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Smartphone-App
Ein Netzwerk nur für "Weibchen"?
Giggle soll ein Netzwerk für Frauen sein und überprüft per Gesichtserkennung das Geschlecht von User*innen. Die Gründerin verbreitet Hassbotschaften aus der Giftküche der "Gender Critical"-Bewegung.

Kommt quietschig-pink daher, ist aber alles andere als freundlich: die Smartphone-App Giggle (Bild: Screenshot Google Play)
26. Januar 2022, 12:51h 9 Min. Von
Eigentlich gibt es Giggle, ein soziales Netzwerk für Frauen und Mädchen mit einem fragwürdigen Registrierungsprozess, bereits seit zwei Jahren. Und schon damals gab es Kritik: Rassistisch und transphob diskriminierend sei die Plattform, zudem datenschutztechnisch äußerst fragwürdig.
Früher wies die Plattform die Kritik noch zurück. Dass zumindest die Ausgrenzung transgeschlechtlicher Mädchen und Frauen mehr als nur ein Versehen gewesen sein dürfte, wurde jedoch in den vergangenen Wochen deutlich. Kritiker*innen und die australische Giggle-Gründerin Sall Grover lieferten sich einen erneuten Schlagabtausch.
Was da von Grover kam, ließ wenig Platz für Zweifel an der diskriminierenden Grundhaltung der App, die sich inzwischen offensiv als an "females" gerichtet vermarktet. Der Ausdruck lässt sich mit "Frauen" oder "Weibliche" übersetzen – aber auch als zoologischer Ausdruck, als "Weibchen". Dass das Englische in dieser Hinsicht nicht besonders eindeutig funktioniert, haben sich Transhasser*innen längst zunutze gemacht.
Fragwürdige Gesichtserkennung
Schon zum Start der App Anfang 2020 erregte Giggle Aufsehen, weil Nutzer*innen bei der Registrierung ein frisches Selfie von sich selber schießen und übermitteln mussten. Das ist auch bis heute so. Das Bild wird dann auf die Server des Giggle-Partners Kairos hochgeladen und von einem Algorithmus zur Gesichtserkennung überprüft. Der soll, durch eine lernfähige KI trainiert, zumindest in der Theorie dazu in der Lage sein, das Geschlecht von Nutzer*innen zu erkennen. Wer als Frau oder Mädchen eingestuft wird, darf sich ein Profil anlegen. Alle anderen müssen draußen bleiben.
Doch ob ein Algorithmus überhaupt in der Lage sein kann, etwas komplexes wie Geschlecht anhand eines Fotos festzulegen, daran gibt es auch abseits der Anwendung dieser Technik bei Giggle erhebliche Zweifel. Denn die per Durchschnitt ermittelte Norm-Frau, die der Gesichtserkennung und ihrer Datenwelt zugrunde liegt, scheint weiß zu sein. Nicht-weiße Frauen, so schon früher eine Kritik an der Software von Kairos und sämtlichen Konkurrenz-Anbietern, würden viel häufiger fälschlich als Männer eingestuft als weiße Frauen. Noch deutlicher wird das Problem bei transgeschlechtlichen Frauen und Mädchen.
Der Grund: Die Software bemisst Gesichtsproportionen, die vom unter der Haut liegenden Knochenwachstum bestimmt werden – und das wiederum von vererbten Eigenschaften und dem Hormonhaushalt während des Wachstums. Beides unterscheidet sich aber, teils erheblich, innerhalb der Gruppe der Frauen. Und da ist plastische Chirurgie noch gar nicht mit eingerechnet. Die Macher*innen jedenfalls schienen schon 2020 zu ahnen, auf welch wackligen Beinen ihre Methode steht. So hieß es auf der Webseite, dass Giggle "für alle Mädchen" sei, "trans Mädchen" jedoch Schwierigkeiten beim Registrierungsprozess erleben könnten.
