Zu Update springen: Lehmann und LSVD stellen Strafanzeigen (19:39h)
Anfang Dezember vergangenen Jahres berichtete queer.de über einen Mann aus dem sächsischen Görlitz, der als baptistischer Fundamentalist Mordaufrufe gegen queere Menschen im Internet verbreitet (queer.de berichtete).
Über diverse Kanäle in sozialen Medien wird dazu ein auf einer eigens geschalteten Website verfügbarer Film beworben, in dem es um "die LGBT-Lüge" geht. Der ist eine von deutschen Laiensprechern neu vertonte Übersetzung eines Videos von US-Predigern und ruft dazu auf, queere Menschen mit dem Feuer zu bestrafen. Das soziale Medium Facebook verbreitete zu der Filmversion bezahlte Werbeanzeigen an Nutzer*innen.
Doch trotz der Berichterstattung und einer Anzeige bei der Polizei dreht Anselm U. nun wieder auf. In einem neuen Video fordert er den Mord am Queerbeauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann – und an allen queeren Menschen im Land.
Polizei schob U. keinen Riegel vor
Seit Wochen will queer.de von den ermittelnden Behörden wissen, was in der Causa bisher getan worden ist. Doch Antworten wurden stets mit Verweis auf andere Polizeibehörden, andere Staatsanwaltschaften und dann mehrfach mit Verweis auf das Computersystem verweigert.
Aktuell soll das Verfahren, nachdem es in Hamburg von Polizei und Staatsanwaltschaft geführt worden sein soll, wieder in der ostsächsischen Stadt liegen.
Sonderlich Eindruck scheinen die bisherigen, schleppenden Ermittlungsmaßnahmen auf den Görlitzer jedenfalls nicht gemacht zu haben. Die "LGBT-Lüge" ist nach wie vor im Netz verfügbar. Und U. kann online wie offline weiter hetzen.
Predigt in Görlitz?
Auf einem zu U. gehörenden YouTube-Kanal erschien dann vergangenen Donnerstag ein Clip, der eine Fundi-Predigt vor Publikum zu zeigen scheint. Im Hintergrund ist Stühlerücken zu hören, Stimmen scheinen immer wieder über den hasserfüllten Vortrag zu tuscheln. Den hält Anselm U., hinter einem Pult stehend und von einem Tablet-Computer ablesend.
Ob die gefilmte Szene in Görlitz oder an einem anderen Ort stattfand, ist unklar. Nur Indizien sprechen dafür. Auch, wie viele Menschen teilnahmen, ist nicht bekannt.
U. zitiert in seinem Vortrag einen Bibelvers, in dem von Sodom und Gomorrha die Rede ist. Dann sagt er: "Und da wir jetzt schon beim Thema 'Sodom und Gomorrha' sind, lasst uns mal die Pläne 'unserer' Regierung anschauen. Das ist nicht meine Regierung. Ich hab diesen Dreck nicht gewählt."
Hassobjekt Sven Lehmann
Über die Regierung kommt U. auf Sven Lehmann zu sprechen: "Diese sündige Nation, dieses gottlose Volk, hat jetzt einen offiziellen 'Quer'-Beauftragten – einen offiziellen Beauftragten für den letzten Abschaum der Gesellschaft, für den letzten Schmutz der Gesellschaft". Gott wolle jedoch, "dass du Verworfene hasst, dass du sie verächtlich ansiehst, seien es Homos, Pädophile, Transen, den ganzen anderen Dreck."
Später zitiert Anselm U. einen "stern"-Artikel zu Sven Lehmann, in dem dieser über seine Fachkenntnis zu queeren Themen spricht. U. ruft beim Vorlesen wütend aus: "Fachkenntnis? Was willst du da für eine Fachkenntnis haben, Idiot?" An anderer Stelle ruft er Lehmann noch entgegen: "Fahr zur Hölle, Sven Lehmann, Schwuchtel, stirb!"
