Der Musiker und Verschwörungstheoretiker Xavier Naidoo darf "Antisemit" genannt werden. Das urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Der nun veröffentlichte Beschluss (1 BvR 11/20) war bereits am 11. November gefasst worden. Naidoo hatte in dem Verfahren gegen eine Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung zunächst vor dem Landgericht Regensburg sowie dem Oberlandesgericht Nürnberg Recht bekommen.
Kontroverse auf und abseits der Bühne
Die Referentin der Stiftung hatte im Jahr 2017 bei einem Vortrag über Naidoo behauptet: "Er ist Antisemit" und "das ist strukturell nachweisbar." Dagegen war der Sänger, der im Zuge der Coronapandemie noch weiter in Verschwörungstheorien abdriftete, juristisch vorgegangen.
Das Landgericht Regensburg hatte es der Referentin untersagt, ihre Äußerung zu wiederholen. Es urteilte, dass sie den Vorwurf entgegen ihrer Behauptung nicht habe ausreichend belegen können. (queer.de berichtete). Nun revidierte das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde der Beklagten die vorherigen Beschlüsse. Die anderen Gerichte hätten "die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf" verkannt.
Im konkreten Fall und seinem Kontext sei zur Verteidigung der Nutzung des Begriffes "Antisemit" als Meinungsäußerung keine nähere Beweisführung erforderlich gewesen. Auch habe es sich um eine Äußerung zu umstrittenen öffentlichen Aussagen einer prominenten Person gehandelt – der Gedanke des Oberlandesgerichts Nürnberg im Berufungsverfahren, die Aussage greife zu sehr als Abwertung mit "Prangerwirkung" in das Persönlichkeitsrechts Naidoos ein, verkenne die Meinungsfreiheit und würde letztlich Kritik an dem Sänger unzulässig verunmöglichen. Mit diesen Hinweisen verwies Karlsruhe die Rechtsstreitigkeit zurück an die vorherige Instanz.
Die seit Langem andauernde Kontroverse um Xavier Naidoos menschenfeindliche Äußerungen und Verschwörungstheorien hatte schon in den vergangenen Jahren Konsequenzen für den Sänger. Jeweils in der kurzen Veranstaltungssaison der letzten beiden Sommermonate hagelte es etwa Konzertabsagen (queer.de berichtete).
Im Jahr 2015 trat der NDR nach massiver Kritik von seinem Plan zurück, Naidoo als deutschen Wettbewerber für den Eurovision Song Contest vorzuschlagen, der damals in Stockholm stattfand (queer.de berichtete). Auch seinen Posten als Jurymitglied bei "Deutschland sucht den Superstar" verlor Naidoo aufgrund seiner lebhaften Phantasie.
Karriere endet bei Querdenkern
Xavier Naidoo ist als Sänger der Söhne Mannheims bekannt geworden. Besagte Söhne haben sich jedoch bereits im März 2020 nach einem als rassistisch kritisierten Video Naidoos von ihrem ehemaligen Mitglied distanziert. "Wir stehen klar und konkret gegen Hass, Gewalt und Rassismus", hatten sie über den Schritt verlauten lassen. Mit Naidoo gehe man, hieß es zudem, bereits seit einiger Zeit getrennte Wege. Das war in vielen Medien als "Trennung" vermeldet worden. Sogar die Stadt Mannheim appellierte nach einer Konzertankündigung ihres gefallenen Sohnes an einen örtlichen Veranstalter, die Buchung doch noch ein mal zu überdenken.
In der Kombination "XAVAS" wiederum, bei der Naidoo mit dem Rapper Kool Savas Songs aufnahm, veröffentlichte Naidoo schwulenfeindliche und verschwörungsideologische Ideen. 2012 lösten die beiden mit dem Track "Wo sind sie jetzt?" die inzwischen traditionelle Feindschaft der queeren Community gegen den Sänger aus. Dort ging es bereits um das bei Naidoo auch in der Coronapandemie passioniert wiederkehrende Thema des rituellen Kindesmissbrauchs, der von den beiden mit homosexuellen Männern assoziiert wurde (queer.de berichtete).
"Ich schneid' euch jetzt mal die Arme und die Beine ab – Und dann fick' ich euch in den Arsch so wie ihr's mit den Kleinen macht", heißt es dort, und in der selben Strophe: "Warum liebst du keine Möse – Weil jeder Mensch doch aus einer ist?" Den in einer "Loge" organisierten, mit "Macht" "jonglierenden" "Bruderschaften", die diese Taten laut Songtext angeblich in Kellern begingen, um "Satan" zu ehren, setzten Naidoo und Kool Savas damals "starke Männer", "Kämpfer" und "Führer" entgegen. Die sollten die Logen eigentlich bekämpfen, täten es aber nicht. Außerdem enthielt der Track Phantasien und Ankündigungen des Mordes gegen die angeblichen Täter.
Anzeigen wegen des Tracks liefen jedoch ins Leere. Unter anderem die den Linken nahestehende Linksjugend "solid" sowie der LSVD wollten juristische Konsequenzen für Naidoo verhängt sehen. Die Staatsanwaltschaft in Mannheim sah damals jedoch keinen Anfangsverdacht einer Straftat und lehnte weitere Ermittlungen ab. Naidoo selbst inszenierte sich als missverstanden (queer.de berichtete). Im Jahr 2019 begründete der Sänger sein juristisches Vorgehen gegen die Amadeu-Antonio-Referentin ähnlich, und zwar mit den Worten "Ich selber stehe für Frieden und Liebe. Ich bin kein Antisemit." Vorher hatte er sich auch mit dem Hinweis auf angebliche "jüdische Freunde" verteidigt, die er habe.
Im Februar 2021 teilte Naidoo dann in seinem Telegram-Kanal eine vom NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg stammende Zusammenfassung der antisemitischen Schrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" als PDF-Datei. Versehen war der Post mit folgendem Kommentar: "Ihr sucht die Wahrheit? Hier bekommt ihr sie. Ungefiltert und unzensiert. Vincit Omnia Veritas! ["Die Wahrheit besiegt alles", Anm.]".
Später tauchte Naidoo im Zusammenhang mit klassischen und neuen Rechtsextremisten auf. Im Mai diesen Jahres hatte Naidoo wieder einen guten Riecher für die kommenden Zumutungen der Mächtigen und textete in einem Anti-Impf-Song unter anderem mit dem Sänger der Neonazi-Hooliganband "Kategorie C": "Wir lassen dieses Gift nicht in unseren Körper rein". Im zugehörigen Video tritt der Rapper Skitekk gegen einen Security-Mann, der ein Impfzentrum bewacht. Im Hintergrund explodiert dann das Zentrum – eine unmissverständliche Anspielung auf die von Anhänger*innen der Querdenker-Bewegung begangenen Anschläge und Gewalttaten, zu denen inzwischen auch mehrere Morde gehören.