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20. Verhandlungstag
Prozess gegen #ArztOhneNamen: Beweisaufnahme abgeschlossen
Im Missbrauchsprozess gegen einen szenebekannten Berliner Mediziner wurde der letzte Zeuge gehört. Neue Beweisanträge lehnte das Gericht ab. Für die Schlussplädoyers wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Saal 135 des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin: Auch am Montag wurden Journalist*innen und Besucher*innen mehrfach vor die Tür geschickt (Bild: Peter Fuchs)
- Von Peter Fuchs
12. Oktober 2021, 04:32h 5 Min.
Gegen 16 Uhr verkündete am Montag der Vorsitzende Richter Rüdiger Kleingünther die von allen Prozessbeteiligten erhofften Worte: "Ich schließe die Beweisaufnahme." Damit ist am 20. Verhandlungstag im Strafprozess gegen den Berliner HIV-Spezialisten vor dem Amtsgericht Tiergarten der Weg frei für die Schlussvorträge, bevor das Urteil des erweiterten Schöffengerichts bekannt gegeben wird. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 63-jährigen #ArztOhneNamen in fünf Fällen sexuellen Missbrauch von Patienten im Rahmen von Analuntersuchungen vor. Der Mediziner bestreitet die Vorwürfe.
Der Verhandlungstag hatte um 9.15 Uhr mit der Anhörung eines Zeugen begonnen. Der Universitätsprofessor für Gender und Diversity beschrieb den Inhalt eines Telefonats, das er mit einem Nebenkläger am 10. September 2012 über den mutmaßlichen Missbrauch einige Tage davor geführt hatte. Der Zeuge habe es als ungewöhnlich empfunden, dass sein Freund, den er seit Jugendtagen kenne, Schwierigkeiten hatte, die Geschehnisse in der Praxis einzuordnen. Auf Nachfrage durch das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung gab der Zeuge die geschilderten Abläufe so wieder, wie der Opferzeuge sie in seiner Aussage dem Gericht berichtet hatte (queer.de berichtete). Nur die mutmaßlich gefallenen Worte "Das ist verboten, was wir jetzt machen" schrieb der Zeuge dem mutmaßlichen Opfer zu und nicht dem Arzt, wie es der Patient ausgesagt hatte. Auf Nachfrage der Verteidigung, ob der Zeuge mit seinem Freund kurz vor seiner Aussage noch über diese Vorgänge gesprochen habe, verneinte dieser.
Beweisantrag über schwule Codes abgelehnt
Nachdem der Zeuge entlassen worden war, wurde vom Gericht bekannt gegeben, dass die Staatsanwältin ihren von der Verteidigung heftig bekämpften Beweisantrag mit der Befragung eines Experten über sprachliche Codes in der Kommunikation unter schwulen Männern, zurückgezogen habe. Dabei wurden keine Gründe genannt.
Der Beweisantrag blieb jedoch aufrecht, weil sich auch Vertreterinnen von Nebenklägern dem Antrag angeschlossen hatten. Dem Angeklagten könne bewusst sein, dass seine angebliche Aussage "Du bist aber schön sauber, spülst du täglich?" unter schwulen Männern eine anzügliche Bedeutung habe, argumentierte Anwältin Barbara Petersen. Der Angeklagte bestreitet, den Opferzeugen unangemessen während der Behandlung angesprochen zu haben (queer.de berichtete) .
Anwältin Undine Weyers übersetzte den Kontext des mutmaßlich Gesagten mit "Bist du allzeit bereit?" und dass deshalb geklärt werden solle, ob der #ArztOhneNamen sich als "Teil der Szene begreift, die solche Codes verwendet". Dabei zitierte sie ein Interview aus einem Gesundheitsmagazin von 2020, in dem sich der Angeklagte selbst als "schwuler Arzt" bezeichnet haben soll.
