Der Europäische Gerichtshof auf dem Kirchberg-Plateau in der Stadt Luxemburg (Bild: sprklg / flickr)
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat die Rechte gleichgeschlechtlicher Ehepaare und deren Kinder gestärkt. Nach einem am Dienstag verkündeten Urteil muss das Herkunftsland eines Elternteils die dortige Staatsangehörigkeit auch für das Kind anerkennen. Dafür reicht die rechtliche Elternschaft aus. Ob es sich auch um den leiblichen Elternteil handelt, spielt keine Rolle. Daraus ergibt sich auch für den anderen Elternteil ein Reise- und Aufenthaltsrecht mit dem Kind in diesem Land. Gleichgeschlechtliche Ehen anerkennen müssen EU-Staaten danach aber nicht (Az: C-490/20).
Im entschiedenen Fall ging es um ein bulgarisch-britisches lesbisches Ehepaar und deren Tochter Sara. Die Frauen leben zusammen in Spanien, eine von ihnen bekam dort 2019 das Kind. Die spanischen Behörden stellten Baby Sara eine Geburtsurkunde aus, in der beide Frauen als Mütter bezeichnet werden.
Um Reisedokumente zu erhalten, war in Bulgarien bislang immer eine Geburtsurkunde notwendig. Die Stadt Sofia weigerte sich, diese auszustellen. Die öffentliche Ordnung in Bulgarien lasse nur Geburtsurkunden mit Mutter und Vater zu. Es sei auch nicht klar, ob die bulgarische Mutter auch die leibliche Mutter und das Kind somit bulgarischer Abstammung sei.
Nach dem Luxemburger Urteil kommt es darauf aber nicht an. Spanien habe bescheinigt, dass beide Mütter rechtliche Eltern sind. Nur dies müsse auch Bulgarien anerkennen. Schon aus der rechtlichen Elternschaft der bulgarischen Mutter ergebe sich die bulgarische Staatsangehörigkeit auch für das Kind.
Den von Bulgarien behaupteten Widerspruch zur nationalen Identität und öffentlichen Ordnung des Landes sieht der EuGH nicht. Bulgarien sei nicht verpflichtet, eine Geburtsurkunde mit zwei Müttern auszustellen und so die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen.
EuGH: Bulgarien darf Kind aus Regenbogenfamilie nicht schlechterstellen
Es verstoße aber gegen EU-Recht, "dem Kind die Beziehung zu einem seiner Elternteile bei der Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit vorzuenthalten oder die Ausübung dieses Rechts unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, weil seine Eltern gleichen Geschlechts sind".
Bereits im April hatte EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott die Auffassung vertreten hatte, dass Bulgarien mit seiner Weigerung gegen Europarecht verstößt (queer.de berichtete). Das Gericht folgt in der Regel seiner Expertin. Kokott war sich allerdings nicht sicher, ob das Kind wegen der rechtlichen Mutterschaft einer der Frauen die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt – das Gericht bejahte dies.
Innerhalb der Europäischen Union zählt Bulgarien zu den LGBTI-feindlichsten Mitgliedsstaaten. 2019 wurde das Land wegen LGBTI-Diskriminierung von der Menschenrechtskommissarin des Europarats gerügt (queer.de berichtete). Vor gut einem Monat sorgte der Angriff auf ein LGBTI-Zentrum in der Hauptstadt Sofia für Aufregung – als Anführer wurde ein rechtsextremer Präsidentschaftskandidat angeklagt (queer.de berichtete). (AFP/dk)
Update 12.15 Uhr: ILGA-Europe begrüßt Entscheidung
Die internationale LGBTI-Organisation ILGA-Europe hat die Entscheidung der EU-Richter*innen auf Twitter begrüßt. Dazu teilte sie den Hashtag #parentswithoutborders (Eltern ohne Grenzen).
Update 13.45 Uhr: LSVD: Entscheidung ein "mahnender Hinweis Richtung Deutschland"
Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hat das Urteil begrüßt. "Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist bahnbrechend für Regenbogenfamilien in der ganzen EU", erklärte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Gabriela Lünsmann. Das Urteil mache deutlich, "dass die EU-Mitgliedsstaaten das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU für alle Kinder von EU-Bürger*innen schützen müssen: Selbst dann, wenn sie Regenbogenfamilien die rechtliche Anerkennung bei sich weiter verweigern".
Die Entscheidung sei außerdem ein "mahnender Hinweis Richtung Deutschland", so Lünsmann weiter. "Nach jetziger Rechtslage hätte auch Deutschland die spanische Geburtsurkunde nicht anerkannt und dem Kind keinen Pass ausgestellt, wenn die beiden Mütter nicht angegeben hätten, wer von beiden die leibliche Mutter ist", so die Aktivistin. "Denn trotz Eheöffnung gilt nach deutschem Recht bei der Geburt eines Kindes nur die leibliche Mutter als Mutter. Die Ehefrau muss das Kind als Stiefkind adoptieren, um rechtlich als Elternteil anerkannt zu sein." In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue Bundesregierung inzwischen versprochen, das Abstammungs- und Familienrecht zu reformieren und damit auch Regenbogenfamilien besser abzusichern.