Die Münchner LGBTIQ-Fachstelle Strong! hat im letzten Jahr weit mehr Meldungen über queerfeindliche Delikte erhalten als 2019. Das geht aus ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht (PDF) hervor. "Wer ihn liest, merkt schnell: Es besteht Handlungsbedarf", erklärte die im Münchner Sub angesiedelte Fachstelle in einer Pressemitteilung.
Für das vergangene Jahr erfasste Strong! 165 Vorfälle, davon mehr als die Hälfte aus der Landeshauptstadt (88 Fälle). Sie reichen von Beleidigungen (12) über Bedrohung (29) und Tätlichkeiten (30) bis hin zu sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (29). Im Vorjahr waren insgesamt nur 101 Vorfälle gemeldet worden.
(Bild: Strong!)
Nur 26 der genannten Fälle seien bei der Polizei angezeigt worden. Grund für die niedrige Rate ist, dass viele Betroffene Angst davor hätten, dass die Täter*innen sich rächen könnten. Sie fürchteten außerdem, die Polizei nähme derlei Fälle nicht ernst.
Zudem würden sich viele Opfer von Gewalt überhaupt nicht melden: "Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Fallzahlen nur die Spitze des Eisbergs darstellen und die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt", erklärte der Pädagoge Michael Plaß, der gemeinsam mit der Diplom-Psychologin Bettina Glöggler Strong! leitet. Jeder wisse, dass beispielsweise die Anzahl von zwölf Fällen von Beleidigung "mit der Realität nichts zu tun haben" könne. Glöggler erklärte, dass man mit diesem Bericht über die tatsächliche Entwicklung von Homo- und Trans-Feindlichkeit in Bayern keine Aussage treffen könne. Klar sei nur, dass dies ein Thema sei, mit dem man sich befassen müsse.
Aktionsplan gegen LGBTI-Feindlichkeit "muss endlich kommen"
Glöggler und Plaß forderten daher einen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie auch in Bayern. "Der muss endlich kommen!", so Plaß. Bayern ist das einzige der 16 Länder, in denen es keinen derartigen Plan gibt. Die aus CSU und Freien Wählern bestehende bayerische Staatsregierung weigert sich bis heute, einen Aktionsplan einzurichten. In der Vergangenheit hatte die Regierung in München schlicht behauptet, dass es im Freistaat "keine Notwendigkeit" für ein derartiges Projekt gebe, da man "bereits auf allen fachlichen Ebenen Homophobie" entgegenwirke (queer.de berichtete).
Die queere Fachstelle setzt auf Hilfe aus Berlin: Es werde "höchste Zeit, dass der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung und Gender-Identität auf Bundesebene Verfassungsrang bekommt", betonte Glöggler. Die Ampelregierung hatte in ihrem im November vorgestellten Koalitionsvertrag bereits versprochen, Artikel 3 um einen Diskriminierungsschutz wegen "sexueller Identität" zu erweitern (queer.de berichtete). Eine derartige Reform könne auch Signalwirkung für Bayern haben, so das Strong!-Team.
Laut einer Studie der Grünen aus dem Jahr 2020 berichtet die Hälfte der queeren Menschen in Bayern über Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität (queer.de berichtete). (dk)