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Letzte Instanz

Auch Oberlandesgericht spricht Kutschera vom Vorwurf der Volks­verhetzung frei

Der umstrittene Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, der in einem Interview gegen Schwule und Lesben gehetzt hatte, bewegte sich damit laut OLG Frankfurt im Rahmen der Meinungsfreiheit.


Kutschera bei einer AfD-Veranstaltung in Kiel 2019 zu "Gender-Theorie und Gender Mainstreaming" – der Professor hat sich zu einem der führenden anti-queeren Aktivisten Deutschlands entwickelt

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat den Freispruch für den Kasseler Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera im Verfahren wegen Volksverhetzung zu seinen Aussagen über Homosexuelle bestätigt. Wie das OLG Frankfurt am Montag mitteilte, wurde die Revision der Staatsanwaltschaft Kassel gegen ein entsprechendes Urteil des Kasseler Landgerichts verworfen. Es handele sich bei den teilweise überspitzten und polemischen Aussagen insgesamt um eine nicht strafbare Meinungsäußerung, hieß es zur Begründung (Urteil vom 8.2.2022, Az. 2 Ss 164/21).

Die Staatsanwaltschaft hatte den 66-Jährigen nach Strafanzeigen u.a. mehrerer schwuler Männer, die teilweise auch als Zeugen aussagten, wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verleumdung angeklagt, weil er im Juli 2017 in einem Interview mit kath.net homosexuellen Menschen eine grundsätzliche Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern attestiert hatte (queer.de berichtete). In erster Instanz war der damalige Professor der Universität Kassel im August 2020 zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt worden (queer.de berichtete).

Gegen das Urteil legte Kutschera fast sofort Berufung ein. Auch die Staatsanwaltschaft war mit dem Urteil, das nur den Vorwurf Beleidigung anerkannte, nicht zufrieden. Im letzten März hatte das Landgericht diese Verurteilung aufgehoben (queer.de berichtete).

Kutschera sah in Ehe für alle "Horror-Kinderschänder-Szenario"

Unter anderem hatte Kutschera in dem Interview erklärt: "Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen." An anderer Stelle sprach er bei Homo-Männerpaaren mit Adoptivsohn von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario".


In dem kath.net-Artikel warb Ulrich Kutschera für eine Beibehaltung des Ehe-Verbots für Schwule und Lesben: "Der Staat hat nichts davon, wenn er sterile Homo-Pärchen privilegiert." Er schrieb unter anderem, dass Kinder der "übersteigerten Elternliebe" schwuler Männer "schutzlos ausgeliefert" seien. Zudem behauptete er: "Da lesbische Frauen in verstärktem Maße zur Pädophilie neigen, ergeben sich dort analoge Probleme." Kinder aus Regenbogenfamilien nannte er "bemitleidenswert" und warnte vor "widernatürlicher Früh-Sexualisierung", die er "als geistige Vergewaltigung Schutzbefohlener interpretiere"

Die Anklage warf Kutschera vor, zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, dass seine Ausführungen dazu bestimmt waren, Homosexuelle im Allgemeinen und gleichgeschlechtliche Paare im Besonderen in ihrem Ansehen gegenüber heterosexuellen Mitmenschen als ungleichberechtigte Personen herabzuwürdigen und zu verletzen. Das gelte insbesondere durch die Bezugnahme auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

OLG: Keine Schmähkritik oder Ehrverletzung

In seiner Pressemitteilung spricht das OLG Frankfurt jedoch bereits in der Überschrift lediglich von "polemischen und überspitzten Äußerungen" des Professors. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, "dass die Äußerungen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Gesamtheit nicht auf die persönliche Ehre von Einzelpersonen durchschlagen" und als von der Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen seien. Tatsachenbehauptungen und wertende Meiungsäußerungen ließen sich nicht trennen, "ohne dass der Sinn der Äußerung des Angeklagten verfälscht werde". Als "Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" seien die Äußerungen nicht als Schmähkritik zu werten und daher nicht strafbar.