Verteidiger Stefan König hielt dagegen, dass sein Mandant selbst darüber entscheiden könne, wann und wo über seine sexuelle Orientierung gesprochen wird. Es gebe keine Notwendigkeit, diese Thematik im "Gerichtssaal erörtern zu lassen", selbst wenn "er in der Vergangenheit etwas öffentlich dazu gesagt habe". Nach Beratung lehnte der Vorsitzende Kleingünther diesen Beweisantrag ab.
Nicht medizinisch notwendige Untersuchungen?
Anschließend gab die Staatsanwältin ihre Schlussfolgerungen bekannt, die sie aus dem Studium der Patientenakte eines mutmaßlichen Opfers gezogen hat. Der Mann war am 5. Prozesstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt worden (queer.de berichtete). Mit dieser Erklärung sollte die Verteidigung die Möglichkeit einer Stellungnahme erhalten.
Sie könne laut Akte nicht nachvollziehen, warum der Angeklagte an dem Patienten einen Check auf sexuell übertragbare Krankheiten durchgeführt habe, obwohl ein Arztbrief sechs Monate davor die Diagnose Testosteronmangel gestellt und der Patient aufgrund der Medikation Erektionsstörungen bekommen hatte. Der Check sei erfolgt, ohne dass der Patient "sexuelle Praxis" im vergangenen halben Jahr gehabt habe. Außerdem sei ihr aufgefallen, dass in der Akte des langjährigen Patienten nur an besagtem Termin des mutmaßlichen Vorfalls eine "3-fach Untersuchung" notiert sei. Bei den regelmäßigen Checks über die Jahre, in denen der Mann Patient der Praxis gewesen war, sei dies nicht der Fall gewesen. Eine Begründung finde sich in der Akte nicht.
Dann kam sie noch auf das besondere Datum des mutmaßlichen Vorfalls zu sprechen. Der Termin fand am 29. Dezember 2012 statt, der auf einen Samstag gefallen war. Weil davon auszugehen sei, dass der folgende Montag, also Silvester, ein "halber Feiertag" war, dem der Feiertag des 1. Januar folge, läge also der erste Tag, an dem ein Labor arbeite, fünf Tage nach dem Untersuchungstermin. Sie könne daher "nicht nachvollziehen, warum an so einem Samstag eine laborunterstützende Untersuchung erfolgte" und nicht zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt. Nach einer kurzen Beratung mit dem Angeklagten gab Anwalt König bekannt, dass die Verteidiger*innen auf diese Schlussfolgerungen in ihren Plädoyers antworten würden.
Bis es zum erlösenden Abschluss der Beweisaufnahme an diesem Tag kam, wurden von den Anwältinnen der Nebenklage noch weitere Beweisanträge eingebracht, die nicht angenommen wurden. So wurde ein ehemaliger, in der Praxis des Angeklagten angestellter Arzt als Zeuge abgelehnt, der gesehen haben will, dass der #ArztOhneNamen Patienten auch ohne Handschuhe genital untersucht habe. Auch zwei Personen, mit denen sich der mutmaßlich Geschädigte vom 7. Verhandlungstag kurz nach dem angeblichen Vorfall unterhalten habe, sollen nicht gehört werden. Begründung der Ablehnung war, dass die Anträge für das Gericht "keine konkreten Tatsachen enthalten, die bewiesen werden müssen."
Schlussplädoyers unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Noch bevor die Staatsanwältin mit ihrem Plädoyer beginnen konnte, wies der Vorsitzende Kleingünther auf § 171b, Absatz 3, Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes hin. Es besagt, dass die Öffentlichkeit für die Schlussvorträge auszuschließen sei, wenn die Hauptverhandlung zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Nach dem Abfragen der Verfahrensbeteiligten und einer Beratung gab das Gericht bekannt, dass die Öffentlichkeit dafür ausgeschlossen wird.
Leider hat das zur Folge, dass queer.de nicht über die Schlussplädoyers berichten kann und erst wieder zur Urteilsverkündung in den Gerichtssaal darf. Der nächste Verhandlungstag ist für den 25. Oktober angesetzt. Ob dann auch bereits das Urteil verkündet wird, ist derzeit noch offen.