Wer sich vom Algorithmus falsch eingestuft wähnte, kam und kommt noch immer mit einem einzigen Klick zu einem Formular für eine Mail an das Support-Team. Dennoch wurde die eigene Technik als "Bio-Wissenschaft" verteidigt. Die grenzten die Macher*innen als vermeintliche "Wissenschaft" von "Pseudo-Wissenschaften" wie der Phrenologie ab, einer Lehre aus dem 19. Jahrhundert, die von Schädelformen auf charakterliche Eigenschaften eines Menschen zu schließen können glaubte. Besonders professionell klang das schon 2020 nicht.
Man habe, ließ Grover damals in Entgegnung der Kritik wissen, bei der Produktion der App sogar mit trans Frauen zusammengearbeitet, die offen mit ihrem "Makel" ("flaw") umgegangen seien. Man gehe auch deshalb transparent mit den Limits der eigenen Softwarelösung um. Besonders beruhigt hat diese Formulierung die Kritiker*innen der App allerdings nicht.
Dass sie mit ihren Vermutungen richtig gelegen haben, wurde nun klar, als die Kontroverse um die App wieder hochkochte. Der Auslöser: eine transgeschlechtliche Frau und ihr Tweet darüber, dass sie sich in der App habe registrieren können und hinter dem wachsamen Auge des Giggle-Algorithmus mit aggressiv transfeindlichen Inhalten konfrontiert gewesen sei. Es dauerte nicht lange, da war das Konto der Nutzerin gesperrt. Jemand hatte App-Gründerin Sall Grover in den Kommentaren markiert und sie so auf die Nutzerin aufmerksam gemacht.
Tausendfach gezwitscherter Transhass
Ob denn nun transgeschlechtliche Frauen bei Giggle willkommen seien oder nicht, das wollte dann ein*e Journalist*in im Auftrag der LGBTI-Nachrichtenseite PinkNews von Grover wissen. Auch der "Business Insider" wurde auf das Thema aufmerksam. Die PinkNews-Presseanfrage an die App-Gründerin ist öffentlich bekannt. Grovers Antwort auch. Sie hat sie auf ihrem Twitter-Account veröffentlicht.
Giggle sei eine App für "females", schreibt sie da. "Males" seien von der Nutzer*innengruppe exkludiert. So wie bei der schwulen Dating-App Grindr: Die sei auch für schwule Männer, nicht für Frauen ("women"). Bei Giggle sei es ähnlich. Das soziale Netzwerk richte sich auch an eine spezifische, demographische Gruppe: "females".
Twitter / salltweets | Sall Grover veröffentlichte die Presseanfrage an sich einfach auf TwitterInterview, part 1: pic.twitter.com/AQmZkYQmhm
Sall Grover (@salltweets) January 25, 2022
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Ob Grover impliziere, lautete die Nachfrage, dass transgeschlechtliche Frauen Männer seien. Grovers gleichsam veröffentlichte, aggressive Antwort: "Ich impliziere überhaupt nichts. Ich lege nur unmissverständlich dar, dass Giggle eine App für 'females' ist."
Dass der Vergleich mit Grindr nicht sonderlich belastend ist, legt ein einfacher Blick auf die Webseite der schwulen Dating-App nahe. Dort heißt es unmissverständlich und in großen Lettern, Grindr sei "die weltgrößte Social-Networking-App für schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche und queere Leute".
Grovers Antwort im typisch impliziten Duktus der "Gender Critical"-Bewegung verwundert vor dem Hintergrund der früher um Nichtdiskriminierung wenigstens bemühten Kommunikation von Giggle, als noch betont wurde, dass sich die App an "alle Mädchen" richte. Eine Recherche nach Grovers Spuren im Netz liefert die Antwort für den Widerspruch.
Seit Monaten versorgt Grover ihre Follower*innen auf Twitter mit tausenden wütenden Tweets, fast alle zum selben Thema. Knapp 21.000 Tweets zählt der Account. Es ist schwer, unter dem täglichen Stakkato von Beiträgen einen Eintrag zu finden, der sich nicht um in trans Frauen und das vermeintliche Eindringen von "males" in Frauenräume dreht.
