Unter dem Motto "Wolna Szkola" bzw. "Freie Schulen" regte sich Protest gegen das Vorhaben, hier etwa durch die Luxemburger EU-Abgeordnete Tilly Metz (Grüne) (Bild: Tilly Metz MEP / twitter)
Der polnische Sejm hat am Donnerstag trotz Kritik von vielen Kommunen, von Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen einen Gesetzentwurf zur Reform des Schulwesens angenommen, der es Schulen unter anderem erschweren oder unmöglich machen könnte, über LGBTI oder Abtreibung zu informieren. Entgegen manchen Medienberichten handelt es sich bei der Vorlage aber nicht um ein direktes Gesetz gegen queere "Propaganda" wie in Ungarn oder Russland – was Kritik und ein Vorgehen dagegen etwa durch die EU zugleich erschweren könnte.
Konkret sollen künftig von der nationalkonservativen Regierung ernannte und dem Bildungsministerium unterstellte Schulaufsichtspersonen mehr Macht enthalten. Entgegen der Schulautonomie sollen sie etwa Entscheidungen darüber treffen können, ob und welche außerschulischen Gruppen eingeladen werden dürfen – was sich beispielsweise gegen LGBTI-Schulaufklärungsprojekte richten kann. Auch von manchen Schulen praktizierte Akzeptanzmaßnahmen wie der sogenannte "Regenbogenfreitag", vergleichbar mit schulischen Aktionen zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie, könnten den Supervisor*innen oder auch der Selbstzensur zum Opfer fallen.
Die neue staatliche Aufsicht macht Kommunen praktisch zu reinen Gebäudeverwaltern. So sollen die Supervisor*innen die Möglichkeit erhalten, Schuldirektor*innen abzusetzen und zu ersetzen, und das ohne nähere Begründung und Widerspruchsmöglichkeit. Die für mehrere Schulen zuständigen Aufsichtspersonen erhalten auch gegen Schulleitung, Schüler*innen und Eltern das letzte Wort über konkrete Unterrichtseinheiten und außerschulische Aktivitäten.
"Politische Kontrolle" über Schulen für "ultrakonservative Agenda"
Der in der öffentlichen Debatte schlicht nach Bildungsminister Przemyslaw Czarnek benannte Gesetzentwurf Lex Czarnek wurde erstmals im letzten Sommer vorgestellt. Kritiker*innen bemängelten, dass der Erziehungsbereich zentralisiert werde und dass örtliche Behörden, Lehrer*innen und auch Eltern Einfluss verlieren würden. Letztlich drohe eine "Ideologisierung der Schulen" durch die Regierung. Das Gesetz verhindere Aufklärung über sexuelle Gesundheit und Inklusivität, beklagt die grüne luxemburgische EU-Abgeordnete Tilly Metz. "Polnische (LGBTIQ+-)Jugendliche werden die Opfer davon sein. Wir dürfen das nicht akzeptieren." Die französische EU-Abgeordnete Laurence Farreng (Renew Europe) schrieb zu dem Protest-Hashtag #WolnaSzkola: "Die PiS schlägt ein Schulmodell vor, das ihrer ultrakonservativen Agenda dient und die Lehrer unter ihre politische Kontrolle stellt."
Auch LGBTI-Organisationen zeigten sich entsetzt, gelten doch die Regierung und auch Czarnek als ausgewiesen queerfeindlich. Der Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte etwa vor zwei Jahren gesagt: "Wir müssen uns gegen die LGBT-Ideologie verteidigen und aufhören, diesen Idioten zuzuhören, wenn sie über irgendwelche Menschenrechte oder Gleichbehandlung reden. Diese Leute sind nicht gleich mit normalen Leuten". Dutzende polnische Städte und Gemeinden hatten in den letzten Jahren unter PiS-Führung Resolutionen gegen "LGBT-Ideologie" beschlossen – die sogenannten "LGBT-freien Zonen" sprachen sich darin etwa gegen Schulaufklärung über LGBTI und teilweise gegen Sexualkunde aus. Kürzlich nahm der Sejm in erster Lesung einen Gesetzentwurf einer katholisch-fundamentalistischen Organisation an, der Demonstrationen sexueller Minderheiten praktisch verbieten würde (queer.de berichtete).
Der neue Gesetzentwurf zum Schulwesen wurde mit 227 zu 214 Stimmen angenommen und landet nun im Senat, wo die Opposition eine Mehrheit hat und ihn ablehnen dürfte. Nach einer Überstimmung durch den Sejm könnte dann Präsident Andrzej Duda den Gesetzentwurf unterzeichnen – der PiS-Politiker hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2020 unter anderem einen "Schutz von Kindern vor LGBT-Ideologie" und ein "Verbot der Propagierung von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen" versprochen (queer.de berichtete). (nb)
also klar antidemokratisch.
"ultrakonservative Agenda"
Da fehlt ein Wort: ultrakonservative christliche Agenda