Viktor Pylypenko gründete 2018 in der Ukraine die "Vereinigung von LGBT-Soldaten, Veteranen und Freiwilligen", die sich im selben Jahr am Kyiv Pride beteiligte. Er selbst kämpfte von 2014 bis 2016 als Freiwilliger des Bataillons Donbass an der Front in der Ostukraine. Mit seinem Verband setzt sich Pylypenko u.a. für die Ehe für alle in der Ukraine ein – und sieht darin auch eine Notwendigkeit im Krieg. Wir sprachen mit dem Aktivisten über die aktuelle Lage in seinem Land.
Herr Pylypenko, wie besorgt sind Sie gerade über die Spannungen mit Russland, und wie reagiert die LGBTI-Community?
Meine Schwester ist mit einem Deutschen verheiratet, und ich habe ihr geraten, für alle Fälle Pässe für ihre Kinder zu besorgen. Ich bin beunruhigt. Die Spannungen sind außerordentlich, und ich rate Freunden, sich auf alle Szenarien vorzubereiten und Vorräte anzulegen. Die LGBTI-Community hat vielleicht noch mehr Grund zur Sorge als der Rest der Gesellschaft. Die Menschenrechtsverstöße in den pro-russischen Separatistengebieten gegen sexuelle Minderheiten sind dokumentiert. Und in Russland selbst steht es bekanntlich auch schlecht um unsere Rechte. Da herrscht in der Community schon große Nervosität. Sollte es zum Krieg kommen, werde ich wieder an die Front gehen.
Herr Pylypenko, Sie haben von 2014 bis 2016 an der Front in der Ostukraine gekämpft. Was haben Sie als schwuler Mann dabei erlebt?
Ich war nicht geoutet in den zwei Jahren an der Front. Ich hielt die gesellschaftliche Entwicklung 2014 für noch nicht tolerant genug, um offen schwul zu leben. Als meine Kameraden später von meinem Outing erfahren haben, gab es vor allem positive Reaktionen. Sie interessierte das gar nicht so sehr. Sie erinnerten sich daran, wie ich mich im Einsatz verhalten habe. Das hat für sie gezählt.
Sie haben sich nach der Rückkehr ins Zivileben geoutet. Warum?
Es gab beim Pride 2018 in Kiew eine Fotoaustellung "Wir waren hier". Darin ging es um LGBTI-Soldaten an der Front. Ziel war es, dem Narrativ der Rechten entgegenzutreten, Schwulen sei die Verteidigung der Ukraine egal. Ich habe an der Ausstellung teilgenommen mit meinem Gesicht, um zu zeigen, dass das eine Lüge ist.
Militärdienst gilt in vielen Ländern als etwas, das queere Menschen aus Angst vor Diskriminierung und Homophobie eher meiden. Warum wollten Sie 2014 an die Front?
Ich habe schon als Student an den Protesten während der Orangenen Revolution 2004 teilgenommen und zehn Jahre später auch an der Maidan-Revolution. Ich wollte immer in einem Land leben, in dem die Menschenrechte gelten und die Armut überwunden wird. Während der Revolution 2014 habe ich den Maidan-Platz gegen die anrückenden Spezialkräfte der Polizei mit verteidigt. Im selben Jahr begann der Krieg in der Ostukraine, und unsere Armee war in einem desolaten Zustand. Ich hatte militärische Erfahrung, und mir war klar, dass jeder etwas tun muss, damit unser Land nicht von Russland besetzt wird. Also bin ich an die Front.
Haben sich die Bedingungen für LBGTI in den ukrainischen Streitkräften verbessert, und wie reagiert die Gesellschaft inzwischen auf queere Soldat*innen?
Seitdem LGBTI-Soldaten in aller Öffentlichkeit auftreten, hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung stark verändert. Die homophoben Diskurse ziehen nicht mehr so wie früher. In der Armee kommt es immer noch auf die Einheit an, in der Soldaten dienen. Vieles hängt von den Kommandeuren ab, etwa ob sie wegsehen, wenn es homophobe Beleidigungen oder Mobbing gibt. Auf dem Papier ist die Diskriminierung von Schwulen und Lesben im ukrainischen Militär ohnehin verboten.
Warum ist die Ehe für alle gerade für homosexuelle Militärangehörige und ihre Partner*innen in dem sich zuspitzenden Konflikt mit Russland jetzt wichtig?
Soldaten sind im Krieg noch mehr gefährdet als Zivilisten. Im Moment erhalten nur heterosexuelle Ehen und Familien Unterstützung, wenn einem Militärangehörigen etwas zustößt. Wir benötigen zumindest eine zivile Partnerschaft in der Ukraine. Im Moment ist das Parlament vollkommen mit der drohenden Invasion beschäftigt. Ein verschärftes Antidiskriminierungsgesetz, das uns auch wichtig ist, liegt derzeit in den Ausschüssen.
Die Ukraine versucht sich als LGBTI-freundliches Land neu zu erfinden. Was hat das mit dem Konflikt mit Russland zu tun, und wo beginnt für Sie Instrumentalisierung?
Ich gebe offen zu, dass wir das als LGBTI in der Armee instrumentalisieren. Wir sagen deutlich, dass wir in der Ukraine eine Revolution erlebt haben, damit das Land die Würde des Einzelnen achtet und einen anderen Weg einschlägt als Russland. Wir benutzen diesen Antagonismus in unseren Kampagnen zu Russland offen, denn in unserer Ukraine hat Homophobie keinen Platz.
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