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Letzte Instanz

Auch Oberlandesgericht spricht Kutschera vom Vorwurf der Volks­verhetzung frei

Der umstrittene Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, der in einem Interview gegen Schwule und Lesben gehetzt hatte, bewegte sich damit laut OLG Frankfurt im Rahmen der Meinungsfreiheit.


Kutschera bei einer AfD-Veranstaltung in Kiel 2019 zu "Gender-Theorie und Gender Mainstreaming" – der Professor hat sich zu einem der führenden anti-queeren Aktivisten Deutschlands entwickelt

  • 28. Februar 2022, 12:12h 45 3 Min.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat den Freispruch für den Kasseler Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera im Verfahren wegen Volksverhetzung zu seinen Aussagen über Homosexuelle bestätigt. Wie das OLG Frankfurt am Montag mitteilte, wurde die Revision der Staatsanwaltschaft Kassel gegen ein entsprechendes Urteil des Kasseler Landgerichts verworfen. Es handele sich bei den teilweise überspitzten und polemischen Aussagen insgesamt um eine nicht strafbare Meinungsäußerung, hieß es zur Begründung (Urteil vom 8.2.2022, Az. 2 Ss 164/21).

Die Staatsanwaltschaft hatte den 66-Jährigen nach Strafanzeigen u.a. mehrerer schwuler Männer, die teilweise auch als Zeugen aussagten, wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verleumdung angeklagt, weil er im Juli 2017 in einem Interview mit kath.net homosexuellen Menschen eine grundsätzliche Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern attestiert hatte (queer.de berichtete). In erster Instanz war der damalige Professor der Universität Kassel im August 2020 zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt worden (queer.de berichtete).

Gegen das Urteil legte Kutschera fast sofort Berufung ein. Auch die Staatsanwaltschaft war mit dem Urteil, das nur den Vorwurf Beleidigung anerkannte, nicht zufrieden. Im letzten März hatte das Landgericht diese Verurteilung aufgehoben (queer.de berichtete).

Kutschera sah in Ehe für alle "Horror-Kinderschänder-Szenario"

Unter anderem hatte Kutschera in dem Interview erklärt: "Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen." An anderer Stelle sprach er bei Homo-Männerpaaren mit Adoptivsohn von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario".


In dem kath.net-Artikel warb Ulrich Kutschera für eine Beibehaltung des Ehe-Verbots für Schwule und Lesben: "Der Staat hat nichts davon, wenn er sterile Homo-Pärchen privilegiert." Er schrieb unter anderem, dass Kinder der "übersteigerten Elternliebe" schwuler Männer "schutzlos ausgeliefert" seien. Zudem behauptete er: "Da lesbische Frauen in verstärktem Maße zur Pädophilie neigen, ergeben sich dort analoge Probleme." Kinder aus Regenbogenfamilien nannte er "bemitleidenswert" und warnte vor "widernatürlicher Früh-Sexualisierung", die er "als geistige Vergewaltigung Schutzbefohlener interpretiere"

Die Anklage warf Kutschera vor, zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, dass seine Ausführungen dazu bestimmt waren, Homosexuelle im Allgemeinen und gleichgeschlechtliche Paare im Besonderen in ihrem Ansehen gegenüber heterosexuellen Mitmenschen als ungleichberechtigte Personen herabzuwürdigen und zu verletzen. Das gelte insbesondere durch die Bezugnahme auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

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OLG: Keine Schmähkritik oder Ehrverletzung

In seiner Pressemitteilung spricht das OLG Frankfurt jedoch bereits in der Überschrift lediglich von "polemischen und überspitzten Äußerungen" des Professors. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, "dass die Äußerungen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Gesamtheit nicht auf die persönliche Ehre von Einzelpersonen durchschlagen" und als von der Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen seien. Tatsachenbehauptungen und wertende Meiungsäußerungen ließen sich nicht trennen, "ohne dass der Sinn der Äußerung des Angeklagten verfälscht werde". Als "Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" seien die Äußerungen nicht als Schmähkritik zu werten und daher nicht strafbar.

Kutschera, der im Kuratorium der AfD nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung saß, hatte sich in den letzten Jahren mit immer neuen Aussagen gegen LGBTI, etwa als Kolumnist im Portal "Freie Welt" der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns, als antiqueerer Aktivist betätigt. So warnte er dort vor "destruktiver 'Mehrgeschlechter- bzw. Transgender-Ideologie'" und einer "Homosexualisierung vieler Lebensbereiche" (queer.de berichtete). Auch die Verhandlungstermine nutze er zu Stimmungsmache mit vermeintlich "wissenschaftlichen Belegen".

Das Urteil des OLG Frankfurt ist nicht anfechtbar. Damit endet einer der seltenen Prozesse zu queerfeindlicher Hetze in Deutschland in einem Freispruch. In Bremen findet im Mai die Berufungsverhandlung zum Prediger Olaf Latzel statt, der in erster Instanz nach Äußerungen über "todeswürdige" Homosexualität wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war (queer.de berichtete). In Köln steht der gerade verschobene Prozessbeginn um homofeindliche Aussagen in der Zeitschrift "Theologisches" bevor (queer.de berichtete). (cw/dpa)

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#1 LorenEhemaliges Profil
  • 28.02.2022, 13:32h
  • Das Urteil zeigt, was in Deutschland so alles möglich ist, wenn es als "Bestandteil des geistigen Meinungskampfes" eingeordnet werden kann.

    Leider wird nicht erkenntlich, welche Personen dieses Urteil gefällt haben.

    Unterm Strich bestätigt es mein zwiespältiges Gefühl gegenüber dem Land, dessen schwuler Staatsbürger ich bin. Sicher fühle ich mich in dem jedenfalls nicht, solange Gesetze und deutsche Justitia so ein Urteil letztinstanzlich ermöglichen.
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#2 PeerAnonym
  • 28.02.2022, 13:45h
  • Wenn die Bezeichnung von Menschen als "todeswürdig" keine Volksverhetzung, keine Schmähkritik und keine Ehrverletzung ist, sondern als freie Rede gilt, wüsste ich gerne, was man sagen muss, damit es wirklich keine freie Rede mehr ist.

    Und das ist keine rhetorische Frage, sondern das meine ich ganz ernst. Kann mir irgendwer, der Ahnung von Jura hat, erklären, was denn darunter fällt. Denn wenn selbst schon eine Bezeichnung von Menschen als "todeswürdig" (was man auch als indirekten Mordaufruf interpretieren kann) das nicht erfüllt, fällt mir nicht mehr viel ein, was man noch sagen könnte und was noch schlimmer wäre.
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#3 Lucas3898Anonym
  • 28.02.2022, 13:48h
  • Antwort auf #2 von Peer
  • Ich würde es als Volksverhetzung oder verhetzende Beleidigung einstufen.

    Die StA sah es schließlich bis zum Schluss genauso.
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