Kutschera, der im Kuratorium der AfD nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung saß, hatte sich in den letzten Jahren mit immer neuen Aussagen gegen LGBTI, etwa als Kolumnist im Portal "Freie Welt" der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihres Ehemanns, als antiqueerer Aktivist betätigt. So warnte er dort vor "destruktiver 'Mehrgeschlechter- bzw. Transgender-Ideologie'" und einer "Homosexualisierung vieler Lebensbereiche" (queer.de berichtete). Auch die Verhandlungstermine nutze er zu Stimmungsmache mit vermeintlich "wissenschaftlichen Belegen".

Das Urteil des OLG Frankfurt ist nicht anfechtbar. Damit endet einer der seltenen Prozesse zu queerfeindlicher Hetze in Deutschland in einem Freispruch. In Bremen findet im Mai die Berufungsverhandlung zum Prediger Olaf Latzel statt, der in erster Instanz nach Äußerungen über "todeswürdige" Homosexualität wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war (queer.de berichtete). In Köln steht der gerade verschobene Prozessbeginn um homofeindliche Aussagen in der Zeitschrift "Theologisches" bevor (queer.de berichtete). (cw/dpa)

#1 LorenProfil
  • 28.02.2022, 13:32hGreifswald
  • Das Urteil zeigt, was in Deutschland so alles möglich ist, wenn es als "Bestandteil des geistigen Meinungskampfes" eingeordnet werden kann.

    Leider wird nicht erkenntlich, welche Personen dieses Urteil gefällt haben.

    Unterm Strich bestätigt es mein zwiespältiges Gefühl gegenüber dem Land, dessen schwuler Staatsbürger ich bin. Sicher fühle ich mich in dem jedenfalls nicht, solange Gesetze und deutsche Justitia so ein Urteil letztinstanzlich ermöglichen.
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#2 PeerAnonym
  • 28.02.2022, 13:45h
  • Wenn die Bezeichnung von Menschen als "todeswürdig" keine Volksverhetzung, keine Schmähkritik und keine Ehrverletzung ist, sondern als freie Rede gilt, wüsste ich gerne, was man sagen muss, damit es wirklich keine freie Rede mehr ist.

    Und das ist keine rhetorische Frage, sondern das meine ich ganz ernst. Kann mir irgendwer, der Ahnung von Jura hat, erklären, was denn darunter fällt. Denn wenn selbst schon eine Bezeichnung von Menschen als "todeswürdig" (was man auch als indirekten Mordaufruf interpretieren kann) das nicht erfüllt, fällt mir nicht mehr viel ein, was man noch sagen könnte und was noch schlimmer wäre.
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#3 Lucas3898Anonym
#4 AmberAnonym
  • 28.02.2022, 13:52h
  • Welcher Richter, hat denn bitte dieses Urteil gefällt? Seit wann ist es erlaubt, anderen zu Unterstellen Sie würden Kinder vergewaltigen nur weil sie Homosexuell sind?

    So langsam reicht es mir, mit solchen Urteilen. warum wird da von Politischer Seite, nicht endlich was unternommen, damit solche Kleingeiste, nicht mehr in der Politik sitzen dürfen und es auch schmerzlich erfahren, dass das Grundgesetz nicht dafür da ist um andere Menschen eines Verbrechens zu beschuldigen, dass sie nie begehen würden. Denn mal ehrlich, wenn ich namentlich, jemanden beschuldigen würde, wäre ich dran wegen Rufmord, übler Nachrede etc.

    Hier wären doch sicherlich 2 Jahre Gefägnis das mindeste und eine Strafe von mindestens 100.000, die dann an LGBTIQ+ Einrichtungen gespendet werden.
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#5 PeerAnonym
  • 28.02.2022, 13:54h
  • Antwort auf #1 von Loren
  • "[...] solange Gesetze und deutsche Justitia so ein Urteil letztinstanzlich ermöglichen."

    Aber letztinstanzlich ist das doch nicht, oder? Denn das Oberlandesgericht ist ja nur eine weitere Instanz.

    Letztlich könnte das doch auch noch (gerade aufgrund seiner grundsätzlichen Bedeutung) bis vors Bundesverfassungsgericht gehen. Und dazwischen sind vielleicht auch noch weitere Instanzen. Weiß das jemand?

