LGBTI-Organisationen in Thüringen wehren sich dagegen, dass sie künftig 200.000 Euro weniger an Zuschüssen erhalten sollen (queer.de berichtete). Doch auch im Nachbarland Sachsen ist mit dem Jahreswechsel die Ausfinanzierung wichtiger queerer Arbeit weggebrochen.
Nach 16 Jahren hat der in Dresden ansässige Gerede e.V. eine staatliche Förderung für Aufklärungsprojekte in Schulen verloren. Erst am 30. November erfuhren die Aktiven, dass die zum Jahresende auslaufende Förderung nicht mehr erneuert werden sollte.
Eine Begründung für den Entzug der langjährig neu bewilligten Gelder gab es jedoch nicht. Dabei war der Fördertopf des Programms "Weltoffenes Sachsen" zuletzt sogar erhöht worden. Vom Geldsegen profitieren sollen nun allerdings nicht die queeren Jugendlichen zwischen Görlitz, Hoyerswerda und Dresden.
Sachsen Spitze bei queerfeindlichen Übergriffen
In einer Pressemitteilung machte der Verein darauf aufmerksam, dass die Streichung queerer Aufklärung an Schulen im ländlichen, ostsächsischen Raum besonders fatal sei. Immerhin stehe Sachsen mit der Anzahl queerfeindlicher Übergriffe im Bundesvergleich an erster Stelle.
Mit der Streichung des Projekts werde nun mindestens 150 Projekt- und Fortbildungsanfragen nicht entsprochen werden. Im vergangenen Jahr schulte das Projekt nach eigenen Angaben über 760 Multiplikator*innen und über 1000 Jugendliche.
Und: Das Projekt "Queere Bildung für Jung und Alt – Respekt beginnt im Kopf!" war noch im vergangenen Jahr mit dem Toleranzpreis des Bündnisses für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet worden. Doch für die Entscheider*innen des Förderprogramms im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt scheinen diese Arbeit nun für verzichtbar zu halten.
Nach wie vor kein Bescheid im Briefkasten
Anne Liebeck vom Gerede e.V. erzählte queer.de am Mittwoch, dass dem Verein nach wie vor kein offizieller Ablehnungsbescheid zum gestellten Förderantrag zugesandt worden sei. Entsprechend liege das Projekt nun erst ein mal auf Eis. Die drei Mitarbeiter*innen, deren Verträge zum Jahresende hin ausgelaufen waren und nicht erneuert werden konnten, hätten vorübergehend Anstellungen bei anderen Projekten gefunden.
"Was für uns völlig unverständlich ist, ist, warum nach 16 Jahren unsere Anträge nicht mehr 'gut genug' sind, zumal unsere Schwestervereine in Leipzig und Chemnitz ganz ähnliche queere Bildungsprojekte durchführen", erklärt Liebeck.
Diese Schwestervereine hätten die erneuerte Förderung, anders als der Gerede e.V., jedoch erhalten. Zum Glück hat der Verein nicht auch noch kurzfristig Räumlichkeiten verloren. Die zu beziehen, das wäre eigentlich der Plan mit der beantragten Förderung gewesen.
Desinformation vom Ministeriums-Twitter
Und noch etwas irritiert Liebeck. Als die queeren Aufklärer*innen ihre Pressemitteilung zum anstehenden Förder-Aus auch via Twitter veröffentlichten, antwortete die Öffentlichkeitsabteilung des zuständigen Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Projekte, die nun wegfielen, hieß es da, würden ja nun durch die anderen Vereine aus Leipzig und Chemnitz abgedeckt. "Bizarr" nennt Liebeck das: "Das ist eine falsche Information". Die bewilligten Förderanträge der Vereine umfassten klare Landkreiszuständigkeiten.
Und: Die queeren Bildungsprojekte aus Chemnitz und Leipzig schließen Ostsachsen schon aus Ressourcengründen aus. "De facto wird aufgrund der extrem langen Anfahrt niemals jemand aus Leipzig und Chemnitz nach Görlitz fahren können", sagt Liebeck. Das sei absurd. Man betrachte den Tweet aber wohlwollend: "Da hat sich die Stelle für Öffentlichkeitsarbeit beim Ministerium wohl einfach falsch informiert."
Auch Schulen verzweifelt
Liebeck betont auch im Telefonat noch ein mal, dass die Lage für queere Menschen in Zeiten von Corona besonders prekär sei, insbesondere eben im ländlichen, ostsächsischen Raum. Man bemerke auch, dass die Schulen verzweifelt seien.
Die wollten den Gerede e.V. gerne weiterhin zu sich einladen: "Wir werden mit Anfragen überflutet, die wir nicht bearbeiten können." Die Schulen seien jetzt in Fragen der queeren Bildung auf sich allein gestellt, und zwar mehr oder weniger von jetzt auf gleich. Ein nachträgliches Hineinrutschen in die Förderung sei auch nicht zu erwarten: "Der Verwaltungsakt ist abgeschlossen."
Ministerium hält sich bedeckt
Der Grund dafür, warum queere Bildung an Schulen in Ostsachsen jetzt nicht mehr stattfinden soll, ist auch nach über einem Monat nicht klarer geworden und erhellt sich auch nicht durch die Antwort des Staatsministeriums auf eine Anfrage von queer.de.
"Im Kontext einer Projektförderung von einer 'Streichung' zu sprechen" sei "im Kern der Aussage nicht zutreffend", heißt es auf die Frage nach den Gründen für die Streichung nach 16 Jahren. Im Bereich der Projektförderung sei die Chance, dass ein Projekt gefördert werde, von Jahr zu Jahr unterschiedlich.
Zum Teil differiere "die Anzahl der eingereichten Anträge, ihr Umfang und ihre Struktur". Gleiches gelte für die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sowie die an die Vergabe geknüpften Bedingungen. Die Bewilligungsstelle und das Fachreferat entschieden "auf Grundlage der Antragsprüfung und -bewertung".
Der Bewertung wiederum liege "ein standardisiertes Verfahren zugrunde, welches eine Gleichbehandlung aller Antragsteller" sicherstelle. Eine inhaltliche Begründung, warum das Standardverfahren für das Jahr 2022 ein anderes Ergebnis geliefert hat als in den 16 Jahren zu vor, findet sich im Schreiben hingegen nicht.
Man bedauere, heißt es weiter, dass der Antrag des Vereins Gerede e.V. für die Förderperiode ab 1. Januar 2021 nicht gefördert werden könne: "Lassen Sie uns in diesem Kontext jedoch betonen, dass wir gerade in der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Lage jedes einzelne Projekt bedauern, das nicht gefördert werden – und damit zum Abbau gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und zur Förderung demokratischer Werte und Handlungskompetenzen in Sachsen beitragen – kann."