"I guess I'm a TERF then"
Spuren des Sinneswandels finden sich auch auf einem Blog der App-Gründerin. Der älteste auffindbare Eintrag datiert auf den 10. Juni 2020. Unter der Überschrift "Schätze, dann bin ich wohl eine TERF" ist ein nachträglich eingefügter Hinweis eingeblendet: "UPDATE: Giggle ist strikt eine App für "females". Die Richtlinie wurde in der Mitte von 2020 geändert, nachdem dieser Artikel geschrieben worden ist."
Im Posting geht es um die Kontroverse um die britische, transphobe Autorin J.K. Rowling (queer.de berichtete). Grover sei das selbe wie Rowling passiert: "Trolle" hätten sich auf sie gestürzt. "Die Medien" jedoch hätten die Kritik an Grover, so wie die an Rowling, dargestellt, "als wenn sie korrekt wäre". Und als wenn das eine etwas mit dem anderen zu tun hätte, erzählt Grover noch ausführlich, wie sie nach Erfahrungen mit Belästigung und sexueller Gewalt durch Männer in ihrem früheren beruflichen Umfeld auf die Gründung der Giggle-App gekommen sei.
Ein sicherer Ort zum Austausch sollte die App sein, zur Bewerbung des eigenen Geschäfts oder zur Suche nach Mitbewohner*innen ohne Einmischung und Belästigung durch Männer. Ganz so, als würden transgeschlechtliche Frauen nicht das selbe erleben.
In einem zwei Wochen danach verfassten Eintrag nennt Grover die Angriffe gegen sich "transphob". Es hat den Anschein, als habe sie zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht verstanden, was das Wort bedeutet und dass es ein Unterschied aufs Ganze ist, ob jemand transphob angegriffen oder für Transphobie kritisiert wird.
Das mangelnde Verständnis für das Problem hat Grover jedoch nicht davon abgehalten, bereits in den Tagen davor damit anzufangen, wüste Postings in der Sprache der "Gender Critical"-Bewegung abzusetzen. Es geht um vermeintliche Missetaten von "TRAs", also "trans rights activists". Grover stellt trans Frauen als Gefährdung für Kinder dar und spricht ihnen den Einfluss auf "die Medien" zu, die Berichterstattung über ihre Vergehen zu verweigern. In anderen Einträgen beschreibt sie, wie sie immer wieder Medien angeschrieben habe, jedoch ignoriert worden sei.
In einer weiteren, ausführlichen Stellungnahme vom 21. Januar 2021 wiederholt Grover detailreich ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt durch Männer, nur um dann ohne jede Vermittlung zu behaupten: "Jetzt werde ich dafür missbraucht, eine App für Frauen hergestellt zu haben." Es liest sich, als nehme Grover die über das Internet geäußerte Kritik an ihrer App wahr, als stünden sie in direkter Verbindung zu den erlebten Übergriffen durch Männer oder als seien sie nur eine andere Form des selben Phänomens.
Behauptungen, sie sei mit Äußerungen wie "KILL TERFS" bedroht worden, sind zwar nicht prinzipiell unglaubwürdig. Und zur Wahrheit um den vor allem im Netz ausgetragenen Konflikt gehört sicher die Äußerung von Hassbotschaften wie dieser. Doch selbst in Grovers veröffentlichten, in direktem Bezug zu Giggle stehenden Screenshots finden sich derlei Äußerungen nicht. "Transphober Müll" schreiben Nutzer*innen da, oder "TRANS RIGHTS". Harmlos im Vergleich zu dem, was ansonsten zum traurigen Alltag der Netzkultur gehört.
Online-Radikalisierung in "Gender Critical"-Blase
Sie allein habe während der Entwicklung von Grover für die Inklusion von trans Frauen in die Zielgruppe der App gesorgt. Der Rest des Teams sei dagegen gewesen, heißt es weiter in der Stellungnahme: "Ich wollte, dass sich trans Frauen willkommen fühlen." Doch das taten sie nicht. Dass das daran gelegen haben könnte, dass das Team hinter der Giggle-App offenbar keinen tragfähigen Konsens gegen Diskriminierung hatte, auf die Idee kommt Grover nicht.