    Aber ich stimme Dir schon zu:
    solange irgendein Gericht (und wenn es "nur" ein Amtsgericht ist und egal, ob das Urteil später kassiert wird oder nicht) die Bezeichnung von Homosexuellen als "todeswürdig" als freie Rede erlaubt, können wir uns in diesem Land weder frei noch sicher (und erst recht nicht akzeptiert) fühlen.
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#6 PeerAnonym
  • 28.02.2022, 13:57h
  • Antwort auf #3 von Lucas3898
  • Aufgrund Deines Kommentars ohne weitere Erläuterung, denke ich mal, dass Du Jurist bist. Aber es muss doch da irgendwelche genauen Regeln geben. Es kann doch nicht sein, dass bei sowas Wichtigem jeder Jurist nach persönlichem Gefühl entscheidet.

    Und falls doch, wird es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber aktiv wird und 1. Gesetze gegen Hassrede erlässt und 2. besser definiert, was alles unter Volksverhetzung oder Gewaltaufrufen fällt und was nicht.
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#7 Lucas3898Anonym
#8 Lucas3898Anonym
#9 SWATklinNZProfil
  • 28.02.2022, 14:46hAhipara
  • Ich kenne mich im Rechtssystem von D nicht so aus, aber da müsste wohl etwas wie Verfassungsbeschwerde fplgen, bzw. gibt es nach einem Oberlandesgericht doch auch noch das Bundesgericht ubnd irgendwo weiter oben das Verfassungsgericht und wenn da kein vernünftiges Urteil erfikgt auch noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte o.Ä. Wenn zum Beispiel Jemand Juden als grundsätzlich minderwertige Volksgruppe bezeichnet oder Ähnliches, kann man da noch weitere Schritte gehen.
    Auch weine unbestimmte Menge ohne religionskulturellen Zusatz wie etwa RentnerInen oder vielleicht Segelsportler, Sorben, Roma, je nachdem, muss sich doch nicht grundlegend entwürdigen und verletzen lassen. Gerade den Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse kann man auch prüfen lassen, und wenn dieser Typ sich auf Falschaussagen bezieht, wird das doch nicht anerkannt. Zumindest kann man, wenn die Richter, die das bewerten, selbst zur AfD gehören, wegen Rechtsbeugung klagen.
    Ich würde schon sagen, dass da mit anderen Klagezielen noch nicht das letzte Wort gesagt sein kann, ansonsten ist das ein Armutszeugnis für die Idee von der Menschenwürde, auf die Deutschland anderswo so viel Lob ausspricht.
    So wirklich kann man das nicht glauben, dass solche eklatanten Verallgemeinerungen als Meinung gelten, was passiert denn, wenn man verrückten Professoren grundlegend unterstellt, Ziegen zu fi....zu besteigen?

    Vielleicht macht es auch hirnranzig, wenn einer zu viel mit Sonnenblumen und Würmern herum spielt.

    Vielleicht sinf andere Klageziele besser auf Erfolg, oder man muss die Unterschriften von Paaren zusammensammeln, die sich persönlich durch dessen Aussagen verletzt, neleidigt und herabgewürdigt empfinden.

    Das müsste man eigentlich vorher festgestellt haben, welche Klageform da am nächsten Aussichzen hat. Vielleicht hätte es nur einer anderen Form bedurft, und dieser angebliche Wissenschaftler wäre als Betrüger entlarvt oder mit gesalzener Geldstrafe nach Hause gegangen.

    Bei der katholischen Kirche dürfte die grundsätzliche Annahme, dass katholische Geistliche eher pädophil sind, demnach auch nur Meinungsäußerung sein. Okay, das äußere ich nun bei jeder Gelegenheit. Wenigstens hat Kutschera dann seine Ausführungen vor grundlegend pädophil ausgerichteter Zuhörerschaft zum Besten gegeben. Das sollte zeigen, wes Geistes Kind der Mann ist.
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#10 Julian 80Anonym
  • 28.02.2022, 14:56h
  • Ich kann nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft in die nächste Instanz geht.

    Und sollte es wirklich legal sein, andere Menschen als "todeswürdig" zu bezeichnen, dann wird es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber aktiv wird und das grundlegend ändert.

    Interessant auch, dass die evangelische Kirche, die sich so gerne tolerant gibt, immer noch an ihm festhält. Für die Kirche ist es also auch kein Problem, andere Menschen als "todeswürdig" zu bezeichnen.
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