Rosa von Praunheim saß vor 30 Jahren auf dem heißen Stuhl – und outete die TV-Stars Hape Kerkeling und Alfred Biolek gegen deren Willen als schwul (Bild: RTL)
"Hape Kerkeling hätte zum Beispiel eine Vorbildfunktion. Der ist jung. Der ist hübsch. Der ist ein Sympathieträger." Mit diesen Worten versuchte Regisseur Rosa von Praunheim vor genau 30 Jahren in der Krawalltalkshow "Der heiße Stuhl", ein bis heute einmaliges Outing in der deutschen Fernsehlandschaft zu verteidigen – neben dem aufstrebenden Komiker verriet er damals den rund vier Millionen Zuschauer*innen auch die Homosexualität des sehr populären Talkshow-Onkels Alfred Biolek.
Das ganze Land sprach danach darüber, was im Abendprogramm von RTLplus geschehen war – die Boulevardpresse überschlug sich: "Pfui, Rosa! Schwulen-Verrat im TV", titelte etwa die "Bild"-Zeitung. Ein anderes Blatt forderte: "Jetzt reicht's mit den Enthüllungen: Nie mehr Rosa im Fernsehen!"
In der RTL-Sendung hatte das Publikum über das überraschende Outing laut getuschelt, der krawallgewöhnte Moderator Ulrich Meyer reagierte perplex. Er sei "wie vom Donner gerührt" gewesen, erinnerte er sich in einem Interview vor zehn Jahren. "Ich habe mich in der Moderation noch bemüht zu relativieren, aufzufangen." Aber das sei "unumkehrbar" gewesen, so Meyer. Die Einladung Praunheims in die Sendung sei "blauäugig" gewesen.
"Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise"
Der heute 79-jährige Rosa von Praunheim verteidigte sein Outing als einen "Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise", den er nie bereut habe. "Ich wusste, was ich tat. Mit Biolek und Kerkeling habe ich keine hilflosen Wesen geoutet, sondern Sympathieträger, beliebte Narren der Gesellschaft, die niemand so leicht steinigen konnte", erklärte er im Jahr 2009 auf die Frage, ob Outings nicht ein Verstoß gegen die Privatsphäre seien (queer.de berichtete).
"Wer wie Kerkeling und Biolek berühmt ist und zu einer Gruppe gehört, die diskriminiert, gemobbt und verprügelt wird, hat kein Privatleben im herkömmlichen Sinn. Sein Privatleben ist immer politisch", sagte Praunheim. Daher sei es eine "Pflicht, an die Öffentlichkeit zu gehen".
Später verriet er, dass kurz vor dem legendären TV-Auftritt ein enger Freund an Aids gestorben sei. Dadurch habe er sich dazu durchgerungen, die Öffentlichkeit aufzurütteln: "Ich kann nicht immer nur durch die Talkshows tingeln. Ich muss auch was machen." Er habe aber gewusst, dass es "unanständig" sei. "Sowas machen nur Schweine, obwohl die ja sehr klug sind", witzelte er.
Mehrfach betonte der Regisseur in Interviews, dass sein Outing weder Kerkeling noch Biolek geschadet habe – ganz im Gegenteil. Zudem habe er das Bild von Schwulen in den Medien schnell zum Positiven verändert: "Vorher tauchten Schwule meist nur im Zusammenhang mit Drogen, Mord und Aids-Tod auf; Stars mussten eine Vorzeige-Verlobte präsentieren. Als Folge von meinem Outing waren Schwule plötzlich normal und wurden wohlwollend dargestellt."
Kerkeling: Publikum reagierte "irre normal"
Hape Kerkeling hatte etwa ein Jahr nach dem Outing im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eingeräumt, er sei während der Sendung, die er sich nach dem Hinweis einer Freundin zu Hause angeschaut habe, fast in Ohnmacht gefallen. "Sensiblere Naturen als ich hätten sich in einer Kurzschlusshandlung womöglich mit dem Fön in die Badewanne gelegt." Doch das Publikum habe "irre normal" reagiert.
"Sogar in der tiefsten bayerischen Provinz, wo ich kurz nach dem Outing auf Tournee war, bin ich nie dumm angequatscht worden", erinnerte sich Kerkeling. "Es gibt in unserem Gewerbe so viele Untergrund-Schwule, die teilweise zur Tarnung in die Ehe geflüchtet sind. Ich kann nur jedem raten, sich nicht zu verstellen."
Auch der im Juli dieses Jahres verstorbene Alfred Biolek erklärte 2012 in einem Interview, das Outing als schmerzhaften Schlag empfunden zu haben, der ihn jedoch befreit hätte: "Es hat wehgetan, aber es hat die Verspannung gelöst" (queer.de berichtete).
Freunde gemacht hat sich Praunheim mit dem Schritt indes nicht: Erst in diesem Sommer sagte Praunheim, er habe Kerkeling nie persönlich getroffen (queer.de berichtete).
Mit der Outing-Aktion blieb sich der Regisseur letztlich treu: Bereits sein Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" provozierte Praunheim mehr als 20 Jahre zuvor nicht nur den "braven Bürger", sondern auch viele Schwule mit beißender Kritik an der damaligen Community (queer.de berichtete).
Bald können wir übrigens ein neues Praunheim-Werk bewundern, das die Geschichte vieler schwuler Männer im letzten Jahrhundert exemplarisch erzählt: Für den Rundfunk Berlin-Brandenburg filmt er gerade das Dokudrama "Der letzte Tanz – Die Rex-Gildo-Story" (queer.de berichtete). Der Schlagersänger galt in den westdeutschen Nachrkriegsjahren als heterosexueller Traummann – seine Homosexualität versteckte er, unter anderem indem er seine Cousine heiratete. 1999 stürzte er sich im Alter von 63 Jahren aus dem Fenster seiner Münchner Wohnung in den Tod – mutmaßlich beging er Suizid.
Sicher war es aber auch ein Spiel mit dem Feuer, das auch böse hätte enden können.
Die typische Reaktion unter Hetero-Männern war tatsächlich vielsagend.
Jeder tat so, als sei es ihm bei Biolek im Grunde schon immer klar gewesen. Doch, dass Hape schwul sein sollte, wollte man(n) einfach nicht glauben und konnte es auch nicht zuordnen.
Für eine kurze Zeit war das Thema schwul und das bis dahin gültige Klischee-Denken, wie ein Schwuler zu sein hätte und wie leicht erkennbar er für alle wäre, in der Gesellschaft angekommen.
Ob es allerdings tatsächlich etwas über den Moment hinaus oder über die beiden Promis hinaus bewirkt hat, lässt sich wohl eher schwer sagen.
In dieser Vor-Internet-Zeit, als Fernsehen und Zeitungen noch eine ungleich höhere Bedeutung hatten, war es jedenfalls ein öffentlicher Eklat, wie er heutzutage in Verbreitung und Wucht kaum vorstellbar scheint.
Von daher wird dieses Outing in seiner Art einmalig bleiben.