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Kommentar
Ella: Unsere Zweifel waren berechtigt
Grundlos schloss die Berliner Polizei ein politisches Motiv hinter der Selbstverbrennung vom Alexanderplatz aus. Fragen, die es sowieso gibt, werden nun noch lauter werden, kommentiert Jeja Klein.

Die Hinterbliebenen von Ella haben nicht nur Trauer, sondern auch Fragen (Bild: privat)
3. Februar 2022, 12:21h 3 Min. Von
Der Berliner Senat musste zugeben, dass der Ausschluss politischer Motive hinter dem öffentlichen Suizid der Ella Nik Bayan ohne Grundlage erfolgt ist (queer.de berichtete). Für viele Hinterbliebene ist das eine schmerzliche, aber gute Meldung.
Sie erfahren: Ihre Zweifel an der offiziellen Darstellung waren berechtigt. Ihr Misstrauen in die Berliner Polizei und deren nötige Sensibilität für queere Menschen, für transgeschlechtliche und geflüchtete, ebenso.
Ein politischer Hintergrund der Selbstverbrennung sei ja nur "derzeit" und unter Hinzunahme "bisheriger" Ermittlungen und Erkenntnisse ausgeschlossen worden. So beantwortete eine Pressesprecherin der Berliner Polizei meine Fragen. Mit anderen Worten: Kein Grund zur Sorge! Doch die Antwort war nur ein weiterer Grund, sich zu sorgen.
Welche politischen Motive hatte die Polizei?
Versteht die Polizei überhaupt nicht, worum es hier geht? Glaubt sie, dass die Gefühle der Hinterbliebenen einer geflüchteten trans Frau darüber, wie ihre Freundin posthum in den Medien dargestellt wird, keine Rolle spielen? Oder glaubt so mancher Berliner Beamte vielleicht, dass "so jemand" keine Freund*innen haben konnte? Ella hatte viele Freund*innen, und viele von ihnen sind noch immer von ihrem so brutalen Selbstmord im September vergangenen Jahres schockiert und ergriffen. Die Fragen, die sie seither mit sich herumschleppen, werden nun nur noch größer und drängender.
Warum schloss die Berliner Polizei so früh einen "extremistischen" Hintergund aus, als Ella womöglich noch im Sterben lag? Wäre sie auch bei einer nicht geflüchteten Frau auf "Extremismus" gekommen? Warum bestätigte sie diese Behauptung tags darauf, als sie hinterherschob, sie schließe einen politischen Hintergrund noch immer aus? Welche politischen Motive hatten die Beamten, zu behaupten, dass Ermittlungsergebnisse das Vorliegen politischer Motive eher verneinten? Diese Ermittlungsergebnisse, das wissen wir nun, gab es nicht.
Wer schrieb die Pressemitteilungen? Auf welcher Grundlage? Wird es eine Entschuldigung für das dadurch angerichtete Leid bei den Hinterbliebenen geben? Und wann präsentiert die Berliner Polizei Tatverdächtige der widerlichen Aufnahme und Verbreitung von Fotos von Ella sowie der Schändung ihres Grabs? Diese und weitere Fragen werden so schnell nicht leiser werden. Und das ist gut so.
Damit Berlin ein Ort der Freiheit wird
Berlin hat sich nur zwei Tage nach Ella Nik Bayans Tod den Titel "Regenbogenhauptstadt" und "Freiheitszone für LSBTIQ*" gegeben (queer.de berichtete). Doch zu einer Regenbogenhauptstadt gehört, dass endlich die permanente Gewalt gegen Queers aufhört.
Das schließt auch diejenigen ein, die abseits schicker Schöneberger Cocktailbars in beengten, überteuerten Wohnverhältnissen in Neukölln, Kreuzberg oder dem Wedding leben, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Diejenigen, die noch immer nicht die Unterstützung bei der Transition erhalten, die möglich und geboten wäre. Und diejenigen, für die Beamte der Berliner Polizei eher einen Angstfaktor darstellen als einen Faktor von Sicherheit und gelebter Freiheit.
Schläge, Beschimpfungen und Verfolgungen auf der Straße, unter denen auch Ella litt, müssen aufhören. Und Anerkennung muss geleistet werden. Am besten fängt man damit an, indem die offenen Fragen beantwortet werden. Es gibt mehr als genug von ihnen.
Sprich mit anderen darüber. Freund*innen oder Verwandte könnten gute Ansprechpartner*innen sein.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Für trans Personen gibt es in Deutschland ein großes Netzwerk aus Treff-, Unterstützungs- und Beratungsangeboten. So bietet etwa die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mehrere Beratungsstellen. Weitere lokale Angebote lassen sich oft über Suchmaschinen finden.

Hoffentlich gibts bald endlich Gerechtigkeit.