (queer.de berichtete). Der Anspruch auf geschlechtsangleichende Operationen für transgeschlechtliche, nichtbinäre und intergeschlechtliche Personen soll im Sozialgesetzbuch verankert werden. Das solle auch für einwilligungsfähige Minderjährige gelten. In den im Bundestag gescheiterten Entwürfen zu einem Selbstbestimmungsgesetz war dieser Punkt ebenfalls enthalten. Nichtbinäre sind gegenwärtig von der Übernahme von Kosten zu solchen OPs generell ausgegrenzt und auch sonst beruhen die Richtlinien und Begutachtungen vor einer Kostenübernahme auf vielen diskriminierenden Annahmen (queer.de berichtete).
Entsprechend des neuen Diagnoseschlüssels der Weltgesundheitsorganisation ICD 11 soll die Pathologisierung als Grundlage der Behandlung auch nach dem Willen der dgti beendet werden. Im Gemeinsamen Bundesausschuss "G-BA", der viele Richtlinien in der Gesundheitsversorgung bestimmt, soll die Gruppe der trans- und intergeschlechtlichen Menschen ebenfalls zu den Interessenvertreter*innen der Patient*innen gehören. Psychotherapeutische Begleitungen von Transitionsprozessen sollen künftig ebenso wie die Haarentfernungen Anfahrten von höchstens 25 Kilometern erfordern und in G-BA-Richtlinien geregelt sein, die wiederum Einfluss auf die Verteilung medizinischer Angebote in der Fläche haben. Außerdem fordert die dgti, dass intergeschlechliche Kinder wirksam gegen geschlechtszuweisende Operationen geschützt werden.
Diskriminierende Gesetze haben Trans und Inter geschadet
Haben Menschen solche Eingriffe im Kindesalter hinter sich, sollen sie nach dem Willen der Gesellschaft ebenso entschädigt werden wie Menschen, die aufgrund von seit 2011 als verfassungswidrig eingestuften Bestimmungen im Transsexuellengesetz zur Vornahme geschlechtszuweisender Operationen genötigt wurden.
Das selbe wirf gefordert für Personen, deren Ehe wegen des TSG annuliert worden ist und für solche, die auf Grundlage ihres von ihrem Geschlecht abweichenden amtlichen Geschlechtseintrags Verfolgung wegen "gleichgeschlechtlicher" Beziehungen oder wegen "Belästigung der Allgemeinheit" erlitten haben, weil sie es gewagt haben, sich entsprechend ihres Geschlechts zu kleiden.
Auch bei Anti-Diskriminierung hat Regierung viel zu tun
Im Diskriminierungsschutz fordert die dgti unter anderem einen nationalen Aktionsplan für die Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und die gesonderte Erfassung von Straftaten wegen der geschlechtlichen Identität, zu denen künftig auch das bewusste Absprechen der Geschlechtzugehörigkeit gehören soll.
Die verpflichtende Einführung aller vier Personenstandseinträge in Formularen staatlicher Institutionen, ein erweiterter Kündigungsschutz für Menschen im Transitionsprozess und die Ausweitung des Rechts auf Abänderung von Dokumenten auf Heirats-, Geburts- und Abstammungsurkunden gehören ebenfalls zu den dgti-Forderungen, durch die fortgesetzte gesellschaftliche und staatliche Diskriminierung abgebaut werden sollen.
Aber welche Chancen auf Umsetzung haben diese Forderungen bei den Parteien, die sich gegenwärtig zur Bildung der nächsten Regierung beratschlagen? Jens Brandenburg, der sich als Sprecher für LSBTI der FDP-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode ebenfalls für die Rechte von Trans und Inter eingesetzt hatte, ist am Sonntag erneut in den Bundestag gewählt worden. Seine Fraktion verbreitete heute über soziale Medien sechs queerpolitische Forderungen. Darunter finden sich die Aufnahme des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität ins Grundgesetz, die Abschaffung des Transexuellengesetzes und die Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung, ein nationaler Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit, ein modernes Familien- und Abstammungsrecht für alle Regenbogenfamilien und der Schutz der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt in der EU.
Der SPD-Kanzler*innenkandidat Olaf Scholz hatte kurz vor den Wahlen zum Bundestag in der ZDF-Wahlsendung "Klartext" die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes zugesagt (queer.de berichtete). Was Scholz jedoch im Einzelnen darunter versteht, dürften wir im Falle einer Ampelkoalition bald erfahren. Ein Tweet der neuen SPD-Fraktion im Bundestag nannte als Themen, auf die es der Fraktion bei Koalitionsgesprächen besonders ankomme, Mindestlohn, Wohnungsbau und eine klimaneutrale Produktion.
Und man sollte sich auch um die Ergänzung von Art. 3 GG bemühen. Im Falle einer Jamaika-Koalition sollten FDP und Grüne (die das ja beide versprochen hatten) das zur Koalitionsbedingung machen. Und bei einer Ampel hätten Union und AfD zwar mehr als ein Drittel der Stimmen, aber die Union sollte sich sehr genau überlegen, ob sie dann dennoch weiterhin etwas blockiert, was die Mehrheit der Bürger und selbst die Mehrheit der Unions-Anhänger befürwortet.