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"Never go to Hollywood"

Ästhetik braucht Widerstand: Zum 80. von Derek Jarman

Er gilt als Gründervater des New Queer Cinema: Am 31. Januar 2022 wäre der schwule britische Filmemacher, Maler, Schriftsteller, Aktivist und leidenschaftliche Gärtner Derek Jarman 80 Jahre alt geworden.


Derek Jarman, geboren am 31. Januar 1942, starb am 19. Februar 1994 an den Folgen von Aids (Bild: Gorup de Besanez / wikipedia)

Am Anfang war es nur diese eine Gewissheit: "Never go to Hollywood." Nicht primär aus anti-kommerziellen, sondern zuvorderst aus künstlerischen Beweggründen wollte der britische Filmregisseur Derek Jarman von Beginn an seine Unabhängigkeit von den großen Filmfinanciers aus Übersee bewahren. Zu groß war die Angst vor einer Vereinnahmung, die ihn dazu zwingen könnte, seine rohen Filmdiamanten gemäß der ästhetischen Vorlieben eines biederen Massenpublikums zu schleifen.

Diese Sorge war nicht unbegründet. Bereits Jarmans erster Film "Sebastiane" hatte langanhaltende Proteststürme der britischen Öffentlichkeit nach sich gezogen und seine Existenz als künstlerischer Dissident früh besiegelt. In dem Film – eine Art schwuler Softporno, der für heutige Verhältnisse eher harmlos wirkt – wird mit eigenwilligen Mitteln das Leben des heiligen Sebastians nachgezeichnet, der 300 nach Christus einen Märtyrertod starb und spätestens seit der Renaissance zum Inbegriff Adonis-ähnlicher Schönheit und Gegenstand zahlreicher Kunstwerke wurde. Nach Erscheinen des Films wurden schnell die üblichen Rufe der öffentlichen Moralapostel nach Zensur laut, die Jarmans weitere Karriere fortan ebenso begleiten sollten wie dessen diebische Freude an Provokation und Nonkonformismus.

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Sympathie für die Punkbewegung


Gedenktafel für Derek Jarman in Butler's Wharf

Diese war dabei nicht zuletzt Resultat der eigenen sozialen Ausgrenzung, die er schon als junger Schüler aufgrund seiner Andersartigkeit erfahren hatte. Nichts war ihm später mehr suspekt als die sozialen Funktionsmechanismen von Machtstrukturen und jener Opportunismus, den diese nur allzu oft hervorzurufen vermögen. So war er im Jahr 1978 auch der erste britische Regisseur überhaupt, der es wagte, sich der gerade aufkommenden Punkbewegung mit filmischen Mitteln und unverhohlener Sympathie zu nähern.

Das Ergebnis war der Film "Jubilee", der aus heutiger Sicht und angesichts dürftiger finanzieller Mittel mit geradezu überragender Starbesetzung aufwartet: Neben Adam and the Ants sind unter anderem The Slits, Toyah Willcox und Siouxsie and the Banshees darin zu sehen. Doch für die Anerkennung einer breiteren Öffentlichkeit war es vorerst noch zu früh – erst seine sehenswerten Musikvideos für The Smiths und die Pet Shop Boys Mitte der 1980er Jahre machten ihn auch jenseits der kleinen Punknische zum Kultregisseur.

Ein malender Regisseur

Als Filmemacher betrachtete Jarman sich dabei eigentlich gar nicht. Angefangen hatte er seine künstlerische Tätigkeit als Maler. Nach einem erfolglosen Studium der Anglistik, Geschichte und Kunstgeschichte studierte er ab 1963 an der renommierten Slade School of Art in London und verdiente sich das Geld für sein Studium nebenher als Maler von Theaterkulissen. Zu seinen frühen Idolen zählten Andy Warhol und vor allem David Hockney, dem er Anfang der 1970er Jahre während einer Amerikareise begegnet war.


Szene aus Jarmans Film "Caravaggio" aus dem Jahr 1986 (Bild: Salzgeber)

Als "bewegte Bilder eines Malers" bezeichnet Martin Frey in seiner gleichnamigen und lesenswerten Studie dementsprechend Jarmans Filme. Diese waren – entgegen der etablierten filmischen Konventionen – zumeist eher fragmentarisch und assoziativ gehalten und daher nicht darauf ausgelegt, eine einheitliche, lineare Geschichte ohne entsprechenden Interpretationsbedarf zu erzählen. "Eine Reise ohne Richtung" sollten sie sein, wie er einmal sagte.

Zu seinen filmischen Mitteln zählte die legendäre Super-8-Videotechnik, die schon damals als eher antiquiert galt und zuvorderst von randständigen Sonderlingen wie Jarman genutzt wurde. Dabei integrierte er auch private, biografische Filmaufnahmen aus seiner Kindheit und Jugend, womit er die seiner Ansicht nach fragile Grenzziehung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit unterstrich.

