Ausgelassene Stimmung beim Frankfurter CSD. Queere Menschen feiern, tanzen, genießen die Offenheit, zeigen sich voller Stolz. "Das Ende des Schweigens" beginnt im Heute, springt aber ganz schnell eine Generation zurück. Denn 70 Jahre zuvor war Frankfurt Schauplatz der wohl größten Verfolgung schwuler Männer der Adenauer-Zeit.
Bei den sogenannten Frankfurter Homosexuellenprozessen wurde gegen mehr als 200 Männer ermittelt, weil sie Sex mit Männern gehabt haben sollen. Knapp 100 wurden verhaftet. Was das bedeutete, ist heute kaum mehr zu fassen: Die Männer verloren oft nicht weniger als ihre Lebensgrundlage. Eine Verurteilung ging häufig einher mit sozialer Ächtung und Jobverlust.
Vorkriegs-Haftbefehle nach dem Krieg vollstreckt
Poster zum Film: "Das Ende des Schweigens" läuft seit 2. Dezember 2021 in ausgewählten Programmkinos
Im Mittelpunkt dieser Prozesse steht der Stricher Otto Blankenstein. Vielleicht hieß er auch Rolf Dieter von Rössing oder Rolf Dieter von Werder oder ganz anders. Die Staatsanwaltschaft, an vielen Stellen noch immer besetzt mit Nazis, machte ihn zum Kronzeugen. Er belastete Dutzende Männer.
Wie konnte es soweit kommen? Und warum ausgerechnet in Frankfurt, der laut Historiker Gottfried Lorenz "ersten Homosexuellen-Hauptstadt nach dem Krieg"? Produzent und Regisseur van-Tien Hoang arbeitet in seinem Dokumentarfilm "Das Ende des Schweigens" diese Fragen sorgfältig auf, liefert Antworten und zeigt die Leerstellen, die es noch immer gibt. Otto Blankenstein etwa, dessen Spur sich nach seiner Verurteilung verliert.
Dafür lässt er Historiker zu Wort kommen, die es schaffen, die Zeit und die damals herrschende Stimmung erlebbar zu machen. Außerdem legen sie dar, wie die Prozesse nachwirkten. Hauptverantwortlich war der Staatsanwalt Fritz Thiede, der bereits zur Nazi-Zeit brutal gegen homosexuelle Männer vorging. Haftbefehle wegen Paragraf 175 von vor dem Krieg wurden in der Bundesrepublik einfach wieder aus den Schubladen gezogen.
Highlight: das Interview mit Wolfgang Lauinger
Zentral und ein wirklich wertvolles Zeitdokument wird die Doku vor allem durch das Interview mit Wolfgang Lauinger. Er war der wohl letzte Zeitzeuge der Frankfurter Homosexuellenprozesse. Lauinger saß für sechs Monate ohne Anklage in Einzelhaft, wurde am Ende jedoch freigesprochen.
Regisseur van-Tien Hoang (Bild: GMfilms)
Aufmerksamkeit erhielt sein Schicksal im Jahr 2017, als sein Antrag auf Entschädigung für die damalige Untersuchungshaft abgelehnt wurde. Bis zu seinem Tod Ende 2017 erhielt er keine Rehabilitierung (queer.de berichtete). Das bereits 2015 geführte Interview vermittelt einen Eindruck dieses Menschen und des Unrechts, das er erfahren musste. Gleichzeitig ist es bemerkenswert, wie Lauinger seine Fröhlichkeit nicht verlor.
Dokumentarische Unterfütterung für "Große Freiheit"
Regisseur van-Tien Hoang ergänzt die Aussagen der Historiker durch nachgespielte Szenen. Die Dialoge hätten vielleicht etwas authentischer geschrieben werden können, doch die Szenen sind dennoch ein kluger Kniff, die Geschichte plastischer zu gestalten.
Der Film wurde gefördert und auch durch Crowdfunding finanziert. Vielleicht ist es ein großes Glück, dass er kurz nach dem Spielfilm "Große Freiheit" erschien: Er dient so als dokumentarische Unterfütterung des preisgekrönten Dramas und erfährt hoffentlich noch mehr Aufmerksamkeit.
Zum Ende hin schlägt "Das Ende des Schweigens" den wichtigen Bogen zum Anfang: Unsere Freiheit ist nicht selbstverständlich, sondern erkämpft worden. So wird der Titel des Dokumentarfilms zur Aufforderung: Dieses Kapitel der Nachkriegsgeschichte darf nicht länger verschwiegen werden.
Infos zum Film
Das Ende des Schweigens. Dokumentarfilm. Deutschland 2020. Regie: van-Tien Hoang. Mitwirkende: Christian Setzepfandt, Markus Velke, Gottfried Lorenz, Horst Tim Riethausen, Wolfgang Lauinger, Conrad Bach, Wolf Marian Gerhardt, Yvo Heinen, Eric Lenke, Marco Linguri, Bernd Lottermann, Thorsten Schmitt, Pierre Siart, Christoph Gérard Stein, Horst Winkelewski. Laufzeit: 75 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. FSK 12. Verleih: GMfilms. Kinostart: 2. Dezember 2021
Dieser Film ist ein Muss.