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"EBU ist besorgt über die aktuellen Ereignisse"
Russland vom ESC ausgeschlossen
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat weitere Konsequenzen: Das Land darf nicht am ESC teilnehmen.

Der ESC findet im Mai in Turin statt
- 25. Februar 2022, 18:02h 5 Min.
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Russland wird aufgrund der Invasion in die Ukraine vom diesjährigen Eurovision Song Contest in Turin ausgeschlossen. Das teilte die zuständige Europäische Rundfunkunion (EBU) am Freitagabend in Genf mit. Der 66. ESC soll am 14. Mai mit seinem großen Finale über die Bühne gehen. Deutschland will seinen Song kommende Woche küren (queer.de berichtete).
Die Europäische Rundfunkunion als Veranstalterin des Eurovision Song Contest hatte noch am Donnerstag ausweichend verkündet, der ESC sei ein nicht-politisches, kulturelles Event, das Nationen vereine. "Die EBU ist jedoch besorgt über die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und wird die Situation weiterhin genau beobachten."
Am Freitag hieß es nun, die Reference Group der EBU, das aus mehrereren Sendervertretenden unter Führung von Frank-Dieter Freiling (ZDF) bestehende internationale Leitungsgremium, habe nach Gesprächen mit allen beteiligten Mitgliedern und Gremien die Entscheidung zum Ausschluss Russlands getroffen. Grundlage seien die Regeln des Events und die Werte der Rundfunkunion. Die Entscheidung spiegele "die Besorgnis wider, dass angesichts der beispiellosen Krise in der Ukraine die Aufnahme eines russischen Beitrags in den diesjährigen Contest den Wettbewerb in Verruf bringen" würde.
Twitter / EurovisionStatement from @EBU_HQ regarding Russia's participation in the Eurovision Song Contest 2022.https://t.co/HmKJdqVE4J pic.twitter.com/tVH6yFxzbq
Eurovision Song Contest (@Eurovision) February 25, 2022
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Nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war, hatte das Land gefordert, die EBU-Mitgliedssender sollten so früh wie möglich erwägen, Russland vom diesjährigen ESC in Italien auszuschließen. Auch die Senderanstalten nordischer Länder und der Niederlande hatten am Donnerstag und Freitag den Ausschluss gefordert und den Druck auf die EBU erhöht. Finnland drohte nach Angaben des zuständigen Rundfunksenders Yle gar damit, keinen Beitrag zum ESC zu schicken, sollte die EBU Russland nicht die Teilnahme verbieten. Der russische Angriff auf die Ukraine verstoße gegen alle Werte, für die man selbst ebenso stehe wie alle anderen europäischen Rundfunksender, erklärte Yle am Freitag.
Nach der EBU-Entscheidung begrüßten auch ARD und ZDF den Ausschluss: "Der ESC ist ein musikalisches Fest der Völker Europas. Er repräsentiert Werte wie Freiheit und Vielfalt und ist ein friedlicher Wettstreit kreativer Köpfe", so die ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger und ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut in einer gemeinsamen Mitteilung. "Wenn ein Teilnehmerland des ESC von einem anderen angegriffen wird, sind wir innerhalb der europäischen ESC-Familie solidarisch. Deshalb ist die Entscheidung gegen die Teilnahme Russlands an dieser Stelle richtig."
Mit Russland wollten eigentlich 41 Länder am ESC 2022 teilnehmen. Belarus ist nach der Suspendierung des Senders BTRC von der EBU-Mitgliedschaft im vergangenen Jahr auch weiterhin vom Wettbewerb ausgeschlossen, an dem es 2021 bereits vor der Suspendierung wegen eines eingereichten Propaganda-Liedes nicht teilnehmen durfte (queer.de berichtete). Die Mitgliedschaft in der Union betrifft vor allem internationalen Programm-, Material- und Erfahrungsaustausch; eine Entscheidung zur EBU-Mitgliedschaft der zwei russischen Sender, die sich beim ESC von Jahr zu Jahr abwechseln, ist offenbar noch nicht getroffen worden. Wegen eines Angriffskrieges war zuletzt Jugoslawien 1993 vom Songcontest ausgeschlossen worden.
Derzeit läuft die Vorentscheid- und Nominierungsphase des ESC. Am 16. Februar trat Alina Pash, die den ukrainischen Vorentscheid gewonnen hatte, als Vertreterin der Landes zurück. Hintergrund waren offene Fragen zu einer Reise der Sängerin auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim im Jahr 2015. Nach dem Rücktritt von Pash schickt die Ukraine nun die Band Kalush Orchestra mit dem Titel "Stefania" nach Turin. Er muss sich erst noch in einem der Halbfinals (10. und 12. Mai) qualifizieren. Der russische Beitrag war noch gar nicht gekürt bzw. benannt worden. Mehrere frühere ESC-Stars des Landes, etwa Manizha (2021) oder Sergei Lasarew (2019/16), haben sich in sozialen Netzwerken gegen den Angriffskrieg gestellt.
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Auch im Sport hat der Krieg bereits Konsequenzen. So beschloss die Formel 1, den Großen Preis von Russland in dieser Saison abzusagen, die UEFA verlegte das Champions-League-Finale von Sankt Petersburg nach Paris. (dpa/cw)
Update 26.2., 16.05h: Russische Sender verlassen EBU
Nach Angaben der russischen Agentur TASS vom Samstag haben die staatliche Senderkette WGTRK (u.a. Rossija 1) und der halbstaatliche Sender Erster Kanal (Pervyy kanal), die sich in den letzten Jahren beim ESC abwechselten, zusammen mit Radio Dom Ostankino den Senderverbund der Europäischen Rundfunkunion verlassen.
Der Ausschluss Russlands vom Song Contest sei ein "unangemessenes politisches Opfer bei einem Musikforum, das immer seinen unpolitischen Status betont" habe. Bereits mit dem Contest-Ausschluss von Belarus im letzten Jahr und dem Nicht-Ausschluss des Liedes "1944" der ukrainischen Sängerin Jamala 2016 habe die EBU "voreingenommen und selektiv" gehandelt und den Willen der EU erfüllt, so die Stellungnahme der Sender zu dem von der EU unabhängigen Verbund. "Leider ist die EBU zu einem Verein geworden, dessen Mitglieder in ungleichen Verhältnissen leben. Und wir halten es für uns unmöglich, weiter darin zu bleiben."
In den letzten Tagen hatten einige EBU-Sender nicht nur einen Contest-Ausschluss Russlands gefordert, sondern auch eine Suspendierung der Mitgliedschaft der Sender, die als Propagandakanäle arbeiteten. Am Samstag wurde bekannt, dass das Leitungsgremium der EBU dazu am Montag eine Entscheidung treffen wollte. Derweil schränkte Russland am Samstag den Zugang der Bürger zu Facebook und Twitter ein und drohte den letzten verbliebenen unabhängigen Medien wie dem Sender "TV Rain" und der Zeitung "Nowaja Gaseta" mit inländischer Sperre.
Ohne EBU-Mitgliedschaft bleibt Russland künftig auch vom ESC ausgeschlossen, an dem es seit dem Debüt 1994 23 mal teilgenommen hatte. Nach dem einzigen Sieg 2008 mit Dima Bilan wurde der Contest ein Jahr später aus Moskau ausgtragen – am Tag des Finales wurde ein CSD-Protest in der Innenstadt mit Festnahmen unterdrückt (queer.de berichtete). (nb)
