Ein am Mittwoch von der feministischen Zeitschrift "Emma" online veröffentlichter Text über die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) hat Empörung ausgelöst. In dem nachrichtlichen Artikel wird etwa mehrfach der alte Vorname von Ganserer genannt. Außerdem wird die Nürnberger Politikerin bereits in der Einleitung als "der physische und juristische Mann" und danach verächtlich als "er/sie" beschrieben.
Ganserer war bei der letzten Bundestagswahl am 26. September 2021 neben ihrer Leverkusener Parteifreundin Nyke Slawik als erste trans Frau in den Bundestag eingezogen. Sowohl Slawik als auch Ganserer schlug wegen ihrer Geschlechtsidentität in den letzten Monaten bereits viel Hass entgegen (queer.de berichtete).
Tessa Ganserer war vor ihrer Wahl in den Bundestag acht Jahre lang Mitglied des bayerischen Landesparlaments (Bild: Grüne Bayern)
In dem Artikel berichtet "Emma" unter anderem über den Widerspruch von Feministinnen beim Wahlprüfungsausschuss gegen die Wahl von Ganserer. Schließlich sei sie als "Mann" auf einem Frauenquotenplatz der grünen Landesliste in Bayern platziert gewesen.
Vordergründig richtet sich die Kritik daran, dass Ganserer ihren Personenstand bislang nicht ändern ließ. Hintergrund ist, dass die Abgeordnete die restriktiven Regelungen des aktuellen und in großen Teilen verfassungswidrigen Transsexuellengesetzes nicht akzeptieren will und sich für ein Selbstbestimmungsgesetz engagiert, das im Koalitionsvertrag vereinbart wurde (queer.de berichtete).
"Emma" betreibt Deadnaming
"Emma" nennt dazu fünf Mal den alten, abgelegten Vornamen Ganserers. Dieses sogenannte Deadnaming wird von queerfeindlichen Aktivist*innen als Taktik benutzt, um trans Menschen lächerlich zu machen. Inzwischen wehren sich manche trans Frauen gerichtlich gegen derartige Beleidigungen.
Am "Emma"-Artikel gibt es scharfe Kritik: "Dieser verkrampfte Feminismus hat mich bei der EMMA schon immer geärgert", schrieb etwa die NRW-Landtagsabgeordnete Franziska Müller-Rech (FDP) auf Twitter. "Jetzt will sie ernsthaft Regeln anlegen, wann eine Frau 'so richtig' eine Frau ist. Dabei hilft ein reißerischer Artikel [inklusive] Deadnaming und was die Mobbingschublade sonst so zu bieten hat."
Unterstützung für die trans Abgeordnete kommt aus Ganserers eigener Partei: Bundesfraktionschefin Britta Haßelmann twitterte etwa am Freitagnachmittag: "Wir unterstützen und bestärken Tessa Ganserer in ihrer Haltung, selbstbestimmt zu leben." Die wie Ganserer ebenfalls im September erstmals ins Bundesparlament gewählt Grünenpolitikerin Lamya Kaddor ergänzt: "Transfeindlichkeit ist KEIN Feminismus!" Die Grüne Jugend urteilt hart über "Emma": "Ein feministisches Magazin, das trans Frauen und nicht das Patriarchat bekämpft, ist nicht feministisch."
Autorin und Podcasterin Sibel Schick erhebt ebenfalls schwere Vorwürfe gegen das von Alice Schwarzer 1977 gegründete Magazin: "Das ist Gewalt. Trans Menschen existieren und sie haben Menschenrechte." Die feministische und lesbische Journalistin Stephanie Kuhnen erklärt: "Was EMMA da geliefert hat, ist Flacherde-Feminismus ohne Feminismus. Abstoßend!"
Bereits in der Vergangenheit hatte "Emma" mit als transphob kritisierten Artikeln für Aufregung gesorgt. In der "Frankfurter Rundschau" wurde der Zeitschrift in diesem Zusammenhang vor einem halben Jahr gar attestiert: "Sie überspitzt Reizthemen, attackiert gnadenlos und buhlt um Applaus aus rechtextremen Kreisen." Tatsächlich lobte etwa der extrem homophobe AfD-Familienpolitiker Martin Reichardt am Donnerstag den "Emma"-Artikel zu Ganserer mit den Worten: "Selbst Feministen schwant mittlerweile, dass es irgendwie 'nicht ok ist' das Geschlecht aus subjektiven Gefühlen zu definieren."
Zuletzt wurde in feministischen Kreisen die sogenannte TERF-Fraktion immer lauter – die Abkürzung steht für den englischen Begriff "trans-exclusionary radical feminists", also für radikale Feminist*innen, die trans Menschen ausschließen wollen. So gab es letztes Jahr etwa Proteste gegen das Lesbenfrühlingstreffen wegen transfeindlicher Programmpunkte (queer.de berichtete). Insbesondere "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling macht in sozialen Medien Stimmung gegen trans Menschen (queer.de berichtete). (dk)