Der Landesvorstand von Die Linke.queer Nordrhein-Westfalen rechnet nach dem schlechten Abschneiden der Linken bei der Bundestagswahl mit dem eigenen Landesverband ab: "Es ist inakzeptabel, dass die Verächtlichmachung von Genoss:innen, die Förderung und Propagierung von Trans- und Homosexuellenfeindlichkeit [und] die enge Zusammenarbeit mit extrem rechten Kräften [...] geduldet, ja sogar akzeptiert wird", erklärte der Landessprecher:innenrat der Arbeitsgemeinschaft in einer Mitteilung vom Sonntag.
Kritisiert wird dabei unter anderem NRW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht. Die 52-Jährige hatte in ihrem im Frühjahr erschienenen Buch "Die Selbstgerechten" beklagt, dass die politische Aufmerksamkeit auf "immer skurrilere Minderheiten" gelenkt werde, "die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein"; als Beispiel für solche "Marotten" hatte sie sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie genannt (queer.de berichtete). Die Linke.queer erklärte nun: "Für Menschenverachtung darf in DIE LINKE kein Platz sein. Ein inhaltlicher Klärungsprozess ist daher dringend notwendig."
Unterwanderung durch heterosexuelle Wagenknecht-Fans?
Die Linke.queer kritisierte auch, dass "Wagenknecht-Anhänger:innen" versucht hätten, den LGBTI-Verband zu unterwandern und dadurch dessen Arbeit lahmzulegen. "Schon vor zwei Jahren ist eine Gruppe um das jetzige Landesvorstandsmitglied Frank Kemper in DIE LINKE.queer eingetreten, nachdem es kritische Anmerkungen der [Landesarbeitsgemeinschaft] zu Wagenknecht-Äußerungen gab", erklärte der Landesvorstand. "Diese Gruppe (allesamt heterosexuell und an Queer-Politik nicht interessiert) 'besuchte' dann eine LAG-Sitzung und forderte, erst die Wahlen vorzunehmen, bevor über Inhalte diskutiert erden solle, sie wollten schließlich schnell (und vor der inhaltlichen Debatte) wieder weg." Mit ihrer knappen Mehrheit habe die Gruppe auf der Sitzung die (Wieder-)Wahl von Queer-Aktivist*innen verhindert und eigene Leute durchgesetzt. "Diese traten dann nach kurzer Zeit zurück, das Ziel, die Arbeit der LAG lahmzulegen, war erreicht", so der Vorwurf.
In dem Text beklagte Die Linke.queer zudem "verschwörungstheoretische Posts und krude inhaltliche Positionen in sozialen Netzwerken" durch Landesvorstandsmitglied Tamara Helck. Sie habe etwa einen Text geteilt, in dem der angebliche Einsatz für "Menschenrechte von queerfeministischen Transfröschen in Zentralafrika" für das schlechte Abschneiden der Partei verantwortlich gemacht werde. "Wer die Verächtlichmachung von Trans* und Queers zum Programm erhebt, hat in einem Landesvorstand von DIE LINKE nichts, aber auch gar nichts verloren", so die queeren Aktivist*innen. Man bereite deshalb einen Abwahlantrag für den nächsten Landesparteitag vor.
Außerdem kritisierte die Landesarbeitsgemeinschaft eine gemeinsame Fraktion der Linkspartei mit der "extrem rechten" Zentrumspartei in der Stadt Korschenbroich im Kreis Neuss ("Hier wird die antifaschistische Grundhaltung unserer Partei mit Füßen getreten"). Auch der inzwischen aus dem Bundestag geflogene Ex-Abgeordnete Alexander Neu, der letztes Jahr die LGBTI-Feindlichkeit in Russland verharmloste, wird im Text von Die Linke.queer kritisiert. Das Fazit der queeren Aktivist*innen lautete: "Dass all dies in DIE LINKE.NRW möglich ist (und viele ähnliche Interna erwähnen wir gar nicht erst), gefährdet die Zukunft unserer Partei."
Die Linke hatte bei der Bundestagswahl am 26. September nur 4,9 Prozent erhalten, zieht aber dank des Gewinns von drei Direktmandaten in Berlin und Leipzig in Fraktionsstärke in den Bundestag ein – wenn auch stark geschrumpft. In Nordrhein-Westfalen verlor die Partei mehr als die Hälfte ihrer Wähler*innen und kam auf magere 3,7 Prozent.
"Aus Selbstachtung" nicht Die Linke gewählt
Bereits am Montag nach der Wahl hatte der Bundesverband von Die Linke.queer eingestanden, dass es bei der eigenen Partei an Akzeptanz für queere Lebensweisen fehle: "Vielfalt, Diversität und Respekt müssen in DIE LINKE wieder selbstverständlich werden", hieß es in einem Eintrag auf Facebook. Die Bundesarbeitsgemeinschaft flehte queere Sozialist*innen mit den Worten an: "Kommt zurück! Viele Queers haben uns auf Bundesebene, schon aus Selbstachtung, dieses Mal nicht gewählt, obwohl sie DIE LINKE programmatisch unterstützen."
Die Bremerin Doris Achelwilm, seit 2017 die engagierte queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion, verfehlte wegen des schlechten Abschneidens ihrer Partei den erneuten Einzug in den Bundestag. (dk)