Das Bündnis Queere Nothilfe UKR, das auch eine Spendensammelaktion gestartet hat, hat von der Bundesregierung in einer Petition den Schutz queerer Flüchtlinge aus der Ukraine gefordert.
Vulnerable Minderheiten wie LGBTI und Regenbogenfamilien sowie deren Menschenrechtsverteidiger*innen müssten direkt Schutz und Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Sie seien weder in der Ukraine, noch in den umliegenden Erstaufnahmeländern sicher, heißt es im Petitionstext der Bündnisses, dem dutzende queere Vereine und Verbände aus Deutschland angehören, darunter LSVD, Deutsche Aids-Hilfe, Quarteera, Munich Kyiv Queer und Queer Amnesty. Die Petition bei allout.org kann mitunterzeichnet werden. Außerdem müsse bei der medizinischen Versorgung der Flüchtenden vor Ort auch die queerspezifische Versorgung berücksichtigt werden. Dazu gehörten HIV- und Hormontherapien.
Unterdessen sammeln queere Gruppen von Charkiw im Osten der Ukraine bis nach Westeuropa für die Unterstützung queerer Flüchtlinge und derjenigen, die in der Ukraine bleiben. Hierzu veröffentlichten sie auch umfassende Ressourcen-Sammlungen.
Ausreisesperre "für Männer"
Weil die Ukraine im Rahmen ihrer Generalmobilmachung eine Ausreisesperre "für Männer" verhangen hat, könnte nun trans- und intergeschlechtliche Frauen eine Ausreise aus der Ukraine verwehrt werden, wie das Bündnis Queere Nothilfe UKR warnte. Es verweist dabei auf queere Stimmen aus der Ukraine, die beklagen, dass Ukrainer*innen aufgrund nicht angeglichener Papiere die Passage eingerichteter Checkpoints verwehrt werde.
Zudem seien auch schwule und bisexuelle Männer gefährdet, durch die Einziehung in die Verteidigungstruppen einer für sie besonders gefährlichen Situation ausgesetzt zu sein. Sie seien im militärischen Alltag, aber insbesondere auch bei Gefangennahme besonders vulnerabel.
Die finanzielle Krise der Ukraine werde durch die russische Invasion nun verstärkt. Doch gesellschaftlich diskriminierte Minderheiten wie LGBTI oder behinderte Menschen seien zuvor schon von finanzieller Prekarisierung betroffen gewesen. Das mindert ihre individuellen Schutzmöglichkeiten und setzt sie der Gefahr aus, gezielt angegriffen oder vom Zivilschutz ausgegrenzt zu werden.
Die Queere Nothilfe UKR fürchtet zudem auch um die Sicherheit der LGBTI-Menschenrechtsaktivist*innen vor Ort. Gruppen und Organisationen wie Insight, Sphere, KyivPride, Cohort, LIGA, HPLGBT, Egalite Intersex Ukraine und trans* Generation könnten ihre bisherige Arbeit nicht weiterführen.
Weil diejenigen, die fliehen, nun zunächst in die ukrainischen Nachbarstaaten, nach Polen, Ungarn oder Rumänien müssen, seien sie von der dortigen, LGBTI-feindlichen Politik und ihren Auswirkungen ebenfalls bedroht.
Manche Forderungen bereits erfüllt
Einige der Forderungen der Petition der Queeren Nothilfe UKR haben sich inzwischen erübrigt, weil sie schon durch die Bundesregierung oder die EU umgesetzt worden sind. So brauchen fliehende Ukrainer*innen zunächst keinen Asylantrag in der Europäischen Union stellen.
Beschränkungen der Flucht durch Corona-Maßnahmen sind inzwischen ebenfalls reduziert worden. Wer nicht mit einem in der EU anerkannten Impfstoff gegen das Corona-Virus geschützt ist, kann etwa bereits einreisen. Sogar Corona-Tests sind freiwillig, wie etwa das Innenministerium am Sonntag bekanntgab.
Nachdem hässliche Szenen an der polnischen Grenze durch Videoaufnahmen publik wurden, wonach Grenzbeamte aus der Ukraine flüchtende, Schwarze Menschen gewaltsam an einer Einreise hinderten, betonte die EU-Kommissarin für Inneres und Migration, Ylva Johansson, dass die Aufnahmebereitschaft natürlich auch für sie gelte.
In den vergangenen Monaten hatten polnische Grenzer*innen und die polnische Asylpolitik mit ihrem brutalen und rassistischen Vorgehen gegen Flüchtlinge aus Staaten wie dem Irak oder Afghanistan jedoch bereits für Aufsehen gesorgt.
"Ukrainer*innen" sollen nun zwar frei in Polen einreisen dürfen. Doch wer in den Augen Polens und seiner Beamten als schutzwürdige "Ukrainer*innen" gilt und wer, eventuell zusätzlich erschwert durch eine nicht-ukrainische Staatsbürger*innenschaft, die polnischen Kriterien für Schutzwürdigkeit nicht erfüllt, dürfte auch in Zukunft Probleme bei der Ausreise haben.
Auch Staaten wie Nigeria und Südafrika haben bereits Schutz für ihre Staatsangehörigen eingefordert. In der Ukraine haben unter anderem Tausende Student*innen aus verschiedenen afrikanischen Staaten gelebt, um hier Universitäten zu besuchen.