Deutschland müsse Queers töten
Im Vortrag geht es U. in augenscheinlich nationalistischer Sorge auch immer wieder um Deutschland: "Hier wird der Müll der Gesellschaft, der letzte Dreck, in den Himmel gelobt, bekommt einen eigenen Beauftragten – und die den Herrn fürchten, die Gott dienen wollen, die wirklich den Herrn lieben, denen werden horrende Geldstrafen angedroht." Die Diener*innen Göttes würden "beim Arbeitgeber angeschwärzt, und und und."
Augenscheinlich bekommt U. jedoch auch verbalen Widerspruch zu seinen fundamentalistischen Botschaften. Den äfft er nach: "Aber Anselm, warum bist du so hasserfüllt? Wir müssen doch die Homos lieben, wir müssen sie beschützen vor Homophobie."
U.s Antwort auf solche Einwände ist, dass das einzige, was die Regierung tun müsse, sei, die Queers nicht zu beschützen, "sondern sie zu töten". Eine Stimme im Hintergrund, augenscheinlich von einem Zuhörer, sagt: "Ja! Bitte!"
Zur Begründung für seine Haltung zitiert der Fundi den für die queerfeindliche Bibelexegese bekanntesten Vers aus dem dritten Buch Mose, der es verbiete, dass "ein Mann bei einem Mann liegt, als würde er bei einer Frau liegen". U. liest weiter vor: "… so haben sie beide einen Gräuel begangen, sie sollen unbedingt getötet werden, ihr Blut sei auf ihnen", um zu ergänzen: "Sven Lehmanns Blut sei auf ihm." Unklar ist, aus welcher Übersetzung oder Bibelvariante der vorgelesene Text stammt, da sie über das hinaus geht, was aus gebräuchlicheren Texten bekannt ist.
Es sei jedoch nicht Aufgabe der Christen, schränkt U. seinen Hassvortrag ein, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Die Bibel sage, dass sich "unser Kampf" nicht "gegen Fleisch und Blut" richte. Es sei vielmehr Aufgabe der Regierung, Übeltäter zu bestrafen, auch mit dem Tode.
Er habe keine Lust, erklärt U., das Wort "Homosexualität" zu sagen, weil es keine Sexualität, sondern Perversion sei. Darum rede er von "Sodomie". Sodomie wiederum sei in der Bibel ein Kapitalverbrechen. Weil das in Deutschland aber nicht als Kapitalverbrechen gelte, werde das Land in den Augen Gottes so "widerwärtig", dass der es schließlich "zerstören" müsse. Irgendwann gebe es eben keine Heilung mehr für Deutschland, es sei dann zu spät.
Auch am im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehenen Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (queer.de berichtete) sowie an seiner Finanzierung mit etwa 70 Millionen Euro hat U. etwas auszusetzen: "Das ist wirklich jugendgefährdend. Nicht unsere Doku 'Die LGBT-Lüge'".
Im Lauf des Vormittags sind das Video und der zugehörige Kanal "Görlitz und Umgebung biblisch entdecken" bei YouTube gesperrt worden.
Update Lehmann und LSVD stellen Strafanzeigen (19:39h)
Sven Lehmann hat am frühen Abend auf Twitter auf das Video reagiert. Er schreibt, dass er den Staatsschutz in der Sache eingeschaltet habe. Eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung kündigte indes auch der LSVD in dem Kurznachrichtendienst an.
Weitergehende Recherchen haben derweil herausgestellt, dass die Hetzrede wohl nicht in Görlitz, sondern in Pforzheim in Baden-Württemberg gehalten wurde. Eine entsprechende "Evangelisations"-Veranstaltung bewarb U. im Internet. Die genaue Adresse konnte man nur erfahren, wenn man sich zuvor via E-Mail angemeldet hatte.
Eine Kopie der Hetzrede ist nach wie vor auf der Website eines kanadischen Videodienstleisters verfügbar, der insbesondere unter US-amerikanischen Rechten wegen seiner gegenüber YouTube laxeren Löschpolitik beliebt ist.
Die Aussagen sind eindeutig als Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten einzustufen.