Die stoppeligen Haare von Horst B. sind grau, die Augenbrauen sind grau und selbst der Kapuzenpullover, den der 66-Jährige am ersten Prozesstag trägt, ist grau. Unscheinbar wirkt B. – doch vor dem Landgericht München II steht der gelernte Elektriker, weil er an den Abgründen der menschlichen Sexualität operiert haben soll, und das im wahrsten Sinn: B. soll Männer auf deren Wunsch hin kastriert und am Penis verstümmelt haben.
Weil ein Mann Tage nach der laienhaft vorgenommenen Kastration starb, ist B. wegen Mordes durch Unterlassen angeklagt. Er soll mitbekommen haben, dass der Mann als Folge des Eingriffs massive gesundheitliche Probleme bekam, aber nicht geholfen haben. Dazu kommt eine Reihe von Körperverletzungsdelikten – B. droht in dem bis Ende November geplanten Prozess eine lange Haftstrafe.
Motiv: Geldnot
Die Anklage der Staatsanwaltschaft strotzt vor Details, die fassungslos machen. Eine sich aufdrängende Frage ist, was B. antrieb – und eine andere, was seine freiwilligen Opfer antrieb. In dem Prozess geht es vor allem um die erste Frage, und die ist für die Staatsanwaltschaft beantwortet: Aus Geldnot soll B. gehandelt haben, nicht aus sexuellen Motiven.
Der Elektriker, der immer wieder in finanzielle Schieflage geriet, soll nach dem Krebstod seiner dritten Frau wieder pleite gewesen sein. Ein Arbeitskollege soll ihm dann von bezahlten sadistischen und masochistischen Aktivitäten im Internet berichtet haben.
2018 soll der hagere B. im Internet "Behandlungen" wie Stromschläge angeboten haben. Schon nach kurzer Zeit soll er dann in Chatgruppen für "Kastration" oder "Männerkastration" mehr angeboten haben – nämlich schwere Eingriffe an den Geschlechtsorganen der Männer.
Im Juni 2018 fand B. sein erstes Opfer. "Aus einem inneren Zwang heraus" habe dieser Mann jemanden gesucht, der ihn kastriert, erklärte die Staatsanwaltschaft. Die beiden tauschten sich per SMS aus, schon im Juli kam es zum Eingriff.
Auf seinem Küchentisch entfernte B. dem Mann die Hoden. Anschließend zahlte der Mann 1.200 Euro. Dabei erschließt sich nicht, wie die Opfer so leicht Vertrauen zu B. fassen konnten. Er wirkt wenig charismatisch, seine Art eher mürrisch.
Angeklagter soll Opfer angelogen haben
Nach Auffassung der Anklage konnte B. seine Opfer mit einer Lüge letztlich vom Eingriff überzeugen: Er gab stets an, ausgebildeter Rettungssanitäter zu sein. In Kombination mit seinen Operationswerkzeugen hätten diese ihm geglaubt und sich ihm anvertraut.
Insgesamt acht Personen ließen sich von B. operieren, darunter eine trans Person, die ihre Hoden entfernt haben wollte. Ein weiterer Mann sah sich selbst als pornosüchtig an.
Der Mann suchte zusammen mit seiner Ehefrau nach Abhilfe. In mehreren Eingriffen ließ sich der Mann von dem Elektriker am Penis herumschneiden, beim schwersten Eingriff entfernte B. drei Zentimeter davon.
In allen Fällen brachte B. nach Auffassung der Staatsanwaltschaft das Leben seiner Opfer in Gefahr, weil er vollkommen unzureichend arbeitete. Im Fall des tatsächlich gestorbenen Manns ist der Fall indes juristisch am umstrittensten.
Richter Thomas Bott sagte, der bisher angeklagte Mord durch Unterlassen, der auch mit einer milderen Strafe verurteilt werden könnte, könne womöglich auch als aktiver Mord verurteilt werden. Dann würde B. auf jeden Fall eine lebenslange Haft drohen. Entscheidend könnte hier die Glaubwürdigkeit von B. werden – direkt am ersten Verhandlungstag entlarvte der Richter dessen Neigung zum Lügen.
Im Fall des Toten muss das Gericht auf Grund der vorliegenden Beweise entscheiden. Im Fall der anderen Opfer wird es Zeugenvernehmungen geben. Dann wird vielleicht klarer, aus welchen Motiven sich die Opfer kastrieren oder den Penis verstümmeln ließen.
Mich würde interessieren, wie die kastrierten Männer inzwischen ihren Testosteronbedarf therapieren.