Die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat für den 27. Januar 2023 eine Holocaustgedenkstunde des Parlaments in Aussicht gestellt, bei der insbesondere an die homosexuellen Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft erinnert werden soll. Das geht aus einem Schreiben an den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hervor, den Bas im Namen des gesamten Bundestagspräsidiums verfasst hatte. Diesem gehören auch Aydan Özoğuz (SPD), Yvonne Magwas (CDU), Claudia Roth (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP) und Petra Pau (Linke) an.
Die Initiative für das Gedenken an homosexuellen Opfer des Nazi-Regimes war vor knapp vier Jahren von Aktivist Lutz van Dijk gestartet worden (queer.de berichtete). Obwohl es im Präsidium eine Mehrheit für die Initiative gab, lehnte der bisherige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) diese ab (queer.de berichtete). Schäuble musste jedoch nach der Wahlniederlage der Union Ende Oktober dieses Jahres seinen Stuhl räumen.
Daraufhin appellierten van Dijk und LSVD-Vorstandsmitglied Henny Engels in einem Brief an die Nachfolgerin Bärbel Bas, die Initiative für kommendes Jahr in Erwägung zu ziehen: "In den vergangenen 25 Jahren kamen im Rahmen dieses Gedenkaktes Angehörige fast aller Opfergruppen des NS-Regimes zu Wort. Menschen, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, blieben bislang aber ungehört."
2022 steht im Kontext des 80. Jahrestages der Wannsee-Konferenz
In ihrem Antwortschreiben vom 22. November, das queer.de vorliegt, erklärte Bas zwar, dass 2022 bereits verplant sei: "Die Gedenkstunde des kommenden Jahres wird im Kontext des 80. Jahrestages der verbrecherischen Wannsee-Konferenz stehen und Überlebenden der ersten Generation die Möglichkeit geben, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen", so Bas. Der Bundestag werde sich aber in Kürze "mit der Konzeption der Gedenkstunde des Jahres 2023 befassen und hierbei insbesondere den Vorschlag einbeziehen, die als Homosexuelle im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Menschen in den Mittelpunkt der Gedenkstunde zu stellen". Bas versicherte, dass die Petition van Dijks bei der Beratung "Berücksichtigung finden wird".
Van Dijk erklärte, man werde "alles tun", um die Bundestagspräsidentin Bas und die anderen Präsidiumsmitglieder darin zu unterstützen, "tatsächlich sexuelle Minderheiten 'in den Mittelpunkt zu stellen'".
Der Deutsche Bundestag erinnert anlässlich der Befreiung der Konzentrationslager in Auschwitz am 27. Januar 1945 jedes Jahr an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Akt des Gedenkens wird von der kompletten Staatsführung besucht und viel beachtet. 2017 wurde dabei in herausgehobener Weise der Morde an Behinderten im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogramms der Nazis gedacht. 2011 sprach dort erstmals ein Vertreter der Sinti und Roma.
Das NS-Regime bezeichnete Homosexuelle – insbesondere Männer – als "Volksschädlinge" und "Staatsfeinde" und verfolgte sie drakonisch. Zu diesem Zweck gab es eine eigene Polizeibehörde. 50.000 Männer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt. Schätzungen zufolge wurden außerdem bis zu 15.000 Schwule in Konzentrationslager gebracht und dort oftmals besonders grausam gequält. Mehr als die Hälfte von ihnen starb in den Vernichtungslagern – die Überlenden wurden im Anschluss von der Bundesrepublik und der DDR noch jahrzehntelang weiter verfolgt. (dk)