Die Politisierung seiner Filme

1986 erfuhr der offen schwule Jarman, dass er HIV-positiv ist. Die Diagnose war ein Schock – eine Überraschung war sie nicht wirklich. Bereits in den Vorjahren waren zahlreiche Weggefährten und Freunde Jarmans an der Immunschwäche erkrankt und teilweise bereits verstorben.


Tilda Swinton in Jarmans Film "Edward II." aus dem Jahr 1991 (Bild: Salzgeber)

Zur gleichen Zeit diskutierte die britische Öffentlichkeit unter Federführung der konservativen Tories über restriktive Maßnahmen im Angesicht der "Schwulenseuche". Das Ergebnis war schließlich der berüchtigte Clause 28, der bestärkende oder neutrale Berichterstattung über Homosexualität de facto unter Strafe stellte und damit nicht zufällig Assoziationen an die heutige Situation in Russland erweckt. Das Gesetz war eine Art Wahlkampfgeschenk der Thatcher-Regierung an die konservative Gesellschaft Großbritanniens, nachdem ihre Wiederwahl im Vorfeld der Parlamentswahlen 1987 lange auf der Kippe gestanden hatte.

Das Gesetz erschwerte es Jarman zunehmend, solide Finanzierungspläne für seine Filme zu erstellen, da es öffentlichen Institutionen nun untersagt war, Filme mit expliziten homosexuellen Handlungen – wie sie für Jarman typisch waren – finanziell zu unterstützen. Nicht zuletzt deshalb war er fortan darauf angewiesen, in seinen Filmen mit einem bunten Potpourri aus Laienschauspieler*innen, (ehemaligen) Geliebten und Freund*innen zu arbeiten – eine davon war etwa die junge Tilda Swinton, die bis zu seinem Tod eng mit Jarman befreundet blieb und ab 1986 in allen seinen Filmen zu sehen war.

Die neue Gesetzeslage setzte zugleich eine zunehmende Wut gegen die Verlogenheit von Politik und Gesellschaft frei, die Jarman produktiv umzumünzen verstand: So wurden seine Filme nach seiner HIV-Diagnose immer politischer. Im Zentrum seines Schaffens stand stets eine Idee, eine Aussage, die es mit filmischen Mitteln herauszustreichen galt. Nichts war ihm mehr suspekt als eine bloße, beliebige Aneinanderreihung schöner Bilder, eine Ästhetik ohne Widerstand.

Die letzten Jahre

Zugleich wuchs in ihm die Sehnsucht nach Stille und Abgeschiedenheit. Im Jahr seiner Diagnose erwarb er eine alte Fischerhütte in Dover, dem südwestlichen Zipfel Großbritanniens. Dort legte er einen großen Garten an, der fortan sein Refugium war und auch Schauplatz mehrerer seiner späten Filme wurde. Auch widmete er sich in seinen letzten Jahren wieder vermehrt dem Schreiben von Büchern und dem Malen.


Szene aus Jarmans Film "The Garden" aus dem Jahr 1990 – gedreht auf dem eigenen Grundstück (Bild: Salzgeber)

Durch die späte Diagnose und die damals noch mangelhafte medizinische Behandlungsmöglichkeiten verschlechterte sich sein Gesundheitszustand ab Anfang der 1990er Jahre zunehmend. Seinen letzten Film "Blue" produzierte er bereits nahezu erblindet, sodass er kurzerhand beschloss, dass die visuelle Komponente des Films durchgehend aus einem warmen, flimmernden Blau bestehen sollte. Die Tonspur des Films stellte eine Art durchgehender Monolog Jarmans dar, in dem er auf assoziative Weise sein Leben reflektiert. In einer Anfangssequenz des Films heißt es übersetzt: "Ich trete hinaus in die blaue Angst".

Fünf Monate nach Erscheinen des Films starb Derek Jarman. Am 31. Januar 2022 hätte er seinen 80. Geburtstag gefeiert.

Vier Jarman-Klassiker in digital restaurierter Fassung

Anlässlich des runden Geburtstags vveröffentlichte der Berliner Filmverleih Salzgeber vier Meisterwerke Jarmans in digital restaurierten Fassungen im Salzgeber Club:

"The Angelic Conversation" visualisiert die unterschwellig homoerotischen Themen in William Shakespeares Sonetten mit eindringlichen Bildern.

Eine schwule Liebe, die eine homophobe Gesellschaft ins Chaos stürzt – das ist der Stoff, den Jarman frei nach dem Stück des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe in "Edward II" für das Kino entwirft.

In "Caravaggio" überträgt der Regisseur das Leben und die Bildsprache des Renaissance-Künstlers Caravaggio kongenial in ein Biopic, das einer der wenigen wirklich adäquaten Filme über Kunst und Malerei ist.

Und "Wittgenstein" ist Jarmans meisterhaftes Porträt des exzentrischen Philosophen und leidenschaftlichen Wahrheitskämpfers Ludwig Wittgenstein.

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