Frank-Walter Steinmeier bleibt Bundespräsident. Die Bundesversammlung stimmteEs am Sonntag mit großer Mehrheit für eine zweite Amtszeit des 66-jährigen ehemaligen Außenministers und Vizekanzlers. Eine Überraschung war es nicht: Steinmeier war von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition nominiert worden. AfD, Linke und Freie Wähler hatten jeweils eigene Kandidat*innen aufgestellt.
Steinmeier erhielt 1.045 von 1.437 abgegebenen Stimmen. Der von der Linken aufgestellte Mediziner Gerhard Trabert bekam 96 Stimmen, der AfD-Kandidat Max Otte 140 Stimmen und die von den Freien Wählern aufgestellte Physikerin Stefanie Gebauer 58 Stimmen. Es gab 86 Enthaltungen, zwölf Stimmen waren ungültig.
Das sehr gute Wahlergebnis für Steinmeier bedeutet nicht zwangsläufig, dass ihn eine große Mehrheit für einen wirklich grandiosen Bundespräsidenten hält. Als Mitarchitekt der Agenda 2010 ist er im linken Lager bis heute umstritten. Zwar leistete er sich – mit Ausnahme seines Glückwunschtelegrams an das iranische Regime zur Islamischen Revolution 2019 – keine großen Fehler, doch insgesamt blieb er in den vergangenen fünf Jahren eher blass und mutlos. Nicht wenige Reden waren eine Aneinanderreihung von Floskeln. Seine zweite Amtszeit hat Steinmeier vor allem einer geschickt eingefädelten Kandidatur und dem Ausgang der Bundestagswahl zu verdanken.
Bitte um Vergebung für Leid, Unrecht und Schweigen
Wenn in Massenmedien Frank-Walter Steinmeiers Verdienste aufgelistet werden, fehlt leider fast immer sein bedeutendster Auftritt: Am 3. Juni 2018 bat er queere Menschen um Vergebung für die staatliche Verfolgung in Deutschland, auch nach 1945 (queer.de berichtete). Anlass der unerwarteten Entschuldigung war der Festakt zum zehnten Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Seine Vorgänger Christian Wulff und Joachim Gauck hatten sich dort nie blicken lassen, nicht einmal einen Kranz abgelegt für die ungeliebte NS-Opfergruppe.
Am 3. Juni 2018 entschuldigte sich der Bundespräsident in einer historischen Rede für die Homosexuellenverfolgung in Deutschland (Bild: Micha Schulze)
"Sich zu korrigieren, sich ehrlich an die Geschichte zu erinnern – und sich nötigenfalls auch zu entschuldigen, wenn Unrecht geschehen ist: das sind große Stärken der Demokratie", sagte Steinmeier in seiner wirklich historischen Rede. "Als Bundespräsident ist mir heute eines wichtig: Ihr Land hat Sie zu lange warten lassen. Wir sind spät dran. Was gegenüber anderen gesagt wurde, ist Ihnen bisher versagt geblieben. Deshalb bitte ich heute um Vergebung – für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte."
Meinungsfreiheit "keine Legitimation" für Queerfeindlichkeit
Dieser wichtigen und überfälligen Geste des Bundespräsidenten folgten weitere öffentliche Statements gegen LGBTI-Feindlichkeit und für die Rechte queerer Menschen. So bezeichnete Steinmeier homofeindliche Herabsetzungen im Oktober 2019 als "Anschlag auf unsere Demokratie" (queer.de berichtete). Meinungsfreiheit sei "keine Legitimation" für Queerfeindlichkeit, mahnte er einen Monat später bei der Jahresversammlung der Hochschulrektoren in Hamburg (queer.de berichtete).
Zum 30. Jubiläum des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) lud das Staatsoberhaupt im Oktober 2020 drei Vorstandsmitglieder zu einem Gespräch ein und bedankte sich bei ihnen ausdrücklich für ihr Engagement (queer.de berichtete). "Schwule und Lesben im Schloss Bellevue, Gespräche über die Erfahrungen von queeren, von bi-, trans- und intersexuellen Menschen beim Bundespräsidenten – noch vor wenigen Jahrzehnten wäre wohl so mancher Sittenwächter rot angelaufen und die Meldung hätte einen handfesten Skandal ausgelöst", sagte der Bundespräsident damals in einer Ansprache vor dem Treffen. "Heute ist es umgekehrt: Ein Skandal liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität verächtlich gemacht oder benachteiligt werden. Was für eine zivilisatorische Wendung! Welch ein Fortschritt!"
Trotz seiner Schwächen: Für queere Menschen in Deutschland ist Steinmeiers zweite Amtszeit, in der er sich hoffentlich mutiger zeigen und an Kontur gewinnen wird, eine gute Nachricht. Beim zu erwartenden heftigen Widerstand gegen die queerpolitischen Reformen der Ampelkoalition ist es hilfreich, einen Verbündeten im Schloss Bellevue zu haben, der die Rechte und die Würde von LGBTI öffentlich verteidigt. Ich fürchte, dies wird notwendig sein. Wir nehmen den Bundespräsidenten beim Wort!