Unter dem Hashtag #WolnaSzkola (freie Schulen) beteiligten sich auch EU-Abgeordnete wie hier die Luxemburgerin Tilly Metz an Protesten gegen das Gesetz (Bild: Tilly Metz MEP / twitter)
Der polnische Sejm hat am Mittwoch einen im In- und Ausland kritisierten Gesetzentwurf zur Reform des Schulwesens mit 233 zu 220 Stimmen bei zwei Enthaltungen endgültig angenommen. Mit der überraschend kurzfristig angesetzten Abstimmung überstimmte die Kammer ein Veto des Gesetzentwurfs aus dem von der Opposition kontrollierten Senat.
Der in der öffentlichen Debatte schlicht nach Bildungsminister Przemyslaw Czarnek benannte Gesetzentwurf Lex Czarnek wurde im letzten Sommer vorgestellt und erstmals Mitte Januar verabschiedet (queer.de berichtete). Kommunen, Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen hatten kritisiert, dass sich die Politik der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mehr Einfluss auf Schulen sichere. In der Folge könnte der Entwurf es unter anderem erschweren oder unmöglich machen, über LGBTI-Themen oder Abtreibung zu informieren.
Entgegen manchen Medienberichten handelt es sich bei der Vorlage aber nicht um ein direktes Gesetz gegen queere "Propaganda" wie in Ungarn oder Russland; Entsprechendes wird im Entwurf nicht thematisiert, könnte aber von der seit Jahren auf Homo- und Transphobie setzenden Regierung noch als eigenes Ziel verfolgt werden. Präsident Andrzej Duda hatte im Wahlkampf um sein Amt 2020 unter anderem den "Schutz von Kindern vor LGBT-Ideologie" und das "Verbot der Propagierung von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen" versprochen. Es wird damit gerechnet, dass er gegen die Bildungsreform nicht wie von der Opposition gefordert ein Veto einlegen wird.
Schulaufsicht wird "ideologisiert" und zentralisiert
Konkret sollen künftig von der nationalkonservativen Regierung ernannte und dem Bildungsministerium unterstellte Schulaufsichtspersonen mehr Macht enthalten. Entgegen der Schulautonomie sollen sie etwa Entscheidungen darüber treffen können, ob und welche außerschulischen Gruppen eingeladen werden dürfen – was sich beispielsweise gegen LGBTI-Schulaufklärungsprojekte richten kann. Auch von manchen Schulen praktizierte Akzeptanzmaßnahmen wie der sogenannte "Regenbogenfreitag", vergleichbar mit schulischen Aktionen zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie, könnten den Supervisor*innen oder auch der Selbstzensur zum Opfer fallen.
Statt eines generellen – und etwa von der EU sanktionierbaren – Verbots von "Homo-Propaganda" könnte der Entwurf eine entsprechende Wirkung indirekt entfalten und zugleich in schwer angreifbaren Einzelentscheidungen durchsetzen, bei denen die Aufsichtspersonen zudem auf homophobe Eltern verweisen könnten.
Aber das ist nur ein Aspekt des Gesetzes. Die neue staatliche Aufsicht macht Kommunen praktisch zu reinen Gebäudeverwaltern. So sollen die Supervisor*innen die Möglichkeit erhalten, Schuldirektor*innen abzusetzen und zu ersetzen, und das ohne nähere Begründung und Widerspruchsmöglichkeit. Die für mehrere Schulen zuständigen Aufsichtspersonen erhalten auch gegen Schulleitung, Schüler*innen und Eltern das letzte Wort über konkrete Unterrichtseinheiten und außerschulische Aktivitäten. Kritiker*innen bemängelten eine drohende "Ideologisierung der Schulen" durch die rechtspopulistische Regierung.
"Wir haben keine Zweifel, dass das Gesetz eine Katastrophe für die Schulen in Polen ist", sagte etwa auch Justyna Nakielska von der polnischen Kampagne gegen Homophobie gegenüber "Pink News". "Junge Menschen werden für Toleranz, Offenheit für Vielfalt, kritisches Denken und Unabhängigkeit bestraft. Czarnek führt eine Atmosphäre der Denunziation, Kontrolle und Angst in die Schulen ein." Queere Schüler*innen müssten mit mehr Ausgrenzung und Ungleichheit rechnen, während anzunehmen sei, dass spezielle schulische Angebot für sie und die akzeptierende Thematisierung von LGBTI gestoppt werden würden.
Unter PiS-Führung hatten dutzende polnische Städte und Gemeinden in den letzten Jahren Resolutionen gegen "LGBT-Ideologie" beschlossen – die sogenannten "LGBT-freien Zonen" sprachen sich darin etwa gegen Schulaufklärung über LGBTI und teilweise gegen Sexualkunde aus. Der der Partei angehörende Bildungsminister gilt selbst als queerfeindlich. "Wir müssen uns gegen die LGBT-Ideologie verteidigen und aufhören, diesen Idioten zuzuhören, wenn sie über irgendwelche Menschenrechte oder Gleichbehandlung reden. Diese Leute sind nicht gleich mit normalen Leuten", sagte Czarnek etwa vor zwei Jahren.
Im letzten Oktober hatte der Sejm in erster Lesung einen Gesetzentwurf einer katholisch-fundamentalistischen Organisation angenommen, der Demonstrationen sexueller Minderheiten praktisch verbieten würde (queer.de berichtete). (nb)
Und da wundert sich noch jemand, dass die EU immer skeptischer gesehen wird.