Der Komiker Dieter Nuhr hat Kritik auf sich gezogen, weil er in seiner in der ARD ausgestrahlten Sendung "Nuhr im Ersten" herabwürdigend über nichtbinäre und intergeschlechtliche Menschen gewitzelt hat.
In der bereits am 21. Dezember ausgestrahlten Sondersendung zum Jahresrückblick geht es unter anderem um geschlechtergerechte Sprache beziehungsweise das "Gendern".
Ironisch schlägt der Komiker vor, die auch "Glottisschlag" genannte Pause beim Sprechen anders auszusprechen, da diese die Menschen nicht gut genug repräsentiere. Seinen "Gegenvorschlag" führt er dann am Wort "Journalist*innen" vor, indem er nach dem "Journalist" und vor dem "innen" lauthals und mit weit aufgerissenen Augen die Nase hochzieht.
Die Botschaft ist klar: Geschlechtliche Minderheiten, die weder Männer noch Frauen bzw. weder Jungs noch Mädchen sind, sind wie überschießendes Nasensekret und damit unangenehm, nervig, ein Ausdruck von Krankheit und gehören entfernt.
Kritik via Twitter
Auf Twitter trendete in der Folge wieder ein mal der Hashtag #Nuhr. Nutzer*innen kritisierten den erneuten Ausfall des Komikers gegenüber geschlechtlichen Minderheiten. Fans hingegen hielten den Kritiker*innen unter dem selben Hashtag ihre angebliche Überempfindlichkeit entgegen und feierten Nuhr. Jedes mal, so ein Kommentar, wenn der Hashtag trende, sei das eine Garantie dafür, dass sich ein besonders gelungener Scherz als Videoschnipsel auf der Plattform finde.
Das sahen die "Überempfindlichen" freilich anders. Zu den Kritiker*innen gehörte auch der Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau", Thomas H. Kaspar. Rhetorisch fragte der Journalist noch am Abend der ausgestrahlten Sendung, wie widerlich es bei Nuhr wohl noch werde.
Der Publizist und Politologe Andreas Püttmann beklagte sich über die Angriffe durch Rechtsradikale, die man erführe, würde man sich auf der Plattform kritisch zu Dieter Nuhr äußern. So versuchte er aufzuzeigen, bei wem der ARD-Komiker eben auch besonders beliebt sei.
Mit Ekel gegen Minderheiten
Nuhr behauptet im fraglichen Sketch, das "Gendern" habe sich im Jahr 2021 "gegen den Willen der Mehrheit" durchgesetzt, und fragt suggestiv: "Aber wen interessiert das?" Tatsächlich ist das Jahr 2021 dasjenige, in dem der seit Jahrzehnten in konservativen, rechten und rechtsradikalen Kreisen anzutreffende Klagegesang über geschlechtergerechte Sprache erstmalig zu Verboten geführt hat.
Die betreffen jedoch nicht, wie gern befürchtet, die Mundart der Mehrheitsgesellschaft. Verbote hagelte es für geschlechtergerechte Abweichungen vom "offiziellen" Deutsch, etwa in Sachsen oder in Schleswig-Holstein. Auch der öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk erließ im August ein hausinternes Verbot der Sprechweise (queer.de berichtete).
Doch von dieser Faktenlage scheint Nuhr eher unbeeindruckt. Es gäbe "kaum noch eine Sendung im Fernsehen, in der nicht durch einen Schluckauf der Sprecher", erklärt Nuhr hingegen, und schauspielert drei Sekunden lang theatralisch, als müsse er einen großen Kloß herunter schlucken, eine Sprechpause, nur um dann fortzufahren: "*innen demonstriert würde", dass man "gesinnungstechnisch auf der Seite des Fortschritts" sei. Das bedeute auch, nicht auf der Seite des "dummen Publikums" zu sein, dem "das mehrheitlich auf den Sack geht."
