Im Prozess wegen Mordes mit Kannibalismus-Verdacht hat das Landgericht Berlin am Freitagnachmittag den 42-jährigen Angeklagten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld von Stefan R. fest. Das bedeutet, dass er normalerweise nicht vorzeitig nach 15 Jahren entlassen werden darf. Die besondere Schwere wird festgestellt, wenn eine Tat besonders brutal, grausam oder verwerflich war.
Demnach sei erwiesen, dass der Mathematik- und Chemielehrer einen 43 Jahre alten bisexuellen Monteur getötet hatte, "um seine Kannibalismus-Fantasien auszuleben". Die beiden Männer hatten sich über das schwule Datingportal Planetromeo kennengelernt und sich in der Wohnung des Lehrers in Berlin-Pankow verabredet.
Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Sie hatte als Mordmotiv die Befriedigung des Geschlechtstriebes genannt. In ihrer Anklageschrift ging sie von einer sadistisch-kannibalistisch geprägten sexuellen Tatmotivation aus. Es habe keine Hinweise darauf ergeben, dass das Opfer in seine Tötung "eingewilligt" hatte. Vielmehr sei der nichts ahnende Mann in eine Falle gelockt worden. R. habe das Töten und teilweise Verspeisen eines Menschen real ausleben wollen, "um sich daran sexuell zu ergötzen", sagte Staatsanwalt Martin Glage in seinem Plädoyer. "Das virtuelle Ausleben reichte ihm nicht mehr aus."
Die Verteidigung hatte hingegen einen Freispruch gefordert. Rechtsanwältin Kristina Beulich führte aus, dass die Todesursache des Geschädigten "unklar" sei. Zudem seien Fantasien allein – auch kannibalistische – "nicht strafbar".
Die Tat hatte sich im September 2020 ereignet. Zerstückelte Leichenteile wurde danach an verschiedenen Stellen in Berlin gefunden worden. Bei den Ermittlungen kamen anschließend Personen- und Leichenspürhunde zum Einsatz, die die Polizeibeamt*innen zur Wohnung des Tatverdächtigen führten. R. wurde unmittelbar nach der Durchsuchung seiner Wohnung festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.
Angeklagter stritt Tötung ab
Nach mehrwöchigem Prozess hatte der Lehrer im September sein Schweigen gebrochen und den Vorwurf einer Tötung zurückgewiesen (queer.de berichtete). Er behauptete, dass der Monteur nach einem Sex-Treffen allein im Wohnzimmer seiner Wohnung übernachtet habe. Als er ihn am Morgen gefunden habe, sei der Mann tot gewesen. In Panik sei er dann zu dem Schluss gekommen, die Leiche verschwinden zu lassen. Außerdem habe er Angst gehabt, dass seine Homosexualität ans Licht kommen könne.
Der Vorsitzende Richter Matthias Schertz ging in seiner Urteilsbegründung auf die Einlassungen des Angeklagten ein und nannte sie "von hinten bis vorn unglaubhaft". Schließlich gebe es eine ganz erhebliche Hemmschwelle, einen Menschen zu zerteilen. Zudem sei Homosexualität heutzutage völlig akzeptiert.
Das Urteil sollte bereits kurz vor Weihnachten gesprochen werden. Der Prozess war jedoch wegen eines Streits über ein erneutes rechtsmedizinisches Gutachten ins Stocken geraten. Die Verteidigung des Angeklagten stellte außerdem einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Dieser habe sich nach Ansicht der beiden Anwältinnen im Zusammenhang mit weiteren Beweisanträgen der Verteidigung "grob unsachlich" geäußert (queer.de berichtete).
Der Fall erinnert an den von Armin Meiwes, der von der Boulevardpresse den Beinamen "Kannibale von Rotenburg" erhalten hat. Er hatte 2001 einen 43-jährigen Diplom-Ingenieur beim Geschlechtsverkehr getötet, seinen Körper zerlegt und teilweise gegessen. Laut dem Angeklagten hatte sein Opfer in die Tat eingewilligt. Meiwes wurde schließlich Anfang 2006 wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er sitzt seine Strafe derzeit in Kassel ab. (cw)