BAMF-Sensibilisierung, Unterbringung, Dublin-Verfahren
Doch weitere Forderungen der Petition bleiben aktuell, etwa die Sensibilisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für LGBTI-Themen. Im vergangenen Jahr hatte es immer wieder öffentlich beachtete Fälle von besonderer Ignoranz gegenüber der LGBTI-spezifischen Verfolgung durch das BAMF gegeben.
Die Petition fordert ebenso, dass das Dublin-Verfahren ausgesetzt wird. Das bedeutet, dass Flüchtlinge nicht in dem EU-Staat, dessen Boden sie zuerst betreten, einen Asylantrag stellen müssen und von anderen Staaten dorthin abgeschoben werden. Denn würde das Dublin-Verfahren angewandt, wären auch queere Ukraine-Flüchtlinge davon bedroht, in die als besonders LGBTI-feindlich geltenden Staaten wie Polen oder Ungarn abgeschoben zu werden.
Zudem müssten queere Flüchtende in speziellen Wohneinrichtungen untergebracht werden, nicht wie üblich in großen Sammelunterkünften. Dort waren LGBTI in den vergangenen Jahren immer wieder massiver Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt durch homo- und transphobe Mitarbeiter*innen und andere Geflüchtete ausgesetzt gewesen.
Diese Fehler sollen sich nun, wenn es nach der Queeren Nothilfe UKR geht, nicht wiederholen. Zur nötigen Sensibilität gegenüber den Belangen queerer Flüchtender gehört demnach auch die Verfügbarkeit spezifischer Beratung.
Selbsthilfe aus Kiew und Charkiw
KyivPride, die in Kiew ansässige Organisation, die in diesem Jahr den 10. Pride March veranstaltet hätte, sammelt indes Ressourcen und Informationen für queere Flüchtlinge und solche Queers, die trotz der Invasion im Land bleiben. Wer Hilfe anzubieten hat, kann sich an die Gruppe wenden.
Über ihre Kanäle wurde für psychologische Betreuung oder eine psychologische Unterstützungsgruppe für LGBTI geworben, an der Interessierte online teilnehmen können.
Am Morgen wurde zum Beispiel das Hilfsangebot einer Gestalt-Therapeutin aus Polen über die Kanäle von KyivPride beworben. Leitfäden für Queers, die sich in Ländern wie Ungarn wiederfinden, wurden darüber hinaus genau so verbreitet wie ein Spendenaufruf für queere Militärangehörige zur Finanzierung von Equipment, das für den Widerstand gegen den russischen Einmarsch benötigt wird.
Die Pride-Organisation aus Charkiw schrieb, dass sich die Gruppe unter den gegebenen Bedingungen noch orientiere. Es sei gefährlich, das Haus zu verlassen, zudem seien Läden und Apotheken zumeist geschlossen. Man treffe sich darum täglich online.
Gesammelt wird jedoch auch in Charkiw, um Unterkunft, Lebensmittel, Transport, Hygieneprodukte und Decken zu finanzieren und zu verteilen. Gegenwärtig gäbe es keine sichere Route aus der östlich gelegenen Stadt, um die bereits am Boden gekämpft wird. Spenden für die Gruppe sollten an das Konto der Kharkiv Women Association "Sphere" überwiesen werden (Kontodaten im Facebook-Beitrag).
Queere Hilfe auch aus Tschechien
Ressourcen zur Vermittlung von Unterstützung und Verbreitung von wichtigen Informationen für queere Ukraine-Flüchtlinge verbreiteten auch tschechische Aktivist*innen über das Internet.
Eine von ihnen veröffentlichte Liste enthält etwa Hilfsgesuche von Betroffenen, Hilfsangebote von Menschen in Tschechien, Transportmöglichkeiten von der Slowakei in die Tschechische Republik oder Informationen, Listen und Links für Menschen, die es nach Deutschland geschafft haben.
Deutsche Gruppen bemühen sich um ukrainischsprachige Angebote
Auf der Seite der Schwulenberatung Berlin ist inzwischen eine ukrainische Version von Informationen für LGBTI-Flüchtlinge veröffentlicht worden. Darin enthalten ist auch das Angebot der Berliner Beratungsstelle.
Die deutsch-russische Gruppe Quarteera stellte ebenfalls ukrainischsprachige Informationen bereit, darunter auch Telegram-Gruppen zur Koordinierung von Unterstützung aus Berlin.
Die Gruppe Munich Kyiv Queer unterstützt bereits tatkräftig queere Ukraine-Flüchtlinge von Bayern aus. Man habe, wie die Gruppe am Sonntag bekanntgab, bereits über 25.000 Euro in Deutschland eingesammelt.
Die Hälfte des Geldes sei schon ausgegeben. Zur Finanzierung der anstehenden Arbeit werde jedoch weiterhin Geld gebraucht. (jk)
Denn wir sind alle Menschen und wir sollten Menschen in Not helfen, so gut es geht.
Aber LGBTI haben natürlich noch mal eine besondere Situation und müssen entsprechend auch explizit berücksichtigt werden. Für sie gibt es zusätzlich zu den Gefahren, die alle anderen haben, noch weitere Gefahren.
Hoffentlich hat dieser Wahnsinn bald ein Ende. Wir wollen doch letztlich alle nur in Frieden und Freiheit leben. Sonst nichts.