Kurz nach dem Start der App sei dann die Kritik losgegangen. Sie sei als "TERF", also als "transexkludierende Radikalfeministin" bezeichnet und bedroht worden und diese Dinge seien in "den Medien" ebenfalls so dargestellt worden. Zunächst habe sie nicht verstanden, was vor sich gegangen sei, schreibt Grover. Sie habe nicht einmal gewusst, was "TERF" heißt.
Daraufhin habe sie recherchiert und unter anderem die Kanäle der "Radikalfeministinnen" im Internet gefunden. Sie habe nur drei Minuten gebraucht, um zu verstehen, "was passiert".
Aktivist*innen für Transrechte würden Druck auf Lesben machen, mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben, Institutionen Frauen in "Vagina-Besitzerinnen" umbenennen, Aktivist*innen gegen Genitalverstümmelung würden wegen ihrer Sprache als transphob tituliert und "Tausende von Frauen" seien mehr und mehr frustriert darüber, ignoriert zu werden, obwohl sie "Feuer!" riefen. Es ist eine Aneinanderreihung von transphoben Mythen und völlig unzulässigen Verallgemeinerungen, die in der abgeschotteten Filterbubble der "Gender Critical"-Bewegung heranreifen.
Giggle habe daraufhin ein Treffen gehabt und die Richtlinien geändert. Doch diese Behauptung steht schon im Widerspruch zu dem, welchen Zeitpunkt Grover auf ihrem eigenen Blog für die Änderung der Zielgruppe der App angibt. Wie viel Wahrheitsgehalt der Rest davon hat, wie Grover ihre Online-Radikalisierung darstellt, kann schwerlich überprüft werden. Nur das Ergebnis, das ist eindeutig.
Eine kreative Lösung für den Rassismusvorwurf gegen ihre App hat Grover auch bereits gefunden. Rassistisch sei nicht, eine Plattform für "females" auf der ganzen Welt zu schaffen, sondern, dem Rest der Welt eine westliche Ideologie überzustülpen. Gemeint dürfte die Idee sein, transgeschlechtlichen Menschen Rechte zuzugestehen und sie anzuerkennen. Dabei gehen nicht wenige transfeindliche und homophobe Gesetzgebungen auf der Welt bis heute darauf zurück, dass sie erst durch westliche Kolonisator*innen gewaltsam eingeführt worden sind.
Es ist nur eine weitere von vielen Ungereimtheiten in der bescheidenen, aber hasserfüllten Weltsicht der Sall Grover.

Wann lernen die Menschen, dass der Mensch hinter dem Geschlecht widerlich ist und in diesem Falle sind das für mich exakt diese Menschen, ganz egal, ob cis, trans oder non-binär!
Reduzieren sie sich selbst auch nur auf ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale?? Dann ist es kein Wunder, dass jemand, der so erbärmlich ist und seinen Wert über das biologische Geschlecht oder den Geburtsort festmacht, es nötig hat, Hass zu verbreiten, wenn das einzige, was diese Menschen ausmacht, plötzlich keine "Werterhöhung" darstellt...
Wie bei der Ehe für alle. Die armen Heteros, die ihren Wert nur über eine heteronormative Verbindung erkennen und der Meinung sind, anderen dürfe dieses Recht nicht gewährt werden (denn, was wären sie dann noch?)...
Ich bin cis, interessiere mich aber allgemein für Geschlecht und Geschlechterrollen und die Komplexität und finde es eigentlich nur sehr spannend, wie vielfältig unser Ich ist und finde es gleichzeitig immer wieder erschreckend, welchen Geltungsbedarf manche Menschen haben und dass sie sich nur dann besser fühlen, wenn sie andere für sich als minderwertig verbuchen können. Traurig eigentlich...