Nuhr freue sich immer, fährt er ironisch fort, wenn sich alle "gut" und "repräsentiert" fühlten, wisse nur nicht, ob er die sprachliche Repräsentation einer gesellschaftlichen Gruppe durch eine Pause gut finde.
Dann kommt die Sequenz, die die Kritik hervorgerufen hat. Besser wäre es, witzelt Nuhr da, man würde die Pause durch ein "deutliches Geräusch" ersetzen, "um denen, die sich nicht in das binäre Mann-Frau-Schema einordnen können, lautstark einen Platz zu geben". Dies sollte doch "kein Problem sein für unsere", fährt Nuhr fort, um dann "Journalist" zu sagen, sodann bewusst eklig und aufdringlich die Nase hoch zu ziehen und seinen Ausspruch mit der Feminin-Endung "innen" zu beenden.
Als sich der laute Applaus legt, stellt Nuhr seine Haltung unironisch klar. Er könne beim "Gendern", also der geschlechtergerechten Sprache, nicht "mitmachen", da Sprache ein intuitiver Teil seiner Persönlichkeit sei. Er sei nicht bereit, seine Art zu sprechen "der politischen Opportunität anzupassen". Immerhin lebe man nicht "in 1984".
Doch in dem berühmten Roman von George Orwell ist es eine zugespitzte, totalitäre Regierung, die die Art zu sprechen bis ins kleinste Detail vorgibt. Bei geschlechtergerechter Sprache handelt es sich hingegen um von Frauen sowie von nichtbinären und intergeschlechtlichen Menschen kultivierte und eingeforderte Sprech- und Schreibweisen.
Und staatliche, zumal demokratisch legitimierte Stellen sind in Deutschland bisher nur in eine Richtung vorschreibend vorgegangen, um ihre Vorstellung von korrekter Sprachanwendung durchzusetzen: gegen die geschlechtergerechte Sprache. Von "1984" oder einer (Sprach-)Diktatur zuungunsten der gesellschaftlichen Mehrheit kann angesichts dessen also überhaupt keine Rede sein.
Schlechte Deutschkenntnisse
Im Anschluss an die Szene erklärt Nuhr noch in überheblichem Ton, wie die deutsche Sprache angeblich funktioniere. Das Wort "Lehrer" etwa bezeichne "definitiv" nicht einen männlichen Lehrer, und zwar, weil das Wort vom Verb "Lehren" komme.
Aus Verben würde im Deutschen ein "Hauptwort", indem man "die Infinitivendung weglässt" und stattdessen "er" hinten anhänge. Als Beispiele nennt Nuhr "Bohren – Bohrer", "Lutschen – Lutscher" und "Lehren – Lehrer". Das müsse man den Mitarbeiter*innen des Duden, behauptet er, "womöglich mal erklären", denn die seien auch "nicht mehr so sprachfirm". Das Publikum johlt und feiert Nuhrs vermeintliche Germanistikkenntnisse.
Doch schon bei seiner eigenen Profession misslänge das aufgeführte Kunststück. Der "Komiker" kommt nicht vom in Deutschland inexistenten Infinitiv "Komiken", sondern von der Komik. Anders gesagt: So einfach ist es mit der deutschen Sprache eben nicht. Das machte auch jüngst die Redaktion des Duden klar, als sie den Gebrauch des althergebrachten Präfixes "trans-" als indeklinables Adjektiv "trans" aufnahm (queer.de berichtete).
Eine andere Komikerin hat zum Thema "Glottisschlag" in der geschlechtergerechten Sprache im Jahr 2021 eine wesentlich gelassenere Darbietung zum Besten gegeben. In ihrem Song "Alles wird sich gendern (Glottisschlag)", ausgestrahlt im Juni in der Carolin Kebekus Show, macht sich die Komikerin Carolin Kebekus über die Geisteshaltung von Menschen wie ihrem Kollegen Dieter Nuhr lustig (queer.de berichtete).