TikTok ist beliebt – nicht nur besonders unter jungen Nutzer*innen, sondern auch besonders unter queeren, jungen Nutzer*innen. Da wären Eigenschaften zu nennen wie diejenige, dass man im Netzwerk nicht automatisch mit RL-Bekanntschaften und solchen aus dem Adressbruch des Smartphones verbunden wird, sondern sich eher ein Umfeld entlang der eigenen Interessen aufbaut.
Das macht es genau so leichter, online mit alternativen Identitätsentwürfen von sich selbst zu experimentieren, wie auch optische Features des Dienstes, etwa "Blue & Red". Der verändert zum Beispiel den Geschlechtsausdruck des Gesichts in Echtzeit, mit nur einem Augenzwinkern, hin und her.
Nun geht der Dienst jedoch einen weiteren Schritt in seinen Inklusions- und Schutzbemühungen gegenüber LGBTI. Ab sofort ist es ganz offiziell verboten, andere mit falschen Pronomen oder Geschlechtszuschreibungen zu misgendern, ihren abgelegten Deadname zu benutzen oder für sogenannte "Konversionstherapien" zu werben.
Community-Guidelines erneuert
Am Dienstag erneuerte das soziale Netzwerk dazu seine Community-Guidelines. Zu den Maßnahmen zugunsten von trans- und intergeschlechtlichen, nichtbinären sowie lesbischen, schwulen und bi- beziehungsweise pansexuellen Nutzer*innen kommen weitere, die etwa den Kampf gegen Essstörungen verbessern sollen.
So möchte TikTok nicht mehr nur explizit Essstörungen verherrlichende Inhalte löschen, sondern auch darauf achten, welche gefährlichen Botschaften Nutzer*innen rund um das Thema Essen oder körperliche Fitness sonst noch absetzen. Um unter die neue Guideline zu fallen, müssen diese nicht erst aktiv und mit einschlägigen Worten in den Kontext von Essstörungen gesetzt werden.
Außerdem wird Misogynie, also Frauenhass, explizit als hassvolle Ideologie benannt und verboten. Die steht nun genau zwischen "White supremacy", also der Idee einer weißen Vorherrschaft und Überlegenheit, und "anti-LGBTQ".
Noch viel zu tun
Sarah Kate Ellis, Präsidentin der US-amerikanischen Gay & Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD), sagte gegenüber den "Daily News", dass sie auf Nachahmung hoffe. Die Änderungen sandten eine Nachricht, dass "andere Plattformen, die beanspruchen, die Sicherheit von LGBTIQ zu priorisieren", mit substanziellen Maßnahmen wie denjenigen von TikTok folgen sollten.
Den erfreulichen Änderung gegenüber stehen allerdings die vielfachen Beschwerden darüber, dass TikTok den eigenen Zielen nicht ausreichend nachkommt. So würden Hassbeiträge oft viel zu lange stehengelassen oder gar nicht gelöscht. TikTok gehört dem chinesischen Onlinekonzern ByteDance und gilt wegen Jugend- und Datenschutzbedenken sowie Vorwürfen von Spionage und Zensur als genauso umstritten wie beliebt. Anfänglich wurden auch queere Inhalte blockiert, später noch zumindest in einigen Ländern (queer.de berichtete).
Was das Misgendern und das Deadnamen angeht, betritt TikTok mit seinem expliziten Verbot nicht neues Terrain. Twitter verbietet diese Angriffe gegen transgeschlechtliche User*innen zum Beispiel schon länger. Auf YouTube und Facebook hingegen sind diese Angriffe nach wie vor von den Community-Standards gedeckt. Das schützt queerfeindliche Nutzer*innen jedoch nicht davor, von einem Gericht nach in den jeweiligen Staaten geltender Rechtslage verurteilt zu werden (queer.de berichtete).
Aber das ist auch nicht wirklich realistisch, denn die Mods stünden einer gigantischen Videoflut entgegen, die nicht stemmbar ist. Sie müssten ja JEDES einzelne Video überprüfen, eine völlig utopische Vorstellung. Melden ist natürlich möglich, aber das kostet wieder Zeit.
Die logische Folgerung ist, derjenige, der Deadnames verbreiten will, ist IMMER im taktischen Vorteil, es wird ein endloses Katz- und Mausspiel sein.
TikTok könnte auch extreme Maßnahmen ergreifen und eine Vorzensur installieren, d.h. alle Videos müssen ein manuelles Review überleben, bevor sie online gehen. Das wäre aber ganz offensichtlich der Tod von TikTok, niemand will tagelang warten, bis das Video hochgeht.
Was ich damit sagen will: Du kannst dieses Problem technisch nicht vernünftig lösen. Eigentlich bräuchte es einen großen Kulturwandel, soll heißen, dass der Akt des Deadnamings grundsätzlich verpönt ist und dass solche Leute auf keine Party mehr eingeladen werden. Aber davon sind wir natürlich noch weit entfernt. Ich bin aber überzeugt, so was kann nur von unten kommen und nicht von oben. Wir dürfen uns für solch sensiblen Angelegenheiten auf keinen Fall auf die Gunst der Tech-Oligarchen verlassen.
Dass das jetzt ein offizieller Regelverstoß ist, ist natürlich trotzdem gut, aber wir sollten uns keine Illusionen machen, dass alleine die Regel das Problem löst.
Denn TikTok tut das auch nur deshalb, weil LGBT-Feindlichkeit mittlerweile einfach geschäftsschädigend ist. Bei TikTok steht natürlich weiterhin das Geld im Vordergrund und nicht der Mensch. Gerade TikTok ist maximal vertrauensunwürdig, weil das ganze System auf Geheimniskrämerei und Manipulation beruht und sollte daher von niemandem benutzt werden. Zum Abschluss verweise ich noch gerne auf die lesenswerten Netzpolitik.org-Enthüllungen:
netzpolitik.org/moderation-tiktok-informationskontrolle/