Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) hat sich mit psychosozialer Gesundheit und Wohlbefinden von queeren Menschen befasst – und festgestellt, dass viele wegen Ausgrenzung unter Problemen leiden, die cis- und heterosexuelle Menschen nicht betreffen. "'Wie geht's euch?': Psychosoziale Gesundheit und Wohlbefinden von LSBTIQ*" basiert auf eine Auswertung von Datensätzen von 8.700 queeren Menschen aus Deutschland unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Timmermanns und Prof. Dr. Heino Stöver.
In der Untersuchung wurde deutlich, dass die vorgegebenen Selbstbezeichnungen wie hetero-, homo-, bi-, pansexuell, inter oder trans vielen Menschen nicht ausreichen, um ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu beschreiben. 4,4 Prozent wählten eine Vielzahl anderer Bezeichnungen, um ihre queere Identität zu definieren. "Dies bestärkt uns in der Annahme, dass es – gerade unter jüngeren Menschen – einen Trend gibt hin zu einer Vervielfältigung und in Folge dessen vermutlich auch Aufweichung der in der Sexualwissenschaft etablierten Kategorien sexueller und geschlechtlicher Identitäten", erklärt Timmermanns, Professor für Sexualpädagogik und Diversität in der Sozialen Arbeit an der Frankfurt UAS.
Hintergrund der Studie ist das theoretische Modell des Minderheitenstresses und eine daraus resultierende erhöhte Vulnerabilität (Verletzlichkeit) von queeren Menschen. Aus früheren Untersuchungen geht hervor, dass LGBTI häufiger an körperlichen, seelischen und chronischen Erkrankungen leiden. "Zwei Themen sind besonders hervorzuheben, da sie für das Verständnis einer erhöhten Vulnerabilität von Bedeutung sind und auf das Leben sehr vieler LSBTIQ* einen Einfluss haben", so Timmermanns. "Zum einen geht es um die Theorie des Minderheitenstresses, der aus Diskriminierungserfahrungen und queernegativen Einstellungen resultiert und für die erhöhte Prävalenz von psychischen Erkrankungen, Substanzkonsum sowie Suizid bei LSBTIQ* verantwortlich ist. Zum anderen gibt es neben negativen Erfahrungen im Leben von LSBTIQ* jedoch auch Ressourcen, z.B. Kontakte zu anderen queeren Menschen, die es vielen von ihnen ermöglichen, trotz aller Widrigkeiten ein überwiegend gutes und zufriedenes Leben zu führen."
Jüngere haben ein früheres Coming-out
Die quantitative Auswertung des Online-Fragebogens ergab, dass die unter 20-Jährigen ihr Coming-out früher hätten als ältere Jahrgänge: Die Mehrheit vollziehe diesen Schritt bereits im Alter zwischen elf und 16 Jahren. Ungefähr die Hälfte der Befragten berichtet demnach von Diskriminierung an einem öffentlichen Ort und im Bildungswesen. Hieraus lasse sich laut Timmermanns ein deutlicher Auftrag für Schulen und Jugendarbeit ableiten, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu thematisieren und Diskriminierung und Gewalt entschieden entgegenzutreten.
Zusammenfassend stellte Timmermanns fest: "In der Untersuchung konnten zahlreiche Belege für Minderheitenstress von LSBTIQ* gefunden werden. Dieser ist verantwortlich für die höhere gesundheitliche Belastung, die ebenfalls festgestellt werden konnte." Insbesondere in Bezug auf das psychische Wohlbefinden queerer Menschen habe die Studie belegen können, dass diese stärker davon betroffen sind als die Gesamtbevölkerung. "Dies gilt für trans* und gender*diverse Personen in noch stärkerem Maße. Zudem sind diese beiden Teilgruppen mit Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert", so Timmermanns. Mit Blick in die Zukunft ergänzte er: "Auf Grundlage unserer Ergebnisse sollten Beratungs- und Unterstützungsangebote für LSBTIQ* ausgebaut und weiter verbessert werden. Neben bildungs- und sozialpolitischen sollten aus den Ergebnissen auch gesundheitspolitische Entscheidungen abgeleitet werden, zum Beispiel eine stärkere Sensibilisierung von medizinischem Personal im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt."
Die anonyme Befragung fand von November 2018 bis März 2019 statt. Befragt wurden rund 8.700 Personen. Das Durchschnittsalter lag bei 38,3 Jahre (Allgemeinbevölkerung: 44,5 Jahre). Einen Migrationshintergrund gaben rund 20 Prozent an (Allgemeinbevölkerung: ca. 26 Prozent). (pm/cw)
Info
Die Ergebnisse der Studie sind bei Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz veröffentlicht. Unter dem Titel "'Wie geht's euch?': Psychosoziale Gesundheit und Wohlbefinden von LSBTIQ*" ist das Werk am Mittwoch erschienen. Das Buch kostet 24,95 Euro (Kindle: 22,99 Euro).
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Sondern auch, weil die damit verbundenen Kosten durch Arbeitsausfälle, durch Krankheits- und Behandlungskosten, etc. die Sozialsysteme belasten und der Volkswirtschaft schaden.
Wenn man es schon nicht aus Menschlichkeit macht, dann sollte man doch wenigstens aus volkswirtschaftlichen Gründen für die volle Gleichstellung und den Abbau von Diskriminierung sein.